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# taz.de -- Protestkarawane durch Westafrika: Gegen die "Festung Europa"
> 2.000 Kilometer zieht eine Karawane von Flüchtlingen, Bauern und
> Landlosen zum Weltsozialforum, um Europas Abschottungspolitik
> anzuprangern. Die taz ist mit dabei.
Bild: "Grenzen töten": TeilnehmerInnen an der Protestkarawane nach Dakar.
Bamako, 24. Januar
Das Experiment beginnt auf einer staubigen Brache. Normalerweise gehört die
Fläche in dem ärmlichen Außenbezirk von Malis Hauptstadt Bamako
trainierenden Fußballern. Doch heute hat hier die [1][Malische Vereinigung
der Abgeschobenen (AME)] einen Versammlungsort aufgebaut: Planen als
Sonnenschutz, Bänke, aus Boxen tönt Reggae-Musik, in einer Hütte wird
gekocht.
Zwischen Kindern, die mit leeren Konservendosen umherlaufen und um
Geschenke bitten, steht Alassanne Dicko und telefoniert ausdauernd. Dicko
ist der Präsident der AME, und er hat große Pläne: In den nächsten Tagen
sollen sich hier Basisinitiativen aus Westafrika und Europa sammeln und
aufbrechen zu einer Karawane des Protests.
"Europa öffnet sich nach innen, aber es zwingt Afrika dazu, sich zu
schließen", sagt Dicko. "Enorme Summen fließen hierher, um zu verhindern,
dass Menschen nach Europa kommen." Die Arbeit der AME ist eine Folge dieser
Politik: Mali ist voll von gestrandeten Migranten aus ganz Afrika, die auf
auf ihrem Weg nach Europa zurückgeschickt wurden - wie vor Jahren auch
Dicko selbst.
Die AME hat seit langem Kontakte zu antirassistischen Gruppen in Europa.
Als Dicko sie einlud, gemeinsam zum [2][Weltsozialforum] zu ziehen, sagten
diese zu. "Es ist ein Experiment", sagt Olaf Bernau vom "NoLager"-Netzwerk.
Das unterstützt in Deutschland Flüchtlinge bei ihren Versuchen, sich zu
organisieren. Doch auf die Dauer genüge das nicht: "Letztlich geht es
darum, das Dominanzverhältnis zwischen Nord und Süd zu verändern." Das sei
nur denkbar, "wenn Initiativen von hier und dort versuchen, trotz aller
Ungleichheiten auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten", so Bernau.
Ein Jahr lang bereitete das eigens gegründete
"[3][Afrique-Europe-Interact]"-Netzwerk diesen Versuch vor. Nun sind in der
Nacht die letzten europäischen Aktivisten in Mali angekommen. Einige hätten
es fast nicht geschafft: Sie waren bei einer Zwischenlandung in Paris im
Gefängnis gelandet. Aus Protest gegen eine Abschiebung hatten sie sich
geweigert, vor dem Start ihre Plätze einzunehmen. Doch jetzt sind sie da,
ebenso wie eine Delegation der Sans-Papiers aus Frankreich und rund 200 der
"Refoulées": Abgeschobene, zusammengeschlossen in der AME.
Bamako/Nioro, 26. Januar
Fünf Busse stehen am Morgen auf dem Platz bereit. Auf dem Boden türmen sich
Schaumstoffmatten, Transparente, Taschen voller Flugblätter. Mit Rucksäcken
bepackte Teilnehmer der Karawane treffen ein, Händler bieten ihnen
Zahnbürsten, Sandalen und Telefonkarten an. Ein Bus stammt aus Deutschland:
Ein Schild, das das hessische Dillenburg als Ziel ankündigt, hat noch
niemand entfernt. Nach zwei Stunden ist alles verstaut.
Die Fahrt ins mauretanische Grenzgebiet führt vorbei an Affenbrotbäumen,
Ziegenherden und vertrockneten Maispflanzen. In Nioro hat die
AME-Ortsgruppe einen großen Empfang in einem leeren Schulgebäude
organisiert. Auf winzigen Grills im Garten wird Tee in Metallkannen gekocht
und in kleinen Gläsern gereicht. Überall fliegen Heuschrecken umher, sie
landen in den Haaren, es gibt Streit um die Moskitonetze.
Der Polizeipräfekt verlangt eine Liste mit den Namen aller Beteiligten,
"aus Sicherheitsgründen". Seitdem Islamisten in Mali Ausländer entführen,
gilt auch Nioro als Einflussbereich von al-Qaida. Die AME hat deshalb die
Polizei um Schutz für die morgige Aktion gebeten. Als sich das
herumspricht, bricht eine wütende Debatte aus. "Ihr wisst doch genau, was
passiert, wenn die mitkommen: Am Ende schlagen sie uns", sagt ein
Kongolese. So ist es am Tag zuvor geschehen: Bei ihrer Kundgebung vor der
französischen Botschaft vertrieb die Polizei die Karawane mit Knüppeln und
Tränengas. In Nioro wird die Polizei schließlich wieder ausgeladen.
Nioro, 27. Januar
Am Morgen beginnt ein symbolischer Trauermarsch, eine 15 Meter lange Liste
wird durch die kleine Stadt getragen. Sie trägt die Namen von über 14.000
Menschen, die an Europas Außengrenzen starben. "Wir wollen an die Opfer der
Festung Europa erinnern", sagt ein Sprecher der Sans-Papiers, der sich
"Minister für Legalisierung" nennt.
Die Aktivisten legen die Liste vor der Präfektur auf der Straße nieder.
Roter Staub weht darauf, Kinder knien hin und wischen ihn weg. Tuareg in
blauen Gewändern stehen an der Seite und schauen zu, der
Papierlosen-Minister bittet um eine Schweigeminute. Eine ältere Frau
drängelt sich nach vorn, greift nach dem Mikrofon. Ihre Kinder sind im
Exil, aber sie weiß nicht, wo, und hat Angst um sie. Aus praktisch jeder
Familie in Nioro gehen Söhne auf der Suche nach Arbeit ins Ausland. "Wenn
ihr hier seid, um die Migranten zu verteidigen, dann grüße ich euch", sagt
die Frau.
"Mit unseren Forderungen rennen wir hier eigentlich offene Türen ein", sagt
Hagen Kopp aus Hanau. Vor Jahren hat er das Netzwerk "Kein Mensch ist
illegal" mitgegründet. "Die Frage ist nur, wie wir es schaffen, dass daraus
ein gemeinsamer politischer Prozess wird." Die Karawane mit ihren
Flugblättern, Stelzenläufern und Fotografen komme ihm vor "wie ein Ufo" in
der Wüste. Doch solange sich Europas Grenzen immer weiter nach außen
verschieben, müsse eine antirassistische Bewegung dem "Grenzregime an seine
Hotspots folgen", meint Kopp.
Gogui, 28. Januar
Gogui ist so ein Hotspot. Wer aus dem Bus tritt, den trifft der Wüstenwind
wie ein Schwall heißes Wasser, der Sandsturm lässt nach wenigen Minuten die
Augen brennen. An diesem winzigen Grenzort setzt die mauretanische Polizei
die Flüchtlinge aus, die spanische Einheiten der EU-Grenzschutzagentur
Frontex vor den Kanarischen Inseln abfangen. Das Gleiche tun die Algerier
weiter östlich an ihrer Grenze zu Mali. Manchmal nimmt das Rote Kreuz sie
in Empfang, manchmal auch nicht. Immer wieder sterben völlig dehydrierte
Flüchtlinge.
In Gogui hat die EU ein Schild aufgestellt: "Stoppt die irreguläre
Migration - sie gefährdet die malische Gesellschaft." Vor dem einzigen
einigermaßen intakten Haus hocken zwei Grenzpolizisten. Trotz der
brüllenden Hitze tragen sie schwarze Wollmützen, vor ihrem Mund
Schlafmasken, zum Schutz gegen den Sand. Außer ein paar Kindern sind sie
fast die einzigen Zuschauer des sich langsam formierenden Demozugs der
Karawane. Die will in Gogui "gegen all die Verbrechen an Flüchtlingen in
der Wüste" protestieren. Ein französisches Anarchistenpärchen sprüht
"Grenzen töten" an die Rückwand des Grenzhäuschens.
Die Polizisten führen ein Filmteam zu zwei völlig verfallenen Hütten, etwas
abseits der Straße. Sie gleichen Ziegenställen, drinnen liegen ein paar
vergessene Kleidungsstücke, weit und breit ist kein Wasseranschluss in
Sicht. "Hier können sich die Flüchtlinge ausruhen, bevor sie weiterziehen",
erklärt der Polizist.
Bamako, 1./2. Februar
Inzwischen treffen in Bamako am Abend die letzten Gruppen ein, die mit der
AME-Karawane nach Dakar reisen wollen. Tunesische Aktivisten, voller Stolz
auf ihren geglückten Regimesturz. Bäuerinnen aus Burkina Faso, denen
Großgrundbesitzer das Land streitig machen, auf dem sie Subsistenzanbau
betreiben. Togoische Flüchtlinge, die seit den Wirren bei den Wahlen 2006
in einem Flüchtlingslager im benachbarten Benin leben. Einer von ihnen ist
Amadou Tourai. "Es gibt hier so viele Probleme, die kann niemand allein
lösen. Deshalb will ich nach Dakar", sagt der junge Mann, der sein Studium
in Lomé abbrechen musste.
Dicko drückt es so aus: "Das WSF ist ein Ort, an dem sich die Kämpfer
treffen. Und darum wollen wir da sein." Auf fast 500 Menschen wächst die
Karawane an - und exponentiell steigen die Reibungsverluste: Bis unter
allen Präsidenten und Generalsekretären Einigkeit herrscht, vergehen nun
oft chaotische Stunden.
Bernau sieht das "eher mit einem lachenden Auge", sagt er. "Wenn wir uns
ernst nehmen, dann müssen wir lernen, auch unter schwierigen Bedingungen
zusammen Lösungen zu finden." Nur so könne "Vertrauen entstehen, das sich
hoffentlich später in politisches Vertrauen übersetzt."
Kayes 2./3. Februar
Kayes, im Westen Malis, ist eine Hochburg der Auswanderung. Am Morgen
beginnt eine Konferenz mit Bewohnern der Stadt. Die Deutschen haben ein
Theaterstück vorbereitet. Es schildert das Leben des in Dessau in einer
Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh. Eine Frau erhebt sich.
"Das macht einem ja Angst", sagt sie. Einige der Aktivisten sind sich
unsicher, ob das Stück die richtige Botschaft war. "Wir wollen nichts
romantisieren, aber andererseits wollen wir den Leuten ja auch nicht
ausreden, ihr Glück in Europa zu versuchen", sagt Hagen Kopp.
Dicko erhebt sich zu einer Rede. "Wir haben zwei Ziele, und sie sind uns
gleich wichtig", sagt er. Natürlich sei es besser, "wenn die
Lebensverhältnisse so sind, dass man bei sich bleiben kann". Deshalb sei es
fatal für ein Land wie Mali, wenn alle Jungen es verlassen. "Um soziale
Rechte müssen wir hier kämpfen", sagt er. Doch für ihn sei klar:
"Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht."
6 Feb 2011
## LINKS
[1] http://www.expulsesmaliens.info
[2] http://www.weltsozialforum.org
[3] http://www.afrique-europe-interact.net
## AUTOREN
Christian Jakob
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