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# taz.de -- taz-Serie Berlin 2020 (Teil 7): Mobilität: Jenseits der Spritschlu…
> Mobilität in der Zukunft heißt mehr als Elektroautos. Pkws werden von
> (fast) allen geteilt, es gibt immer mehr Radfahrer - und wer mit dem
> Wagen ins Zentrum will, muss zahlen.
Bild: Fährt heute schon elektrisch, zumindest PR-halber: Klaus Wowereit.
Autobahnen, so übereinandergestapelt, dass sie einem Schichtkuchen ähneln.
Fahrgäste in kleinen Einheiten von Schienenfahrzeugen, die sich je nach
Bedarf teilen oder verketten. Und natürlich die obligatorischen
Düsenantriebe, die einfach auf den Rücken geschnallt den schnellen
Transport von einem Ort zum anderen durch die Luft ermöglichen. Die
Vorstellungen von zukünftiger Mobilität ähnelten sich früher vor allem in
einem: Ihre Erwartungen bewegten sich weitab von der Realität.
Heute sind die Vorstellungen weniger Visionen als Vorhersagen.
Wissenschaftler und Planer setzen sich an den Computer, füttern ihn mit
Daten wie Bevölkerungswachstum und -struktur und erhalten verschiedene
Szenarien. So sieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in ihrer
Gesamtverkehrsprognose bis zum Jahr 2025 zwar einen "Anstieg der Mobilität"
voraus. Weil in Berlin aber weniger Menschen der sehr mobilen
Bevölkerungsgruppe zwischen 18 und 64 leben sollen, werde das
Verkehrsaufkommen insgesamt leicht abnehmen. Ein bisschen weniger Auto- und
Fußgängerverkehr, ein bisschen mehr Radverkehr und eine fast unveränderte
ÖPNV-Nutzung, so sieht die realistische Prognose aus.
"Die Prognosen, die zum Beispiel auf demografischen Berechnungen beruhen,
werden wohl richtig sein, aber innovativ ist das nicht", kritisiert Frank
Möller. Möller setzt sich in verschiedenen Initiativen für ein neues
Verständnis von Mobilität ein. Eines, das die Berliner von Lärm und Staub
entlasten soll, das die Umwelt sauber hält und der Stadt ihr Gesicht
zurückgibt. Ein Gesicht, in dem nicht Autos dominieren. "Die Vision für
Berlin?", fragt Möller. "Zentral ist eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs, zum
Beispiel mit Einweg-Carsharing. Das lässt sich innerhalb von fünf Jahren
umsetzen."
Bislang gilt beim Carsharing meist: Wer das Leihauto an einem Ort abholt,
muss es auch dort wieder zurückgeben. Das will Möller ändern. Ähnlich dem
Konzept, das derzeit etwa die Deutsche Bahn für Fahrräder anbietet, sollen
Autos an einem Ort geliehen und am Zielort zurückgegeben werden können. Das
ist die eine Seite, die nette, die, die Anreize schafft. Die andere Seite
ist eine, die Möller umschreibt: "Das V-Wort." Verzicht.
Denn nur, weil auf einmal das Carsharing flexibler wird, schaffen noch
nicht massenweise Menschen ihr Auto ab. Also braucht es über den Anreiz
auch noch Sanktionen. Parkplätze im öffentlichen Straßenland, wie es sie
jetzt überall gibt, sollen die Ausnahme werden. An dieser Stelle gerät
Möller ins Schwärmen. Wie die Stadt auf einmal aussehen könnte, ganz ohne
Autos an den Straßenrändern. Wie viel Platz es auf einmal geben würde, wie
man ihn nutzen könnte, wie ein ganz anderes Gefühl von Urbanität entstünde.
Den Begriff "Einweg-Carsharing" mag Weert Canzler, Mobilitätsforscher am
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), nicht so gerne.
"Öffentliches Auto" sagt er stattdessen. Aber gemeint ist das Gleiche:
Kleine Autos, die mit dem Smartphone geortet werden, gefahren und an einem
anderen Ort wieder abgestellt werden können. In zehn Jahren werde das gang
und gäbe sein. Die Nutzung dieser öffentlichen Autos soll mit dem
öffentlichen Nahverkehr verbunden werden - etwa über einen zusätzlichen
Chip auf der Monatskarte. Angetrieben werden die Fahrzeuge nicht mit
Benzin, sondern mit einer Batterie, die mit Strom aus erneuerbaren Energien
aufgetankt wird. "Ohne erneuerbare Energien", sagt Canzler, "macht das gar
keinen Sinn und wird auch von den Kunden nicht akzeptiert."
Hier taucht sie also auf: die Elektromobilität. Der Antrieb, der von der
Wirtschaft gerade als das nächste große Ding gehandelt wird, der den
Antrieb aus fossilen Brennstoffen ersetzen soll. In Berlin und Potsdam, die
als "Modellregion Elektromobilität" vom Bundesverkehrsministerium gefördert
werden, werden derzeit eine Hand voll Pilotprojekte geplant und teilweise
bereits umgesetzt. 80 Millionen Euro stecken Bund, Berlin und Brandenburg
sowie einige Unternehmen nach Angaben der Berliner Agentur für
Elektromobilität in die Projekte. In fünf Jahren sollen bundesweit 1
Million Elektrofahrzeuge unterwegs sein. Für Berlin und Brandenburg will
der Senat bis zum ersten Quartal 2011 einen Masterplan erstellen lassen.
Bei den meisten Pilotprojekten geht es darum, wie Elektrofahrzeuge
integriert werden können, wie die Akzeptanz und die Anwendung des Tankens
und Fahrens in der Praxis ist. Nur ein einziges Projekt befasst sich mit
Carsharing. Hier wird der Anbieter voraussichtlich mit
Wohnungsgesellschaften kooperieren. Die versprechen sich davon einen
Standortvorteil, der Charsharing-Anbieter neue Zielgruppen.
Einweg-Carsharing, öffentliche Autos soll es in der ersten Phase wohl nicht
geben. Man habe die Idee aber auf dem Schirm, versichert die Sprecherin der
Technologiestiftung Berlin.
"Propaganda", sagt Frank Möller und auch Canzler dämpft die Erwartungen:
"Es ist Unfug anzunehmen, dass das Auto, das wir jetzt haben, in Zukunft
einfach ersetzt wird durch das Elektroauto." Die Stärken des
Elektroantriebs lägen eher auf kurzen Strecken im innerstädtischen Bereich,
nicht auf der Urlaubsreise. Ergänzen also, nicht ersetzen, aber im Rahmen
einer sich wandelnden Mobilität insgesamt.
Denn Canzler erwartet neben dem öffentlichen Auto in zehn Jahren noch
weitere Veränderungen für die Stadt: einen deutlich höheren Fahrradanteil,
einen geringen Autoanteil und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung.
"Außerdem wird die Diskussion über eine City-Maut auf dem Höhepunkt sein
und die Einführung kurz bevorstehen."
Eine City-Maut gibt es bereits in London. Seit 2003 zahlen motorisierte
Verkehrsteilnehmer, wenn sie in oder durch die Innenstadt fahren wollen.
Ausnahmen gibt es unter anderem für Fahrzeuge mit Elektroantrieb - und
Gleiches erwartet Canzler auch für Berlin. War in der Vergangenheit der
Widerstand gegen eine City-Maut stets so groß, dass sie ohne Diskussion
sofort verworfen wurde, soll sich das 2020 geändert haben. "Es wird in zehn
Jahren weniger Verkehrsteilnehmer geben, die von so einer Maut betroffen
sind, daher wird der Widerstand geringer sein", sagt er. Darüber hinaus
stelle sich zunehmend die Frage, wie öffentliche Verkehrsinfrastruktur
finanziert werde. Nicht nur Bus und Bahn, sondern auch die Straßen. Auch
deren finanzielle Ausstattung könnte eine City-Maut zugutekommen.
Mit 10.000 Autos im Einweg-Carsharing könnte man rein rechnerisch den
Autoverkehr der gesamten Stadt betreiben, meint Möller. Canzler plädiert
dafür, mit etwas über tausend Fahrzeugen innerhalb des S-Bahn-Rings
anzufangen. "Beim öffentlichen Auto ist das Bewusstsein für die Nutzung
höher", sagt Canzler.
Ein stärkeres Bewusstsein. Öffentliche Autos. Mehr Radverkehr. City-Maut.
Düsenantriebe auf dem Rücken sind das nicht gerade. Das Potenzial, die
Stadt nachhaltig zu verändern, haben sie trotzdem.
5 Jan 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
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