# taz.de -- Kommentar Wikileaks: Diplomatie ist nicht unser Job | |
> Die Veröffentlichungen auf Wikileaks sind richtig. Sie zwingen die | |
> Medien, das eigene Rollenverständnis zu schärfen. Und beenden die Zeit | |
> mächtiger, elitärer Kreise. | |
Von Dammbruch ist die Rede, von nie da gewesener Verantwortungslosigkeit, | |
sogar von einer Zäsur in der Geschichte der Diplomatie. Richtig ist, dass | |
die mithilfe von Wikileaks veröffentlichten Berichte des | |
US-Außenministeriums zu diplomatischen Verwerfungen führen können. Im | |
Moment sind das allerdings nicht mehr als bloße Befürchtungen. | |
Falsch ist es, auf das Rückzugsgefecht der Betroffenen hereinzufallen und | |
Wikileaks als Quelle des Problems zu dämonisieren. Denn was tun die Männer | |
und Frauen um Julian Assange? Sie befolgen die Regeln der journalistischen | |
Handwerkskunst. Wikileaks stellt zugespielte Informationen zur Verfügung, | |
ohne zuvor bei den möglicherweise Betroffenen um Erlaubnis zu fragen. Ganz | |
normal, eigentlich. Journalisten sind keine Staatsmänner oder -frauen, für | |
die eventuelle diplomatische Verwerfungen mehr Gewicht haben können als die | |
Freiheit der Presse. | |
Gleichwohl gibt es im vorliegenden Fall einige Herausforderungen. Allein | |
die Menge von Daten, die mithilfe eines kleinen Sticks aus dem Pentagon in | |
die Öffentlichkeit geleitet werden kann, ist enorm. Trotzdem müssen sich | |
die Vereinigten Staaten fragen lassen, ob ihr größtes Sicherheitsproblem | |
mittlerweile nicht der offensichtlich aufgeblasene Sicherheitsapparat | |
selbst ist. Wenn es tausende von eingeweihten Mitarbeitern gibt, ist es nur | |
eine Frage der Zeit, dass ein frustrierter, enttäuschter oder aufgebrachter | |
Kollege nicht mehr dichthält. | |
Andererseits verfügen nur wenige Medienhäuser wirklich über die Kompetenz, | |
diese Daten auszuwerten. Das führt zu einer weiteren Besonderheit des | |
aktuellen Scoops: Die Originaldokumente liegen bisher nur insgesamt fünf | |
ausgewählten Medienhäusern vor. Der Rest der Welt muss sich für die | |
kommenden Monate auf deren Interpretation verlassen. Was aber heißt | |
"aggressiv", wenn wir nicht mal nachvollziehen können, in welchem | |
Zusammenhang Guido Westerwelle mit diesem Attribut bedacht wurde? | |
Richtig sind die Veröffentlichungen mithilfe von Wikileaks trotzdem. Denn | |
sie zwingen die Journalistinnen und Journalisten, ihr Rollenverständnis zu | |
schärfen. Eingeübte Verbandelungen zwischen Meinungsmachern und | |
Politikbetrieb werden problematisch. Das ist die eigentliche Zäsur, die | |
derzeit stattfindet. | |
Die Zeiten sind vorbei, in denen nur einige wenige eingeweihte, elitäre | |
Kreise darüber befinden konnten, welche Informationen wann gespielt werden. | |
Also: Weiter so, Wikileaks! | |
29 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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