# taz.de -- Kommentar Wikileaks: So what? | |
> Gelästert wird überall und Quantität allein ist auch kein Wert. Die | |
> neueste Veröffentlichung auf Wikileaks ist wenig mehr als Gossip und | |
> zeugt vom Zerfall des Projekts. | |
"The end of diplomacy as we know it" soll die neueste Veröffentlichung von | |
Wikileaks-Dokumenten sein. Das kann man doch sehr anzweifeln. Politiker und | |
Journalisten geißeln die Veröffentlichung als "verantwortungslos". Dabei | |
ist es doch keine Neuigkeit, dass Guido Westerwelle kein sonderlich | |
souveräner Politiker ist. Der CSUler Horst Seehofer "begrenzt" und Angela | |
Merkel "selten kreativ". All dies war schon in deutschen Zeitungen zu lesen | |
und es ist wohltuend zu erfahren, dass man dies in den Vereinigten Staaten | |
auch so sieht. | |
Der große Knaller, den Wikileaks-Sprecher Julian Assange im Vorfeld | |
vollmundig ankündigte, ist die neueste Veröffentlichung nicht. Eher doch | |
Eigen-PR mit einem, mit Verlaub, äußerst boulevardesken Touch. Über die | |
Dokumente zur deutschen Politik kann man eher lachen, als dass sie | |
schocken. Die Beurteilungen über ausländische Politiker sind zum Teil | |
gravierender, gleichwohl sind die neuen Dokumente im Vergleich zu dem, was | |
Wikileaks in der Vergangenheit veröffentlichte, uninteressant. Und | |
Quantität als Wert machts dann auch nicht so. | |
Kein Vergleich zu den Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak, die | |
durch Wikileaks aufgedeckt wurden. Hier muss sich die US-Regierung in der | |
Tat fragen lassen, warum die Dokumente nicht schon innerhalb der | |
US-Institutionen aufgefallen sind und diesen Verbrechen nicht vorher | |
nachgegangen wurde. Man sieht: Eine Aufarbeitung innerhalb der | |
Institutionen findet ganz offensichtlich nicht statt, Verbrechen werden | |
vertuscht, Kriegs-Realitäten geleugnet. Insofern ist die Veröffentlichung | |
richtig, auch wenn es sich hierbei um Geheimnisverrat handelt. Es braucht | |
weiterhin mutige Informanten, die dies tun – und zwar so, dass sie ihre | |
eigene Sicherheit möglichst wenig gefährden. | |
Anonym etwas durchstechen zu können, ist weiterhin notwendig. Das Prinzip | |
von Wikileaks hat Zukunft, jedoch nicht das Wikileaks, wie wir es heute | |
kennen. Die neueste Veröffentlichung ist nichts als Gossip, ganz normale | |
Lästerei. Die Vermutung liegt nahe, dass Wikileaks-Macher Julian Assange | |
und seine paar verbliebenen Weggefährten ihr Material verschießen, um noch | |
etwas Aufmerksamkeit zu erzielen, bevor das Projekt ganz den Bach | |
heruntergeht. Es wird andere, neue, viele Wikileaks-Nachfolger-Projekte | |
geben. Die neueste Veröffentlichung ist nicht das Ende der Diplomatie, | |
sondern der Anfang vom Ende von Wikileaks. Und der Anfang von einer neuen, | |
transparenteren, ehrlicheren Demokratie. | |
29 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
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