# taz.de -- Wie die Union ihren Markenkern beschädigt: Das Guttenberg-Opfer | |
> Die Union merkt nicht, dass sie kein Kavaliersdelikt deckt, sondern einen | |
> Schaumschläger. Mit der Abfälligkeit gegenüber akademischen Regeln verrät | |
> sie ihre Kernwähler. | |
Bild: Ist sich keiner Schuld bewusst: Karl-Theodor zu Guttenberg. | |
Seit einer knappen Woche wissen wir, dass das Delikt, das Karl-Theodor zu | |
Guttenberg zur Last gelegt wird, nicht als Bagatelle abgetan werden kann. | |
Okay, Monika Hohlmeier verlachte alle Kritik bei "Anne Will" an der | |
nachgewiesenen Plagiathaftigkeit der Doktorarbeit des Freiherrn - aber sie | |
wie auch Norbert Geis und überhaupt alle, die seitens der CSU diesem vor | |
zehn Tagen noch als Popstar verhandelten Mann beisprangen, taten dies so | |
überselbstbewusst, so in der Tonlage falsch empört: Warum machte dies | |
niemanden stutzig? Oder dass Guttenberg viel zu motzig den Verdacht des | |
Plagiats "abstrus" hieß? | |
Nun hat er auf den Titel verzichtet, jetzt müsse es wieder um das | |
eigentlich Wichtige, um Krieg und Frieden und so gehen. Daneben wirkt | |
natürlich alles minder! Aber Guttenberg konnte gar nicht auf den Titel | |
verzichten – er musste ihm erst aberkannt werden, was am Mittwochabend die | |
Bayreuther Universität gnädig zurückhaltend besorgte. Des Ministers Geste | |
erweist sich als die eines Diebes, der beim Stehlen ertappt wurde und das | |
ungeschehen machen möchte. | |
Zum Glück für Guttenberg hatte sich die Promotionskommission der rechts- | |
und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität nicht mit der | |
Frage befasst, ob es sich bei den fehlenden Quellenangaben um einen | |
Täuschungsversuch handelt. Man begnügte sich, trocken festzustellen, dass | |
Guttenberg gegen die wissenschaftlichen Pflichten "in erheblichem Umfang | |
verstoßen" habe. | |
Damit bleibt die Frage offen, ob zu Guttenbergs Abschreiberei nicht auch | |
strafrechtlich relevant ist. So viel Juristerei hat der CSU-Star ja | |
gelernt, er kennt den Unterschied zwischen Schummelei beim Kartenspiel und | |
vorsätzlicher Täuschung. Und dieser Mann kann kaum anders denn mit Vorsatz | |
gehandelt haben – es sind einfach zu viele "faule" Stellen gefunden worden. | |
Die Fülle an plagiierten Passagen, so gewinnt man den Eindruck aus | |
Guttenbergs Reaktion, scheint ihm selbst erst am Wochenende bewusst | |
geworden zu sein. Hat er eventuell die Doktorarbeit nur in groben Umrissen | |
konzipiert, sie aber von anderen verfassen lassen? Ist er einem nicht allzu | |
kunstfertigen Betrüger in der Rolle des Ghostwriters anheimgefallen? Wir | |
wissen es nicht. | |
Was mag ihn verführt haben, trotz bereits gut verlaufender Karriere | |
unbedingt noch promoviert werden zu wollen? Die über den Adelsstand | |
hinausgehende Bürgerlichkeit, die sich auch in Fleiß, Hartnäckigkeit und | |
der Leistung aus dem Persönlichen zur Geltung bringen muss? | |
Ungeklärte Fragen: Der Freiherr wird es mit seinem Gewissen vereinbaren | |
müssen, die bürgerlichen Regeln von Sitte, Anstand, Treu und Redlichkeit | |
verletzt, wie ein Dieb außer Kraft gesetzt zu haben. | |
Was an der Affäre insofern am meisten verblüfft, ist die moralische | |
Katzbuckeligkeit der Konservativen selbst, ihr weiches Rückgrat jenen | |
Tugenden gegenüber, die sie hochhalten. Die Bundeskanzlerin schnippte | |
kommentierend nur in die Debatte, sie wolle einen Politiker, keinen | |
wissenschaftlichen Mitarbeiter – als ob die inneren Sphären von Politischem | |
und Akademischem zu trennen wären, sollen sie, wie von und zu Guttenberg ja | |
beabsichtigte, zusammen in ihm identifiziert werden. | |
Andere Politiker aus dem schwarzen Spektrum argumentierten ähnlich: der | |
Minister, ein Sünder, der bei all den Sorgen um das Land, die ihn trieben, | |
nicht auch noch um Fußnoten ringen könne. | |
Aber stehen diese, pars pro toto, nicht für den Ausweis von Honorigkeit | |
schlechthin? Sind Fußnoten, so abfällig, wie sich auch der Kritisierte über | |
sie äußerte, wirklich nur Krümel? Oder nicht gerade die Details, die für | |
das Ganze stehen? Nämlich auch für das Vertrauen, das man einem Kandidaten | |
gegenüber hegen soll – und das Guttenberg nun enttäuschte wie ein | |
Strauchdieb, der deshalb gesteht, weil seine Tat der Beweislasten wegen | |
nicht zu leugnen ist? | |
Wenn Sozialdemokraten, Grüne und Linke zu dieser ins Graufeld des | |
Kriminellen langenden Geschichte nichts anderes zu sagen wissen, als dass | |
der Minister beschädigt sei, dass er zurücktreten solle, dann erkennt das | |
Publikum tatsächlich nichts als Neid und Missgunst auf einen Politiker, der | |
herablassend, blasiert und populistisch zu agieren pflegt. | |
Der Entschuldigungsbekenntnisse mit Worten wie "schmerzen" und "kränken" | |
garniert, als ginge es um Allzumenschliches: Die abgekupferten AutorInnen | |
mögen "verletzt" sein durch den Umstand, dass der Promovend ihnen geistiges | |
Gut stahl – oder auch nicht. | |
Es ändert nichts daran, dass der Minister sich als ein Gauner in einer | |
Sphäre, der akademischen, bewegte, in der Diebstahl wie Hehlerei hart | |
bestraft werden müssen, um die eigene Grundlage, die des Vertrauens und der | |
Ehrenhaftigkeit, nicht fundamental zu unterspülen. Dass er dies als Mann | |
einer Partei tat, die in allen Fällen populistischer Nützlichkeit | |
nötigenfalls Zuchthaus für Pfandflaschenschieber verlangen würde, ist eine | |
Pikanterie obendrein. | |
Der Freiherr mag ein gestresster Familienvater sein, ein kommunikativ | |
überforderter Mann – vor allem ist er ein Blender, dem jegliches | |
Unrechtsbewusstsein fehlte, als er sich noch nicht überführt glaubte. | |
Dieser Minister handelt, so darf man es kühl bündeln, aus der Position | |
jenes Adels heraus, der einst sich nahm, weil man glaubte, es stünde einem | |
zu. Ein Doktortitel? Warum nicht! | |
Dass die Konservativen mit ihren schützerischen Gesten diesem Mann | |
gegenüber ihren eigenen Markenkern beschädigen – der auf Vertrauen, Ehre, | |
Treu und Glauben setzt –, dass sie dies nicht einmal in ihrer Verzweiflung, | |
einen begabten Politikdarsteller aufgeben zu müssen, realisieren, ist für | |
die Union bedrohlich: Man merkt nicht, dass man kein Kavaliersdelikt deckt, | |
sondern einen Schaumschläger, der Noblesse spielte, aber die Gebote des | |
bürgerlichen Anstands zum Totalschaden brachte. | |
Denn die Elitenschelte, die nicht einmal dezente Abfälligkeit, die | |
Guttenberg und all die anderen seiner Fellows den akademischen Regeln, dem | |
intellektuellen Air überhaupt zukommen ließ ("Ist doch nicht so wichtig, | |
das Universitäre"), ist ein Bruch mit einem der Kerne des konservativen | |
Weltbilds: Die gebildeten Stände verrät man nicht. | |
Dieser Mann ist, gemessen an der Logik der Union, für Bildungsbürger, für | |
Intellektuelle, für Universitätsangehörige, eine Zumutung. Für die anderen | |
mag er ein Kriegsverwalter sein, ein stets präsenter Jugendherbergsvater | |
auf afghanischem Niveau. | |
Dass die Konservativen zugunsten der Stimmung bei den kleinbürgerlichen | |
Plebejern nicht auf ihn verzichten wollen, ihn nicht kaltstellen, besorgt | |
momentan nur wenige, etwa Günter Müchler im Deutschlandradio gestern | |
Morgen. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert zeigt sich sacht besorgt, | |
ob das Krisenmanagement Guttenbergs wirklich glücklich zu nennen sei. | |
Der Rest dieser Partei gibt die Standards konservativer Aufrichtigkeit en | |
passant preis, mit der Kanzlerin an der Spitze. Das ist somit der Auftakt | |
ihres Abstiegs. Aus dieser Nummer der antiakademisch grundierten | |
Doppelmoral kommen sie alle nicht mehr heraus. Die FDP ist an ihrer | |
Steuerbegünstigung für Hoteliers nicht mehr froh geworden, die Union lässt | |
einen ihrer Hoffnungsvollsten grundlos überleben. Das ist, bürgerlich | |
gesprochen, ehrlos. | |
24 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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