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# taz.de -- Deutscher Feminimus aus US-Perspektive: Da lächelt die Amerikanerin
> Im Ausland verwundert es, dass die Deutschen Kind und Beruf beharrlich
> als Gegensätze handeln. Gibt es denn keinen Feminismus?
Bild: "Krippenplätze existieren nur auf dem Papier."
In New York belauschte ich unlängst ein Gespräch zwischen zwei
Akademikerinnen: "Habt ihr schon mal etwas vom deutschen Feminismus
gehört?" Kopfschütteln. Ich war erstaunt. Hierzulande heißt es ja, der
Feminismus sei überholt: Wir heutigen Frauen hätten längst, was die
gestrigen Frauen gewollt haben. Kristina Schröder symbolisiert derzeit wie
keine andere Politikerin diese Haltung - und hat damit die Debatte über den
deutschen Feminismus neu entfacht. Eine Art positiver Kollateralschaden.
Deutscher Feminismus?
Das US-amerikanische Ausland hingegen kann nicht erkennen, dass der
deutsche Feminismus bereits etwas erreicht hätte. Es fragt sich vielmehr,
ob ein solcher überhaupt existiert. Immerhin sei für eine fortschrittliche
Nation noch sehr wenig erledigt. Und so widmet die New York Times den
bizarren deutschen Frauen einen langen Artikel. Bereits in den ersten
Zeilen von "German Women" wird der Handlungsbedarf betont. Die Westler,
steht da zu lesen, prangerten gern die gesellschaftliche Stellung der Frau
in anderen Kulturkreisen an, etwa in den muslimischen, und verschonten
dabei ebenso gern andere westliche Länder, etwa Deutschland. So weit können
Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderdriften. Wir sollten diese
Differenz ernst nehmen.
Der Artikel ist nicht arrogant. Vielmehr bildet er die Alltagsrealität
vieler deutscher Frauen und vor allem Mütter ab und macht dabei weder bei
der gläsernen Decke noch dem Ehegattensplitting halt. Entsprechend wird der
deutsche Familienalltag als Keimzelle des Problems ausgemacht: zu wenige
Krippenplätze, kaum Ganztagschulen, unangekündigter Unterrichtsausfall.
Selbst die deutschen Ladenöffnungszeiten werden angeführt. Alles zusammen
verhindere den Wiedereinstieg von Müttern ins Berufsleben. Dass Deutschland
trotz seiner wirtschaftlichen Stärke diese strukturellen Probleme nicht
behebt, verführt im Ausland zur These von der Abwesenheit des Feminismus.
Anders vermag man sich die Retardiertheit nicht zu erklären.
Kristina Schröders Äußerungen nun veranschaulichen, warum sich die Lage
hierzulande nicht bessert: weil die Mehrheit der Deutschen die Missstände
nicht wahrhaben will; weil Frauen und Männer bei dem Thema sofort
gegeneinander gehetzt werden - und sich gegeneinander hetzen lassen. Denn
sie akzeptieren die Privatisierung eines strukturellen, gesellschaftlichen
Problems. Das Ergebnis: Der ohnehin vorhandene Beziehungskonflikt um das
geopferte berufliche Leben der Frau verschärft sich weiter. Das wiederum
hat zur Folge, dass Schwangerschaft viel öfter als anderswo als Problem
wahrgenommen wird. Wölbt sich in Deutschland ein Bauch, wird umgehend über
die negativen Folgen für die Karriere debattiert.
Schwangerschaft als Problem
Populäres Beispiel ist derzeit Andrea Nahles. Die SPD-Vorsitzende erklärte
öffentlich, wer immer auf ihren Posten giere, solle sich besser nicht
verschätzen: Sie werde schnellstmöglich zurückkehren, auch wenn ihr das
Herz brechen sollte. Und die Leute finden, sie sollte ihren Ehrgeiz zügeln
und sich mehr um ihr Kind kümmern. Zum Vergleich: Als die französische
Politikerin Rachida Dati schwanger wurde, wurde darüber spekuliert, ob
Sarkozy der Vater sei. Die spanische Verteidigungsministerin Carme Chacón
nahm hochschwanger und sehr stolz eine Militärparade ab. Schwangerschaft
als Makel zu begreifen kam ihr offensichtlich nicht in den Sinn. Doch in
Deutschland bedeutet Mutterschaft unverändert vor allem eines:
Karriereknick. Behält eine Frau ihre Ambitionen bei, "organisiert" sie ihr
Kind "weg". In Frankreich kommt heute keine vernunftbegabte Person mehr auf
die Idee, berufliche Selbstverwirklichung und Mutterschaft als Antithesen
zu handeln.
Und so sitzen zahllose hervorragende Akademikerinnen, ohne zu murren, auf
Stellen im Papierdienst. Ihre Fähigkeit zum abstrakten Denken, deren Erwerb
den deutschen Staat viel Geld gekostet hat, verkümmert bei der Bedienung
gängiger Internetbrowser nebst der Pflege von Aktenordnern. Der Chef ist
überfordert, da ihm seine überqualifizierten Mitarbeiterinnen mit ihren
ewigen Fragen und spitzen Bemerkungen auf den Schlips treten. Seine
Position gefährdet das nicht, denn weder wird er in Elternzeit gehen, noch
wird sein Kinderwunsch seine Ambitionen durchkreuzen. Die Kolleginnen, die
Kinder haben wollen, hingegen verpuppen sich nach einem Ausflug ins
Berufsleben wieder in ihrem Puppenheim. Die entscheidende Karrierefrage
lautet für sie: Kann ich so arbeiten, dass ich Finn um zwölf von der Kita
abholen kann?
Diese Akademikerinnen wissen, dass ihr Mann seine Karriere nicht länger als
zwei Monate auf Eis legen wird: Phänomen "Vatermonate". Manche verzichten
auf Familie, um ihre berufliche Selbstverwirklichung nicht zu gefährden.
Der Volksmund schmäht sie dann als Egoistinnen.
Unbewusste Diskriminierung
Dass diese Konfliktlinie überhaupt besteht, das zu thematisieren wäre die
Aufgabe der Familienministerin - und der Betroffenen. Doch viele, zumal
jüngere Frauen verwenden ihre Kraft lieber auf 24-Stunden-Babyspiele und
die Geschirrspülmaschine. Kristina Schröder müsste auch für sie sprechen.
Doch ebenso wie für Feministinnen fehlt ihr auch für die Gruppe der
zurücksteckenden Mütter das Bewusstsein. In den USA nennt man solch eine
Haltung "unbewusste Diskriminierung".
Schon diese Sprachregelung signalisiert, dass in den USA die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf keine Kuschelfrage ist. Es ist Aufgabe der Politik,
die Realität so zu gestalten, dass Frauen mit Kindern problemlos Teil der
arbeitenden Gesellschaft sein können. Das gilt auch für alleinerziehende
Mütter. Ist dafür ein Kurswechsel nötig, muss die Politik die Weichen
entsprechend stellen. Das ist kein Gnadenakt, sondern Konsens.
Blicken wir ein letztes Mal hinüber zu den europäischen Nachbarn. So
vorbildlich Frankreich Mütter seit Jahrzehnten in den Arbeitsmarkt
integriert, im Mindestlohnsektor arbeiten dort zu rund zwei Dritteln
Frauen. Aus den Fehlern der Nachbarn sollten wir lernen: Wer sowieso
heillos spät dran ist, sollte es wenigstens besser machen.
23 Nov 2010
## AUTOREN
Jagoda Marinic
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