# taz.de -- taz-Serie Berlin 2020 (Teil 4): Kultur: Der unermüdliche Kulturver… | |
> Dass Kultur Zukunft hat, ist für Olaf Zimmermann keine Frage. Aber es | |
> wird harte Verteilungsdebatten geben, sagt der Geschäftsführer des | |
> Deutschen Kulturrats. | |
Bild: Die Zukunft als Kissenschlacht. Lulu in der Schaubühne | |
Eigentlich ist Olaf Zimmermann ein altmodischer Mensch. Er fotografiert und | |
vergrößert seine Negative selbst auf antiquiertem Fotopapier. Noch lieber | |
schraubt er an vorsintflutlichen Radiogeräten in Kistengröße herum. Ein | |
Apparat mit der gasgefüllten Elektronenröhre zur Erzeugung elektrischer | |
Signale steht wie eine Reliquie vor seinem Schreibtisch. Und manchmal macht | |
er auf Ernst Jünger und sammelt Insekten. Sein Lieblingsinsekt ist die | |
besonders an Waldrändern herumsurrende Wegwespe. "In der Murellenschlucht | |
am Olympiastadion, da kann ich die stundenlang beobachten. Dann bin ich | |
glücklich." | |
Im Job als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats ist Olaf Zimmermann das | |
Gegenteil von altmodisch und bedächtig. Was aus der Chausseestraße 103, dem | |
Sitz des Dachverbandes der bundesdeutschen Kultureinrichtungen, kommt - | |
darunter der Rat für darstellende Kunst und Tanz, die Literaturkonferenz, | |
die Sektion Design, der Rat für Musik, die Baukultur oder Medien -, kann | |
ganz schön nerven. Wenn Zimmermann redet, ist er im roten Bereich. Gerade | |
hat er mit Aiman A. Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in | |
Deutschland, ein Dossier zur Islamdebatte publiziert und den Anti-Sarrazin | |
gegeben. "Wir dürfen da nicht zurück, sondern müssen im Dialog über | |
Religion und Interkulturalismus weiter vorankommen." Gemeinsamkeit zu | |
demonstrieren sei sinnvoller, als Migrantenbashing zu veranstalten. | |
Nicht weniger deutlich ist seine Meinung zur aktuellen Bildungspolitik. | |
"Die Eliten sind jetzt erst mal genug gepampert worden, nun sind die Loser | |
dran." Und wenn Kommunen, Länder oder Bund drohen, Museen, Theater oder | |
Orchester dichtzumachen, wie es mangels Budgets mancherorts geschieht, hört | |
der Spaß ganz auf. Dann wirft er den Verantwortlichen schon mal Barbarei | |
vor. Ein Verständnis für den Stellenwert von Kultureinrichtungen, Kunst und | |
Künstlern, eine "sinnstiftende visionäre Kulturpolitik sieht anders aus", | |
fasste Zimmermann die kulturelle Jahresbilanz der Republik 2009 zusammen. | |
An Visionen mangelt es ihm nicht. Da wird sein kleinen Büro zur Weltbühne: | |
"Wir handeln im Kulturbereich viel zu pragmatisch. Wir reagieren auf | |
drängende Probleme nur, statt zu agieren und uns über die Zukunft von | |
kulturellen Einrichtungen und Strukturen in unserer Gesellschaft sowie die | |
kulturpolitischen Herausforderungen im geeinten Europa Gedanken zu machen." | |
Eine Nummer kleiner geht es kaum: Zimmermann will einen | |
"Bundeskulturminister" und das Ende der föderalen Kulturkleinstaaterei. | |
"Kultur als Staatsziel muss ins Grundgesetz", steht ebenfalls auf seiner | |
Visions-Agenda. Und während die Parlamente die Etats herunterfahren, | |
fordert Zimmermann die Erhöhung der Kulturhaushalte. Wie beim | |
Euro-Schutzschild für EU-Pleiteländer möchte er einen "Nothilfefonds des | |
Bundes, um die Kultur in Finanzkrisen sturmfest zu machen". | |
Aber kann der Kampf um die Bedeutungssteigerung der Kultur in den | |
stürmischen Zeiten überhaupt gewonnen werden? Wenn man dem korpulenten | |
Wuschelkopf zuhört, scheint das greifbar. "Ich bin ein begnadeter | |
Verkäufer", sagt Zimmermann von sich. Viele sehen das ähnlich. Das | |
SPD-Mitglied Zimmermann, der Lobbyist der Kulturverbände beim Bund, in der | |
EU und anderen Institutionen, ist gut gelitten in den gegnerischen | |
Fraktionen - von Monika Grütters, CDU-Kulturexpertin im Bundestag, über | |
CDU-Kulturstaatsminister Bernd Neumann bis zu Peter Ramsauer, | |
CSU-Bauminister. Was sicher mit Kompetenz zu tun hat. Aber eben auch mit | |
seinem Verkaufstalent. | |
Von 1987 bis 1997 hat Zimmermann moderne Kunst ausgestellt und verkauft. | |
Direkt anvisiert hatte er den Job als Galerist nicht. 1961 kam Olaf | |
Zimmermann in Limburg/Lahn zur Welt. Aus Familientradition sollte er | |
Handwerker werden. Dann stellte sich heraus, dass er "zwei linke Hände" | |
hat, und nach ein paar Jahren Berufsfachschule schob er als "Zivi bei der | |
Mönchengladbacher Caritas in der Telefonzentrale Nachtschicht". Er suchte | |
nach Abwechslung. "Da habe ich alle Kunstbücher der Stadtbibliothek | |
durchgelesen." Das war das Schlüsselerlebnis. Zimmermann heuerte bei | |
Kunsthändlern an. Ein paar Jahre danach machte er seine eigene Galerie für | |
zeitgenössische Kunst in Köln auf. | |
Anfangs musste sich Zimmermann samt Frau durchbeißen, später konnte er von | |
den Erlösen gut leben. Millionen gemacht hat er nicht. "Das war eine | |
spannende, verrückte Zeit, ich habe Menschen Dinge verkauft, die sie | |
eigentlich gar nicht brauchten." In den 1990er Jahren, "in der Zeit, als | |
Kulturpolitik auf der Bundesebene so gut wie abgeschafft war", heuerte er | |
beim Kulturrat an. Seit 1997, erst in Bonn, dann in Berlin, dreht er als | |
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats der Politik die Interessen der | |
Kulturverbände an. | |
Mit Erfolg - und ohne. Dass der Kulturetat des Bundes seit Jahren nicht | |
fällt, es die KSK noch gibt und über die Probleme der Digitalisierung im | |
Kulturausschuss des Bundestages debattiert wird, geht mit auf das Konto des | |
Kulturrats. Ins Gehege gekommen ist sich Zimmermann dagegen mit der | |
CDU-Bundestagsfraktion, die das Gesetzesvorhaben Staatsziel Kultur | |
abblitzen ließ. Auch das Thema Bundeskulturminister bildet noch eine | |
Leerstelle. Und von der Kultur-Flatrate im Internet hält die zuständige | |
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nichts. | |
Zimmermann, der in zahlreichen Gremien im Reichstag sitzt und saß, stößt | |
hier an die Grenzen seines Tuns "als klassischer politischer Lobbyist", wie | |
ihn die Berliner Kulturverwaltung sieht. | |
Im Politikbetrieb benötigt man langen Atem und gute Freunde, um Dinge | |
durchzusetzen. Es gibt Rückschläge. Das weiß Zimmermann, nur manchmal wird | |
er ungeduldig: Es geht ihm zu langsam, es gibt zu viele Tabus, es fehlt der | |
Optimismus. | |
Mit Blick auf Berlin bezeichnet er die Perspektiven sogar "ausgezeichnet". | |
Es sei wichtig, dass - neben den Künstlern - die Politik und Wirtschaft die | |
großen Potenziale von Kunst und Kultur für die Stadt erkannt hätten. "Die | |
Stadt lebt mittlerweile von der Kultur", da sei jede Investition in Kultur | |
richtig. Er macht die Tour dhorizon über die Museumsinsel, den Hamburger | |
Bahnhof, das neue Galerienviertel und das Humboldt-Forum. Alles | |
ausgezeichnet. Es ist für Zimmermann darum keine Frage, dass Projekte wie | |
der Bau einer neuen Kunsthalle für die junge Szene kommen müssen. "Wir | |
haben keinen Ausstellungsraum für die zeitgenössische Kunst in der Stadt." | |
Da zudem immer mehr Künstler nach Berlin ziehen, verlange dies automatisch | |
nach solcherlei Struktureinrichtungen, sagt er. | |
In welche Richtung, in welchem Stil sich bis 2020 beispielsweise die | |
bildende Kunst entwickeln wird, interessiert den Kulturratschef nur | |
sekundär. Vielmehr geht es ihm um die Bedeutung kultureller Strukturen, den | |
Erhalt von Vielfalt - und darum, im Kampf gegen soziale Ungleichheiten in | |
der Kulturszene Waffengleichheit herzustellen. Dass die Eliten dafür | |
abgeben sollen, reicht nicht. Es braucht dazu Gesetze. | |
Zimmermann ist überzeugt, dass der private, kommerzielle und Eventcharakter | |
von kulturellen Ereignissen in Berlin mehr Bedeutung erhalten wird. | |
Zugleich müssten aber die öffentlichen Einrichtungen und immer mehr junge | |
Künstler weiter gefördert werden. "Die Lust auf Selbstverwirklichung wird | |
größer. Aber es wird auch schwieriger, diesen Traum zu leben. Es wird darum | |
neue Verteilungsdebatten in der Kultur geben." | |
Soziologen sehen da ein wachsendes Kulturprekariat heraufziehen. | |
Pessimisten geben schon jetzt die Schlacht für die öffentliche und junge | |
Kunst und Kultur verloren. Zimmermann nicht. Er kämpft für den Traum. | |
30 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
## TAGS | |
Künstlersozialkasse | |
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