| # taz.de -- Protestappelle in China: Regime fürchtet arabische Verhältnisse | |
| > Im Netz gab es Aufrufe zu einer chinesischen "Jasmin-Revolution". Demos | |
| > fanden keine statt, aber Festnahmen. Die Zensoren wüten. Liu Xia meldete | |
| > sich heimlich aus ihrem Hausarrest: "Ich weine." | |
| Bild: Proteste für die Freilassung des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers… | |
| PEKING taz | Kritische Blogger in China reagierten gestern sarkastisch auf | |
| die Versuche der Pekinger Regierung, das Internet von politisch heiklen | |
| Begriffen wie "Jasmin-Revolution" zu säubern. Der Pekinger Künstler Ai | |
| Weiwei wagte Voraussagen in politischer Botanik, etwa ein Verbot von | |
| „Pflaumenblüten-, Pfingsrosen- und Azaleen-Revolution" oder vielleicht auch | |
| „Sonnenblumen-Putsch". | |
| Ein anderer Kommentator kündigte eine "magische-Hu"-Kampagne" für den | |
| nächsten Sonntag an. Mit Hu meinte er den mächtigsten Mann Chinas, Staats- | |
| und Parteichef, Hu Jintao. | |
| Der Aufruf zu einer chinesischen "Jasmin-Rebellion" nach arabischem | |
| Vorbild, der die Zensoren so verärgerte, war auf Umwegen nach China | |
| gekommen, per Twitter und auf chinesischsprachigen Blogs wie [1][Boxun.com] | |
| im Ausland - beide in China nur mit spezieller Software zugänglich, da sie | |
| blockiert werden. In dreizehn Städten China zugleich sollte man sich am | |
| vergangenen Sonntag um 14 Uhr an einem bestimmten Platz versammeln und laut | |
| rufen: "Wir wollen Essen, wie wollen Arbeit, wir wollen Wohnungen, wir | |
| wollen Gerechtigkeit!" | |
| Niemand wusste, wer hinter der Aktion steckte, ob es sich um einen Scherz | |
| oder eine Provokation handelte, oder ernst gemeint war. Der angegebene | |
| Treffpunkt in der belebten Pekinger Wangfujing-Geschäftsstraße vor dem | |
| McDonalds-Restaurant jedenfalls sorgte dafür, dass die Aktion ein bisschen | |
| Aufsehen erregte, auch wenn kein Demonstrant weit und breit irgendwelche | |
| Parolen rief. | |
| Festnahmen verhindert | |
| Zahlreiche Journalisten mit Kameras warteten darauf, dass etwas geschah, | |
| ebenso wie ein Trupp von Polizisten in Zivil und in Uniform - was wiederum | |
| die Menge schaulustiger Passanten immer weiter anwachsen ließ. Nur ein | |
| einziger Mann mit einer weißen Blume schien den Beamten so verdächtig, dass | |
| sie ihn fast mitgenommen hätten, was die Umstehenden verhinderten. | |
| Anderswo, etwa in Shanghai, gab es ein paar Festnahmen. Wie viele Chinesen | |
| dem Aufruf insgesamt gefolgt waren, ist unklar. | |
| Kurzum: Eine chinesische "Jasmin-Revolution" fand nicht statt. Doch die | |
| Reaktion der Behörden zeigt, wie empfindlich die Pekinger Regierung und ihr | |
| Sicherheitsapparat derzeit jedes Zeichen von Aufsässigkeit registrieren. | |
| Die Gedankenpolizisten machen Überstunden. In den vergangenen Tagen wurden | |
| zahlreiche bekannte Bürgerrechtler festgenommen oder unter Hausarrest | |
| gestellt. Polizisten holten die Anwälte Teng Biao und Jiang Tianyong ab und | |
| konfiszierten ihre Computer. Ihr Kollege Tang Jitian und andere werden nach | |
| Berichten von Menschenrechtsgruppen vermisst. | |
| Trotz des strengen Hausarrests in ihrer Pekinger Wohnung gelang es der Frau | |
| des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo, mit einem alten Computer eine Verbindung | |
| zum Internet herzustellen. Sie fühle sich "elendig", schrieb die 51-Jährige | |
| am Donnerstag in einer Online-Unterhaltung mit einem Freund, wie die | |
| [2][Washington Post] berichtete. "Ich weine", schrieb Liu Xia. "Niemand | |
| kann mir helfen." Ihr Anwalt Shang Baojun berichtete der dpa, seine | |
| Mandantin werde in völliger Isolation gehalten. "Ich kann immer noch keinen | |
| Kontakt zu ihr aufnehmen." | |
| Die Washington Post konnte die Echtheit des Transkripts nicht unabhängig | |
| bestätigen, berichtete aber, dass ein anderer Freund ebenfalls gesehen | |
| habe, dass Liu Xia online gewesen sei. Sie hatte ihren Mann ein letztes Mal | |
| am 10. Oktober im Gefängnis besuchen können. Danach gab sie noch kurze | |
| Interviews und verbreitete ein Schreiben, bevor sie unter Hausarrest | |
| gestellt wurde. | |
| Wer jetzt in China die Schriftzeichen für „Jasmin" googelt, muss zusehen, | |
| wie der Computerbildschirm festfriert. Wer bei den populären Suchdiensten | |
| wie [3][Baidu] oder Blog-Providern wie [4][Sina.com] Begriffe wie | |
| "Jasmin-Vorfall", "Jasmin-Bewegung" oder "Jasmin-Revolution" eintippt, kann | |
| die entsprechenden Webseiten nicht mehr öffnen oder erhält die Warnung, | |
| keine "politische, heikle... oder anderswie unzulässige Inhalte" zu | |
| verbreiten. | |
| Angst der Regierung | |
| Staatschef Hu hatte am Samstag an die politische Führung des Landes | |
| appelliert, "wichtige Probleme zu lösen, die die gesellschaftliche Harmonie | |
| und Stabilität bedrohen könnten".Er forderte sie zugleich auf, die | |
| öffentliche Meinung korrekt "zu lenken". | |
| Hinter solchen Formulierungen steckt die Sorge, dass ein Funke - wie der | |
| Zorn über das Schicksal eines armen Gemüsehändlers in Tunesien - auch in | |
| China ausreichen könnte, Unruhen zu entfachen. Zu den Problemen, die die | |
| Chinesen plagen, zählen zum Beispiel schnell steigende Preise bei den | |
| Lebensmitteln, vertuschte Skandale um gesundheitsschädliche Babymilch oder | |
| Medikamente, die Enteignung von Bauernland und der arrogante und korrupte | |
| Lebensstil vieler Funktionäre. Diese Entwicklung hat auch innerhalb der KP | |
| zu Reformforderungen geführt. | |
| Peking steckt viel Geld in die "Lenkung der öffentlichen Meinung" durch | |
| gezielte Kontrolle und Ausrichtung des Internets und der Medien. Zu den | |
| Tabus zählen Informationen über Lebensstil und Geschäftsinteressen der | |
| herrschenden politischen Familien und ihrer Seilschaften in China. | |
| Ein politisches System mit demokratischen Freiheiten, wie es jetzt in den | |
| arabischen Rebellionen gefordert wird, lehnt Chinas Regierung als | |
| "westlich" ab - oder verschiebt es auf die ferne Zukunft. | |
| Die amtliche Global Times zum Beispiel erklärte gestern in einem Artikel | |
| unter der Überschrift: "Chinas Aufstieg erfordert Reife der Bürger", die | |
| Chinesen müssten auf Demokratie noch "einige Jahrzehnte" warten. Das Blatt | |
| forderte die Intellektuellen des Landes auf, die Stabilität und Harmonie | |
| "nicht zu untergraben". | |
| 21 Feb 2011 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://boxun.com/ | |
| [2] http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2011/02/19/AR201102190… | |
| [3] http://www.baidu.com/ | |
| [4] http://www.sina.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jutta Lietsch | |
| ## TAGS | |
| taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
| taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Lesung für Autor Liu Xiaobo: Freiheit dem Selbstzweifler | |
| In Berlin fand eine Lesung für die Freilassung des chinesischen | |
| inhaftierten Autors und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo statt. | |
| Pressefreiheit in China: Peking rechtfertigt Journalistenprügel | |
| Die Arbeit ausländischer Korrespondenten in China wird wieder erschwert. | |
| Die Lockerungen, die es zu Olympia 2008 gegeben hatte, sind faktisch | |
| aufgehoben. | |
| Protestaufruf in China: Hundertschaften gegen Spaziergänger | |
| Auch die Staatsmacht liest das Internet: Chinas Regierung geht mit einem | |
| Großaufgebot der Polizei gegen potenzielle Demonstranten vor. Und verhaftet | |
| zeitweise Journalisten. | |
| Politdrill in Chinas Schulen: Aus lauter Liebe zur KP | |
| An jedem ersten Montag im Monat müssen Schulkinder in China vor der Fahne | |
| der Kommunistischen Partei stramm stehen. Chinas Mikroblogger sind empört. | |
| China setzt bei Zensur auf Terror: Schläger mit Regierungsauftrag | |
| Die Medien in China sollen eingeschüchtert werden: Internationale | |
| Journalisten wurden bedroht und mit Steinen beworfen, damit sie nicht den | |
| Aktivisten Chen Guangcheng treffen. | |
| Kolumne Nebensachen aus Peking: Null Toleranz für Fälscher | |
| In China gab es eine ganze Reihe von Plagiatsskandalen, der | |
| Wissenschaftsminister hat eine "Null-Toleranz-Kampagne" ausgerufen. | |
| Forscher über Proteste und Social Media: Facebook will kein Revoluzzer sein | |
| Ist Facebook der Star der arabischen Revolten? US-Netzforscher Ethan | |
| Zuckerman spricht mit der taz über den Einfluss sozialer Medien und die | |
| Kunst des Zuhörens. |