# taz.de -- Debatte Feminismus: Zeiten ändern dich | |
> Kristina Schröders Kritik am Feminismus alter Schule ist richtig. Alice | |
> Schwarzers offener Brief an die Ministerin zeugt von ihrer Verblendung. | |
Bild: Schwarzer ist doch am Ziel, sagt Ralf Bönt. | |
Es ist viele Jahre her, als heftig über das Quorum - die Beteiligung von | |
Frauen an hohen Ämtern per Quote - gestritten wurde. Ich erinnere mich noch | |
gut an eine Talkshow mit Alice Schwarzer. Auf die Frage, ob sie nun für | |
oder gegen das Quorum sei, sagte sie, sie sei dafür, könne selbst aber nie | |
eine Quotenfrau sein. Mein Interesse für die Kollegin fand damit sein | |
frühes Ende, und vielen Männern ging es genauso, meist freilich aus weniger | |
filigranen Gründen. Denn Alice Schwarzer hat immer alles getan, um die | |
Männer gegen sich zu haben. | |
Für die Quote oder das Quorum bin ich damals gewesen, wie ich es heute noch | |
bin. Wir brauchen es auch noch eine Weile, nicht nur in der CSU. Durch | |
diesen politischen Schritt, der sich nicht prinzipiell von der Aussetzung | |
der Fünfprozentklausel für die dänische Minderheit in der | |
schleswig-holsteinischen Landtagswahl unterscheidet, haben viele Frauen | |
zeigen können, wer sie sind und was sie wollen. Sie haben Positionen | |
durchgesetzt und unser Land nachhaltig verändert. | |
Die glücklichste Bewegung | |
Heute haben wir eine Bundeskanzlerin, und fast hätten wir noch eine | |
Bundespräsidentin bekommen. Doch gab es Stimmen, die sagten, nein, das | |
müsse jetzt an einen Mann gehen. Man stelle sich dieses Argument 1980 vor - | |
oder 1990! Alice Schwarzer hat vielleicht recht: Der Feminismus ist die | |
folgenreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts. Seien wir nicht | |
pingelig und lassen den Antifaschismus, die Friedens- und Antiatombewegung | |
weg, die Schwulen- und Lesbenbewegung. Vergessen wir die Ökologie und | |
sortieren Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie für einen Moment | |
nachsichtig ins 19. Jahrhundert ein - und die Wissenschaft, deren | |
Erfolgsgeschichte so atemberaubend ist, dass niemand sie zur Kenntnis | |
nimmt, in eine andere Kategorie. Letztere hatte auch riesige | |
Kollateralschäden, denn Nazis und Kommunisten missbrauchten sie auf das | |
Schlimmste, weil sie sich ihrer selbst nicht bewusst war: ein großes | |
Problem bis heute. Nein, vielleicht ist der Feminismus unter den sozialen | |
Bewegungen sogar noch mehr: die glücklichste. | |
Unsere Familienministerin Kristina Schröder ist nun ein ganz neuer Typ, | |
eine neue Generation Frau in Führungsposition. Sie profitiert von ihren | |
Vorgängerinnen, die oft männlicher als jeder Mann sein mussten, um zu | |
bestehen. Denken wir an Margaret Thatcher, die wie kein anderer Politiker | |
(!) zeigte, wie dämlich und gefährlich das Machogehabe ist. Natürlich | |
musste sie der härteste Mann in ganz England sein, um überhaupt ins Amt zu | |
kommen. Ähnliches galt für Colin Powell: Er war in seinen Positionen weißer | |
als der durchschnittliche weiße Republikaner. Es ist nicht der Treppenwitz, | |
sondern der Gang der Geschichte, dass Barack Obama sich heute nicht nur | |
eine schwarze Identität erlauben, sondern auch noch beinahe weiblich | |
daherkommen kann. Spannend, wenn die herbe, aggressive und auf Dominanz | |
zielende Sarah Palin gegen ihn antreten sollte. Verkehrte Welt - wie schön! | |
Ich tippe auf Obama. | |
Ein Referat für Jungs? Bravo! | |
Kristina Schröder jedenfalls hat es nicht nötig, maskulin aufzutreten, noch | |
weniger als die neutrale Angela Merkel. Aber darin erschöpft sich die | |
Agenda der Ministerin zum Glück nicht. Ihre Gründung eines eigenen Referats | |
für Jungs ist ein kühner Schritt - und ein Paradigmenwechsel, für den viele | |
Jahrzehnte lang gekämpft wurde. Denn Jungs, aufgepasst, müssen plötzlich | |
geschützt werden! Vor der Benachteiligung durch und gegenüber Frauen. In | |
der Schule. An der Wurzel der Karriere, im Sandkasten der | |
Chancengleichheit. Aufgrund der Analysen und Erkenntnisse der Fachleute. | |
Welch eine unerhörte Beleidigung des starken Geschlechts! | |
Man stelle sich dies 1980 oder 1990 vor: Der Minister wäre aus dem Amt | |
gejagt worden. Die Gründung des Jungenreferats bedeutet ja nicht weniger, | |
als dass die Vorherrschaft des Mannes, die mit der natürlichen | |
intellektuellen Überlegenheit begründet wurde, gebrochen ist. Sie existiert | |
nicht mehr, also war sie auch nicht gottgegeben. Alle Argumente zu ihrer | |
Verteidigung waren falsch! Alles Abwinken und Belächeln war nur hilfloses | |
Getue! | |
Alice Schwarzer ist am Ziel | |
Jungenreservate, Männerhäuser: Alice Schwarzer ist am Ziel. Aber sie sieht | |
es leider nicht ein. Denn natürlich gibt es noch immer Ungerechtigkeiten | |
bei Ämtern und Verdienst, vieles bleibt zu tun und zu erreichen. Aber die | |
Karriere selbst muss vielleicht auch gar nicht immer das Wichtigste im | |
Leben sein, wie etwa Frank-Walter Steinmeier oder Franz Müntefering zeigen | |
konnten, die ihren Frauen zuliebe eine Auszeit nahmen. Die Jungs von heute | |
werden als Männer anders sein, als was wir von Männern bislang kennen. Sie | |
leben endlich nicht mehr unter dem Verdikt, auf alle Fälle den harten Max | |
geben zu müssen und niemals krank sein zu dürfen. | |
So richtig oder zumindest verständlich die Aggressivität der | |
Schwanz-ab-Frauen vor vierzig Jahren gewesen sein mag, so falsch ist sie | |
heute. Heute sind längst Zigaretten und Schokolade nötig, um den letzten | |
Hirni, der glaubt, er könne nicht zurückgesetzt, benachteiligt und | |
beleidigt werden, der glaubt, keine Gefühle zu haben, aus seiner Garage zu | |
locken und zum Sprechen zu bringen. Nun gut, viele Ältere werden es nicht | |
mehr lernen. Die Jungs aber, die jetzt ein Referat im Familienministerium | |
zu ihrem Schutz bekommen haben, werden sorgsamer mit sich umgehen. | |
Lese ich aber Alice Schwarzers offenen Brief an die Ministerin Schröder, | |
dann habe ich wie damals bei der Talkshow zum Quorum das Gefühl, dass sie | |
die Frauen schwach und unterdrückt braucht, um sich als ihre Heldin und | |
Befreierin installieren zu können. Kristina Schröder, die ihre Karriere | |
unter anderem auch dem Feminismus verdankt, und die Mehrheit der jungen | |
Frauen wenden sich von Alice Schwarzer und noch deutlicher von diesem | |
Feminismus ab. Sie fühlen, dass die alte Kämpferin genau jenen Weg | |
versperrt, den sie öffnen wollte und geöffnet hat. Ihr Feminismus kann sich | |
in die Rente verabschieden. Der Feminismus 2.0 hat endlich begonnen. Es ist | |
der echte Antisexismus. Und nur so kann das Erreichte verteidigt werden: | |
indem man es weiter entwickelt. | |
11 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Bönt | |
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