Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jürgen Trittin über den Grünen-Boom: "Wir sind keine Wohlfühlpa…
> Bürgerversicherung, ökologischer Umbau, höhere Hartz-IV-Sätze - Jürgen
> Trittin, der Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, erklärt, wie das
> gehen soll.
Bild: Kein Mann der Illusionen: Jürgen Trittin.
taz: Herr Trittin, die Grünen wollen mit der Bürgerversicherung ihre
eigene, gut verdienende Klientel belasten. Weiß die das schon?
Jürgen Trittin: Falsch. Beitragsbemessungsgrenze und Beitragshöhe sind
kommunizierende Röhren. 5.500 Euro erlauben einen halben Prozentpunkt
niedrigere Beiträge als 4.100 Euro. Deshalb werden mehr Menschen entlastet.
Wenn wir die Beitragsbemessungsgrenze auf 5.500 Euro anheben, wird, wer
4.000 Euro im Monat verdient, entlastet.
Sie versprechen außerdem, dass durch die Bürgerversicherung der
Beitragssatz für die Krankenkassen von derzeit 15,5 Prozent um 3
Prozentpunkte sinken wird.
Nein, ich habe gesagt, dass der Beitragssatz sinken kann - nicht, dass er
um einen festen Betrag sinken wird. Aber es ist entscheidend, ob diese
Kostensteigerungen bei 15,5 oder bei 13,1 Prozent ansetzen.
Woher dann der Optimismus?
Derzeit kann sich, wer mehr als 4.162,50 Euro im Monat verdient, privat
versichern. Das wollen wir ändern. Wenn wir die Beitragsbemessungsgrenze
auf 5.500 Euro erhöhen, kann der Beitragssatz für alle nach unseren
Berechnungen sinken.
Also wird in dem grünen Modell einer Bürgerversicherung die obere
Mittelschicht mehr, die untere weniger zahlen?
Wir wollen die einbeziehen, die jetzt privat versichert sind und nicht in
das gesetzliche Solidarsystem einzahlen. Und wir wollen nicht nur Lohn,
sondern auch Kapitaleinnahmen einbeziehen. Auch wenn Letzteres nach unseren
Berechnungen nicht so viel bringt.
Faktisch wollen die Grünen die private Krankenversicherung abschaffen. Wie
eigentlich?
Wir wollen die Privaten nicht verbieten. Wir wollen ihnen nur das Recht
nehmen, sich für sie kostengünstige junge, gesunde Versicherte
rauszupicken. Reichere bezahlen derzeit weniger Geld und bekommen dafür
eine bessere medizinische Versorgung. Das wollen wir ändern.
Aber die 9 Millionen derzeit privat Versicherten werden erst mal bei ihren
Versicherungen bleiben.
Ja. Deswegen ist das ein schrittweiser Prozess …
… der Jahrzehnte dauern kann. Und so lange geht die Rechnung - die privat
Versicherten zahlen mehr, deshalb wird es für alle billiger - nicht auf.
Wir wissen nicht, wie sich die privaten Krankenversicherungen
weiterentwickeln. Und auch nicht, wann es uns gelingt, die privat
Versicherten in das Solidarsystem einzubeziehen. Aber der Grundsatz der
Bürgerversicherung ist richtig: Alle zahlen entsprechend ihrer
Leistungsfähigkeit in ein Solidarsystem - und nicht nur, wer
sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und weniger als 4.162,50 Euro
verdient. Faktisch ist es doch so, dass die gesetzlich Versicherten 90
Prozent des Gesundheitssystems finanzieren. Dafür dürfen sie sich beim Arzt
hinten anstellen. Das macht viele aus gutem Grund wütend.
Die Grünen wollen Hartz IV auf 420 Euro erhöhen, den Kommunen mehr Geld
geben und die schwarz-gelben Sozialkürzungen rückgängig machen. Wer soll
das bezahlen?
Wir wollen das Ehegattensplitting abschmelzen, was etwa 2 Milliarden
bringt. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent anheben, was etwa
anderthalb Milliarden Euro bringt. Und wir wollen die Abgeltungsteuer
abschaffen und damit die Ungerechtigkeit, dass für Arbeit mehr Steuern
bezahlt werden müssen als für Einkommen aus Kapital. Und es wäre möglich,
etwa 8 Milliarden beim Abbau ökologisch schädlicher Subventionen zu sparen.
Halten Sie das für realistisch?
Laut Umweltbundesamt belaufen sich die umweltschädlichen Subventionen auf
insgesamt 48 Milliarden Euro im Jahr. Zum Vergleich: 8 Milliarden sind
weniger als die Subventionen für den Flugverkehr. Wenn man einen
sozialökologischen Umbau will, muss man das auch finanzieren. Wir sind eben
keine Wohlfühlpartei.
Subventionen für ökologisch schädliche Industrie, Vermögensabgabe, höhere
Spitzensteuer - ein bisschen viel auf einmal, oder?
Nicht wenn wir ehrlich sind. Mag sein, dass die Abschmelzung des
Ehegattensplittings nicht nur Jubel auslösen wird.
Trotzdem: Versprechen die Grünen nicht einfach zu viel?
Wir müssen uns einem Zielkonflikt stellen. Auch wenn es gelingt, wesentlich
mehr Geld einzunehmen, werden wir nicht alles gleichzeitig umsetzen können.
Denn klar ist, dass Schwarz-Gelb uns nicht den Gefallen tun wird, auf die
Schuldenbremse zu verzichten.
Die Schuldenbremse ist keine Gemeinheit von Angela Merkel - auch die Grünen
sind dafür.
Es geht nicht um dafür oder dagegen. Die Messe ist gelesen. Es steht in der
Verfassung. Und das heißt, dass zusätzlich zur Haushaltskonsolidierung 2013
10 Milliarden Euro gespart werden müssen.
Wo wären die Abstriche fällig: im sozialen Bereich oder beim ökologischen
Umbau?
Ich will, dass wir heute schon realistisch über diesen Zielkonflikt
debattieren. In ökologischen Umbau zu investieren ist mittelfristig auch
finanzpolitisch lohnend. Damit schaffen wir sozialversicherungspflichtige
Jobs.
Also keine Hartz-IV-Erhöhung.
Doch, vor allem aber Einführung eines Mindestlohns, das spart Geld für
Aufstocker und bringt Geld in die Sozialkassen.
An die Grünen heften sich viele Hoffnungen. Welche müssen sie enttäuschen?
Wir werden in unserem Wahlprogramm klar sagen, was wir wann umsetzen
können. Das ist ein Diskussionsprozess. Ich will da nicht vorgreifen. Wir
müssen die Verteilungsfrage seriös beantworten.
Welche Illusionen sind gefährlich für die Grünen?
Wir sehen diese Gefahr. Wir schüren keine Illusionen. Beispiel: Stuttgart
21. Es wäre einfach und billig, zu versprechen: Wählt uns, dann wird
Stuttgart 21 nicht gebaut. Das tun wird nicht. Im Gegenteil. Winfried
Kretschmann betont stets, wie schwierig das wird. Weil es verbindliche
Verträge gibt, weil eine schwarz-gelbe Bundesregierung womöglich, gegen
jedes vernünftige Haushalten, gegenüber einer neuen Landesregierung ein
Exempel statuieren will. Und auch bei unserer Programmarbeit gilt: Wir
werden alltagstaugliche, belastbare Konzepte vorlegen.
22 Nov 2010
## AUTOREN
Matthias Lohre
Stefan Reinecke
## TAGS
Schwerpunkt Stuttgart 21
## ARTIKEL ZUM THEMA
Überarbeitetes Konzept Bürgerversicherung: Klientelpolitik Marke SPD
Die SPD stellt ein weichgespültes Krankenversicherungs-Konzept vor.
Wesentliche Forderungen der Parteilinken sind nicht mehr dabei.
Schlichtung zu Stuttgart 21: Geißler will Schlichterspruch verkünden
Der Stuttgart-21-Vermittler Heiner Geißler verkündet am Dienstag einen
Schlichterspruch. Bis dahin werden noch zwei weitere Anhörungen abgehalten.
Generaldebatte im Bundestag: Regierung attackiert "Dagegen-Grüne"
Die "taktischen Spielchen", die die SPD der Regierung vorwirft, wurden bei
der Generaldebatte im Bundestag aufgegeben. Mit Verbalattacken griffen sich
die Parteien munter gegenseitig an.
Ausschluss bei Umweltministerkonferenz: Grüne wollen G-Länder-Gruppe
Nach ihrem Rauswurf as der Konferenz der Umweltminister unionsgeführter
Bundesländer wollen grüne Landeskoalitionäre ihr Verhalten im Bundesrat
besser koordinieren.
Nein zu Olympia 2018 in Deutschland: Grünes Nein juckt München wenig
Das olympische Nein der Grünen bedeutet noch lange nicht das Aus der
Münchner Bewerbung. Nur das IOC kann das Milliarden teure Vorhaben noch
stoppen.
Olympia-Bewerbung abgelehnt: Claudia Roth abgewatscht
Die Mehrheit der grünen Delegierten stimmt gegen eine Bewerbung Münchens
für die Winterspiele 2018 – und düpiert damit ihre Parteivorsitzende.
Grüne Bürgerversicherung: Klientel zur Kasse
Beim Parteitag in Freiburg entschieden sich die Grünen für eine starke
Bürgerversicherung. Das Modell soll besser, billiger und gerechter sein.
Ist das wirklich so?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.