# taz.de -- Norwegische Flüchtlingspolitik: Abschiebung eines Symbols | |
> In Norwegen ging sie zur Schule, machte ihren Uni-Abschluss und hat einen | |
> Arbeitsplatz. Ausgewiesen wurde Maria Amelie trotzdem. Nun soll die | |
> Praxis geändert werden. | |
Bild: Sorgte mit ihrem Fall für eine beispiellose Protest- und Solidaritätswe… | |
STOCKHOLM taz | Die "Norwegerin des Jahres 2010" ist in Norwegen nicht | |
willkommen. Vor zehn Tagen wurde Maria Amelie verhaftet und in | |
Auslieferungshaft genommen. Am Montag wurde sie nach Russland abgeschoben. | |
Dazwischen lag eine bislang einzigartige Protest- und Solidaritätswelle. | |
Diese konnte zwar die Abschiebung von Maria Amelie nicht stoppen, hat aber | |
eine baldige Rückkehr für sie wahrscheinlicher gemacht. Der 25-Jährigen | |
gelang es, das Schicksal Tausender in Norwegen lebender "Papierloser" aufs | |
Tapet zu bringen und dafür zu sorgen, dass die stramme norwegische | |
Flüchtlingspolitik teilweise gelockert werden wird. | |
Als Madina Salamowa wuchs Maria Amelie in Wladikawkas, der Hauptstadt von | |
Nordossetien, auf. 1998, nach einem Regimewechsel, Erpressungsversuchen und | |
Morddrohungen, flohen ihre Eltern mit ihr nach Moskau und dann über | |
Finnland nach Norwegen. Als im März 2003 die Ablehnung des Asylantrags und | |
die Ausreiseaufforderung kam, tauchte sie unter und lebt seitdem illegal in | |
Norwegen. Sie arbeitete schwarz als Haushaltshilfe, beendete das Gymnasium | |
und legte an der Uni Trondheim zwei Examen ab: einen Bachelor in | |
Sozialanthropologie und einen Master in Technik. | |
Über ihre Zeit in der Illegalität veröffentlichte sie unter dem Pseudonym | |
Maria Amelie 2010 das Buch "Ulovlig norsk" ("Illegal norwegisch"). "Ich | |
will erreichen, dass sich dein Leben verändert", schreibt sie im Vorwort. | |
"Wenn du es gelesen hast, möchte ich, dass du die Welt anders siehst." Das | |
Buch bewegte etwas. Die Osloer Wochenzeitung Ny Tid verlieh ihr den Preis | |
"Norweger des Jahres". Maria Amelie wurde ein Symbol für Tausende in | |
Norwegen lebende "Papierlose" und die Absurdität der Flüchtlingspolitik des | |
Landes. | |
Denn aus der Illegalität kennt das norwegische Ausländerrecht keinen Weg in | |
die Legalität. Illegale müssen ausgewiesen werden. Sie bekommen zusätzlich | |
ein Einreiseverbot für mindestens zwei Jahre und können danach versuchen, | |
einen Antrag auf Einreise als Arbeitskraft nach Norwegen zu stellen. | |
Norwegen sucht im Ausland händeringend nach Arbeitskräften. Und Maria | |
Amelie hat nicht nur theoretisch die Kompetenzen, die sie qualifizieren | |
würden: Sie hat einen Arbeitsvertrag und einen Arbeitsplatz, wo sie morgen | |
beginnen könnte. | |
Zu Russland hat Maria Amelie keinen Bezug mehr. Dass eine Rückkehr nach | |
Nordossetien ihr nicht möglich sein würde, gestand die norwegische | |
Ausländerbehörde zu. Aber sie könne sich ja "woanders" in Russland einen | |
Pass besorgen und die zweijährige "Quarantänezeit" bis zu einer legalen | |
Wiedereinreise nach Norwegen abwarten. | |
So lange wird es vermutlich nicht dauern. Zwei Stunden nachdem Maria Amelie | |
am 13. Januar von acht Polizeibeamten nach einem Vortrag in einer Schule | |
festgenommen worden war, gab es die erste Demonstration. Ihr folgten | |
Protestaktionen in mehreren Städten. Über 90.000 Namen zählte nach wenigen | |
Tagen die Facebook-Unterstützerseite "Sett Maria Amelie fri". Kirche, | |
zahlreiche Kulturpromis und Amnesty International engagieren sich für sie. | |
Dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg wurde seine | |
Neujahrsansprache vorgehalten, in der er verkündet hatte: Norwegen sei | |
stolz, das Erbe zu verwalten, das ein Fridtjof Nansen, der erste | |
Hochkommissar für Flüchtlinge des Völkerbunds und Friedensnobelpreisträger, | |
mit seinem Engagement für Flüchtlinge begründet habe. | |
Solchen Sonntagsreden musste die rot-rot-grüne Regierung Taten folgen | |
lassen. Künftig soll es für Illegale einen direkten Weg in die Legalität | |
geben. Bei Maria Amelie wurde auf einer Ausweisung bestanden, jedoch ihr | |
Wiedereinreiseverbot auf "null" Monate gesenkt. Oslo hat offenbar mit den | |
russischen Behörden eine bevorzugte Behandlung ihres Passantrags | |
vereinbart. | |
Nun könnten die Behörden beweisen, dass ihnen auch Papierlose etwas | |
bedeuten, die nicht so jung und intelligent seien wie Amelie und auch nicht | |
die "richtige" Hautfarbe wie diese hätten, hofft Akhenaton Oddvar de Leon | |
vom Rat der Migrantenorganisationen in Oslo. | |
25 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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