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# taz.de -- Portrait Kristina Schröder: Plötzlich Ministerin
> Knapp ein Jahr ist die Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder
> im Amt. Erfolge hat die überzeugte Konservative nicht vorzuweisen.
Bild: Schiebt seit einem Jahr schwere Sessel: Kristina Schröder am Mittwoch im…
So langsam läuft sie sich warm. "Das interessiert mich mehr als Fußball",
sagt Kristina Schröder. Der Saal lacht. In dem eichengetäfelten, hohen Raum
im Haus Schütting in Bremen sitzen überwiegend Männer: Kleinunternehmer,
Mittelständler, Vertreter der Handelskammer. Mit "das" meint die Frauen-
und Familienministerin die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist
früher Abend. Kristina Schröder steht am Rednerpult, klein, schmal, im
schwarzen Kostüm. Sie ist auf Promotiontour für ihre gerade gestartete
Initiative "Familienbewusste Arbeitszeiten", Bremen ist ihr erster Termin.
Die Ministerin redet über Frauen, die Teilzeit arbeiten, und Männer, die
Vätermonate nehmen, über Dreiviertelstellen, Pflege, Elterngeld, Kitas, den
demografischen Faktor und die "neue Leitwährung für Familien": Zeit. In der
Rede ist fast alles drin, womit sich Kristina Schröder seit einem Jahr
beschäftigt. Gern sagt Kristina Schröder auch einen Satz, den ihre
Vorgängerinnen schon gesagt haben: "Als Ministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend bin ich ja quasi für alle zuständig. Nur nicht für
mitteralterliche, kinderlose Männer."
Knapp ein Jahr ist es jetzt her, da klingelte im Büro der
CDU-Bundestagsabgeordneten aus Wiesbaden das Telefon. Arbeitsminister Franz
Josef Jung ist zurückgetreten, Ursula von der Leyen, die
Familienministerin, soll ihn ersetzen. Damals heißt Kristina noch Köhler,
ist 32 Jahre alt und verlobt mit Ole Schröder, dem Parlamentarischen
Staatssekretär im Innenministerium. Bundeskanzlerin Angela Merkel fragt:
"Wollen Sie Familienministerin werden?"
Seitdem führt Kristina Schröder als jüngstes Mitglied im Kabinett ein Haus
mit über 600 MitarbeiterInnen, verwaltet einen Milliardenetat und kämpft
mit dem anspruchsvollen Erbe von Ursula von der Leyen. Ihre Amtsvorgängerin
hatte die Vätermonate eingeführt und damit die Familienpolitik nach ganz
vorn geholt. Nun muss sich Kristina Schröder um Themen kümmern wie
Elterngeld, Alleinerziehende und die unterschiedliche Bezahlung von Frauen
und Männern. Das ist komplett neu für sie. Aber wer sagt schon nein, wenn
einem eine solche Chance geboten wird? Auch wenn das Amt in ihrem
Karriereplan zu jener Zeit gar nicht vorgesehen war, wie Kristina Schröder
im Gespräch sagt. Vorher hat sie sich mit Islamismus und Extremismus
beschäftigt.
Zoff an der Frauenfront
Und Interviews muss sie nun geben. Die ersten verpatzt sie, weitere sorgen
für Unmut, zum Beispiel als die Republik heftig über Zuwanderung und
Integration debattiert. Kristina Schröder sagt, dass es Migranten gebe, die
sich Deutschen gegenüber schlecht verhalten. Auch sie sei schon mal als
"deutsche Schlampe" beschimpft worden. Im Fernsehen sagt sie dazu: "Ich
nenne das eine Form von Rassismus."
Jetzt gibt es wieder Zoff. Diesmal an der "Frauenfront". Vor wenigen Tagen
hat Kristina Schröder mit dem Spiegel über Feminismus, Alice Schwarzer und
Sex gesprochen. Schwarzers These von der Unterwürfigkeit der Frau beim
heterosexuellen Geschlechtsverkehr, hat Kristina Schröder den Reportern
erzählt, "ginge ihr dann doch zu weit". Feministin Alice Schwarzer fühlt
sich missverstanden und schreibt Kristina Schröder einen offenen Brief.
Darin nennt die Emma-Chefin die Ministerin "einen hoffnungslosen Fall.
Schlicht ungeeignet".
Ist Kristina Schröder tatsächlich ein hoffnungsloser Fall, eine
Fehlbesetzung? Schröder, 33, ist promovierte Politikwissenschaftlerin und
seit acht Jahren im Bundestag. Dort ist sie anderen Abgeordneten als
schneidige und zielstrebige Frau aufgefallen. Binnen kurzer Zeit ist sie
auf der Karriereleiter ganz nach oben geklettert. Sie könnte Vorbild sein
für andere Frauen ihrer Generation.
Man versteht das alles nicht. Wie kann eine junge, moderne Frau, die in
kurzer Zeit viel erreicht hat, die alle Vorteile des Feminismus genießt,
gleichermaßen so konservativ, ausgrenzend und weltfremd sein und so wenig
Empathie für die Themen ihres eigenen Ministeriums zeigen?
Schröder habe keine Ahnung von dem, was sie tut, sagt Monika Lazar,
frauenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Für Gesine
Lötzsch von der Linkspartei verbreitet sie soziale Kälte. Manuela Schwesig,
SPD-Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, fragt: "Was tut Frau
Schröder denn für Frauen? Nichts!"
Die Bilanz ihres ersten Amtsjahrs fällt nüchtern aus. Überall dort, wo
Schröder ihre Aufgaben sieht, mischt sie zwar mit: Krippenausbau, runder
Tisch gegen sexuellen Missbrauch, Girls Day, Betreuungsgeld,
Freiwilligendienste. Aber nichts ist richtig erfolgreich. Im Gegenteil, die
Ministerin erntet häufig sogar Kritik aus der Koalition. Sie fordert zum
Beispiel einen Rechtsanspruch auf eine Pflegeteilzeit: Wer Angehörige
betreuen muss, soll dafür zwei Jahre lang eine Auszeit nehmen dürfen. Ihr
wichtigstes Projekt. Aber die Ministerin trifft auf erbitterten Widerstand.
Da machen wir nicht mit, sagen FDP und Wirtschaft.
Als die Regierung sparen muss, kürzt Kristina Schröder die Vätermonate, die
von zwei auf vier Monate ausgeweitet werden sollen, und das Elterngeld von
67 auf 65 Prozent. Für Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger streicht sie
das Geld komplett. Sie sagt, das sei eine Lohnersatzleistung und
Hartz-IV-Leute arbeiten nicht. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte
damals vorgeschlagen, wie aus Koalitionskreisen zu hören ist, "nicht unten,
sondern oben" ranzugehen. Aber Kristina Schröder bleibt hart.
Ebenso hart bekämpft sie Quoten: Die schadeten mehr, als sie nützten, und
seien wie Cortison - reine Symptombekämpfung. Inzwischen ist selbst Angela
Merkel der Quote gegenüber nicht mehr abgeneigt, und sogar die CSU hat sie
eingeführt. Dagegen setzt Kristina Schröder die Formulierung: "Quoten sind
die Kapitulation der Politik."
Zurück in Bremen. "Arbeitgeber verschenken wertvolles Potenzial, wenn sie
Mütter nicht ausreichend unterstützen", sagt sie. Um sie herum stehen
Wirtschaftsmänner. Ein kleines Kind wackelt in den Saal, juchzt und plumpst
in den dicken Teppich. Ein Unternehmer erzählt, wie teuer es für ihn ist,
wenn Frauen längere Zeit wegen der Kinder ausfallen. Kristina Schröder
spricht weiter. Es ist wie beim Kampf David gegen Goliath: eine einzelne
Frau mit einem soften Familienthema gegen mehrere Männer mit starken
Renditeinteressen. Wer gewinnt, ist allerdings nicht ausgemacht. Die
Ministerin ist locker, souverän, sympathisch. Man denkt: Jetzt hat sie den
Bogen raus, jetzt startet sie durch. Es brauchte eben dieses Jahr, bis aus
Kristina Schröder und ihrem Ministerium eine Familie wurde.
Am nächsten Vormittag hockt Kristina Schröder auf einem schaukelnden
Spielgerät in einer Kita in Berlin. Neben ihr wippt Christine Haderthauer,
die Staatsministerin für Frauen und Arbeit in Bayern, vor ihr bauen sich
Mädchen und Jungen auf. "Wie heißt du denn?", fragt Kristina Schröder ein
kleines Mädchen. Kameras filmen das, am Abend sieht man im Fernsehen, wie
die Familienministerin von ihrer Kampagne für frühkindliche Bildung
erzählt. Es ist ein "Schröder-Termin", aber die CSU-Politikerin stiehlt
ihrer Kollegin die Show. Christine Haderthauer ist eloquent, flirtet mit
den Kameras und den Presseleuten. Kristina Schröder steht steif daneben und
lächelt verkrampft. Ihre Selbstsicherheit hat sie in Bremen gelassen.
Boys Day und Jungenbeirat
Termine in Kitas sind lästig. Aber Ursula von der Leyen hat das auch immer
so gemacht. Und konnte prima punkten damit. Kristina Schröder hat sich
immer dagegen gewehrt, auch noch dieses Erbe ihrer Vorgängerin anzutreten.
Gibt es denn gar nichts, das die aktuelle Familienministerin von der alten
abhebt? Wenigstens die Jungen- und Männerpolitik, ein völlig neues Feld im
Frauenministerium mit einem eigenen Referat?
Kristina Schröder versucht, sich hier stärker zu profilieren als anderswo.
Sie sagt: "Jungen, besonders die von Alleinerziehenden, sind in der Kita
und in der Grundschule fast nur von Frauen umgeben. Das ist nicht gut für
die Jungs, sie sind die Bildungsverlierer von heute." Zwei Studien haben
zwar gerade nachgewiesen, dass Lehrerinnen nicht für den geringen
Schulerfolg von Jungen verantwortlich sind, aber Kristina Schröder wischt
die wissenschaftlichen Ergebnisse weg wie Krümel vom Tisch. Sie will
demnächst einen Jungenbeirat einrichten, Jungs zum Boys Day schicken und
arbeitslose Männer zu Kita-Erziehern umschulen. Frau Schröder hat noch
weniger Interesse an Frauenpolitik als ihre Vorgängerinnen, sagt Marlies
Brouwers, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats: "Von einer Verbesserung der
Gleichstellung von Frauen und Männern, die ja immerhin Eingang in den
Koalitionsvertrag fand, kann keine Rede sein."
Ein paar Tage später tritt die Ministerin in Berlin bei der Deutschen
Rheuma-Liga auf. Sie schüttelt Hände, überreicht Preise, lacht. Sie ist
charmant beim Gespräch mit der Zeitung. Kurz bevor sie sich ihre Tasche
über die Schulter wirft mit einer Geste, als sei das der krönende Abschluss
einer anstrengenden Woche, sagt sie: "Ich hätte nichts dagegen, wenn der
nächste Familienminister ein Mann wäre."
10 Nov 2010
## AUTOREN
Simone Schmollack
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