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# taz.de -- Nach den Wikileaks-Veröffentlichungen: Die verstummte Welt
> Die Außenpolitik wird durch die Veröffentlichungen von Wikileaks
> schwieriger, wenn nicht unmöglich. Das ist gefährlich, auch im Hinblick
> auf die aktuelle Korea-Krise. Eine Analyse.
Bild: Werden künftig überlegen, was sie sich sagen: Guido Westerwelle und Amt…
Die Veröffentlichung vertraulicher US-Dokumente auf Wikileaks hat
verschiedene Ebenen, und die Ebene, über die jetzt alle reden und sich den
Mund zerreißen, ist ziemlich bedeutungslos. Die teils boshaften, teils
vernichtenden Charakterisierungen deutscher Spitzenpolitiker in Depeschen
von US-Diplomaten mögen für diese kränkend sein, aber sie werden das
Verhältnis zwischen Berlin und Washington nicht nachhaltig belasten.
Alle Beteiligten wissen, dass Einschätzungen des Gastlandes und seiner
Regierung zur Aufgabenbeschreibung von Botschaftern gehören. Weltweit.
Deshalb ist auch die Forderung lustig, die USA möchten sich nun doch bitte
entschuldigen. Wofür? Hier haben nicht Kinder hinter dem Rücken der besten
Freundin geklatscht, sondern Diplomaten haben das getan, wofür sie bezahlt
werden: Analysen geliefert.
Allerdings ist dies die einzige Ebene, die in diesem Zusammenhang lustig
ist. Erschreckend und deprimierend ist, dass die Realität offenbar
zahlreiche Verschwörungstheorien weit hinter sich lässt. Den Dokumenten
zufolge hat US-Außenministerin Hillary Clinton die Weisung erteilt,
UN-Repräsentanten bis hinauf zum Generalsekretär auszuspionieren. Andere
Unterlagen besagen, dass der Präsident des Jemen sich bereit erklärt hat,
US-Raketenangriffe auf angebliche Stützpunkte von Terroristen als eigene
Aktionen auszugeben. Derlei Vorgänge verstoßen gegen nationales und
internationales Recht.
Die Öffentlichkeit, vor allem die Bevölkerung der jeweiligen Länder, hat
einen Anspruch darauf zu erfahren, wenn sich eine Regierung kriminell
verhält. Nichts spricht dagegen, sondern alles dafür, Papiere zu
veröffentlichen, die derlei beweisen. Das ist übrigens in Ländern mit
Pressefreiheit ohnehin eine seit Jahrzehnten geübte Praxis. In dieser
Hinsicht liefert Wikileaks also zwar inhaltlich Neues, nicht aber
methodisch.
Methodisch neu ist etwas anderes, und das wird einen Schaden anrichten, der
sich in seinem ganzen Umfang bisher noch gar nicht überblicken lässt: die
weltweite Verbreitung von Dokumenten, auch von geheimen Dokumenten, die
ausschließlich deshalb ins Netz gestellt werden, weil jemand Zugriff darauf
hat. Nicht weil sie einen Skandal oder einen Rechtsbruch aufdeckten, nicht
weil sie besonders brisant wären. Sondern einfach deshalb, weil es sie
gibt.
Eine solche Veröffentlichung bedeutet das Ende jeder handlungsfähigen
Außenpolitik. Auch in einer demokratischen Gesellschaft hat die
Öffentlichkeit keinen Anspruch darauf, jederzeit über alles informiert zu
werden. Politische Akteure müssen sich - gerade auf der internationalen
Bühne - darauf verlassen können, dass Vertraulichkeit gewahrt bleibt.
Andernfalls machen sie die Schotten dicht. Wenn der ägyptische Präsident
jetzt im Netz seine Einschätzung nachlesen kann, dass der Iran enge
Verbindungen zu Terrornetzwerken unterhalte, er dies aber nicht öffentlich
sagen wolle, dann wird er es künftig überhaupt nicht mehr sagen. Auch nicht
im Vier-Augen-Gespräch. Dass die Welt sicherer wird, wenn nicht mehr
geredet wird, ist zu bezweifeln.
Kein einziges Abrüstungsabkommen zwischen den damaligen Weltmächten, kein
einziger innerdeutscher Vertrag wäre in der Zeit des Kalten Krieges je
zustande gekommen, wenn alle Details der Verhandlungen auf dem offenen
Markt der Nachrichten erörtert worden wären. Man mag sich gar nicht
ausmalen, welch verheerende Auswirkungen die Wikileaks-Papiere auf die
gegenwärtigen Versuche haben dürften, mit China eine Beilegung der
Korea-Krise auszuhandeln.
Das größte Problem besteht darin, dass es ziemlich egal ist, wie Einzelne
oder auch Regierungen die jüngsten Veröffentlichungen bewerten. Selbst wenn
90 Prozent der Weltbevölkerung sie für falsch hielten, würde das nichts
daran ändern können, dass auch künftig Geheimpapiere ihren Weg ins Netz
finden werden. Das ist die Realität der neuen Medien - die undemokratische
Seite dieser Realität.
Was für eine traurige Ironie, dass ausgerechnet neue Formen der
Kommunikation die Welt verstummen lassen könnten. Es sei denn, die
Regierungen besönnen sich auf archaische Formen des Dialogs und ließen
Leute wie weiland Klausjürgen Wussow als "Kurier der Kaiserin" zu Pferd
durch die Lande galoppieren. Seltsame neue Welt.
29 Nov 2010
## AUTOREN
Bettina Gaus
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