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# taz.de -- Aufruhr im Land des Weltsozialforums: Die neue Protestkultur von Da…
> In Senegal, wo das Weltsozialforum 2011 stattfindet, wächst der soziale
> Unmut. Die Koalition der Unzufriedenen reicht von religiösen Führern bis
> zur aufsässigen Vorstadtjugend.
Bild: Sie wünschen sich eine andere Welt, einen anderen Senegal: Aktivisten am…
DAKAR taz | Wenn es in Dakar Abend wird, machen Jugendliche ihrem Unmut auf
der Straße Luft. Reifen brennen, Steine werden auf Polizisten geworfen,
falls welche auftauchen. Die Wut wächst: "Oft haben wir Strom erst gegen 21
Uhr und dann in der Früh ist er wieder weg", sagt Karim Diallo. Der
freundliche 50-Jährige ist Gemeinderat in Guediawaye, einem Vorortviertel
von Dakar. Rund 300.000 Menschen sollen hier leben. "Wie sollen wir denn
ohne Strom arbeiten", schimpft Diallo: "Der Friseur braucht Strom, der
Schweißer braucht Strom, wir alle brauchen Strom."
Am Stromausfall kristallisiert sich der Unmut der Vorstädte Dakars, deren
Bewohner mit vielen Schwierigkeiten kämpfen: steigende Arbeitslosigkeit,
überfüllte Wohnungen. Das fehlende Abwassersystem verursacht
Überschwemmungen, die in der Regenzeit den Verkehr wochenlang blockieren.
Auch sickert das Wasser dann in die Erdgeschosse der kleinen Wohnblocks.
Die Transportkosten lasten ebenfalls auf den vielen Straßenverkäufern und
Gelegenheitsjobbern, die ins Zentrum von Dakar pendeln.
Karim Diallo wohnt mit seiner fünfköpfigen Familie in einer
Ein-Raum-Wohnung und bezahlt dafür 30.000 CFA-Franc (45 Euro) Miete pro
Monat. Er arbeitet für einen privaten Bauunternehmer und verdient um die
100.000 CFA-Franc (150 Euro). Ein Taxifahrer oder ein Wächter kommt auf die
Hälfte.
Misswirtschaft der staatlichen Stromgesellschaft Senelec sei Hauptursache
der Ausfälle, meint Momar Ndao, Vorsitzende der Konsumentenorganisation
Ascosen. Strom wird in Senegal hauptsächlich mit Öl erzeugt. Weil Senelec
seine Rechnungen nicht zahlt, weigert sich die Ölgesellschaft, weiter zu
liefern. Dabei hat die Regierung hunderte Milliarden CFA-Franc in Senelec
gepumpt. Gleichzeitig steigen die Strompreise. "Du hast keinen Strom und
bezahlst mehr als früher", erklärt Diallo, der auf eine Rechnung von 25.000
CFA pro Monat kommt, ein Viertel seines Einkommens.
Die Senegalesen haben den Ruf, ein friedliches Volk zu sein. Große
Aufstände sind nicht üblich. Den Marabouts - Würdenträger der mächtigen
muslimischen Mouriden-Brüderschaft - kommt traditionell die Rolle zu, die
Bevölkerung zu Loyalität gegenüber dem Staat aufzurufen. "Heute werden sich
unsere Marabouts nicht mehr trauen, Wahlempfehlungen auszusprechen", sagt
aber Karim Diallo. Er ist in einer Mouriden-Gemeinschaft engagiert. "Auch
wir wollen nicht mehr, dass sie sich mit unserem gespendeten Geld im
Reichtum wälzen".
Abdouramen Seck, Anthropologe an der Universität Anta Cheihk Diop, teilt
diese Meinung. "Was man den senegalesischen Sozialvertrag nannte, existiert
nicht mehr. Die Religiosität der Muslime ist stärker sichtbar geworden."
Bei den Hungerunruhen 2008 führten erstmals Imams aus den Vorstädten
Protestmärsche an.
Seitdem, sagt Seck, tragen die religiösen Organisationen die sozialen
Belange der Bevölkerung in die Öffentlichkeit. "Die Banlieue ist auch ein
Ort der Innovation geworden", meint Seck weiter. "Was hier passiert, wird
in der Stadt übernommen, in der Mode oder auch in den Medien. Dort findet
die Eigenart der Sprache Einzug." So verbreitet sich eine neue
Protestkultur.
Angesichts der Fülle an Problemen wartet die Bevölkerung mit Ungeduld auf
die Wahlen 2012. Der 84-jährige Präsident Abdoulaye Wade regiert seit 2000;
damals trat er unter der Parole des Wandels an und entmachtete die seit der
Unabhängigkeit regierenden Sozialisten. Doch sein Versuch, seinen Sohn
Karim Wade zum Bürgermeister von Dakar zu machen, scheiterte am breiten
öffentlichen Protest.
Die Opposition hat sich in der Wahlallianz Benno Siggil Sénégal (Gemeinsam,
um Senegal zu retten) zusammengetan. Wades Gegner sind zuversichtlich. "Es
ist nicht Tunesien oder Ägypten hier", sagt Youssou Diatta, ein 38-jähriger
Arbeitsloser. "Wir leben nicht in einer Diktatur. Wir sind keine Monarchie.
Und der Karim, er kann nicht mal unsere Sprache Wolof!"
7 Feb 2011
## AUTOREN
Odile Jolys
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