# taz.de -- Debatte Urheberrecht: Copy&Paste machen das Leben schön | |
> Angesichts der Guttenberg-Debatte hätten die Kulturpessimisten es endlich | |
> raffen können: Das Netz ist kein "rechtsfreier Raum", in dem "geraubt" | |
> wird. Doch leider: Fehlanzeige. | |
Bild: Schuhe gegen Guttenberg: Da ist auch CCC-Sprecher Frank Rieger dabei. | |
Eigentlich sollten die Kulturpessimisten nach der Guttenberg-Debatte es | |
doch endlich mal verstanden haben: Wer sich für eine Reform des | |
Urheberrechts ausspricht, will das Urheberrecht mitnichten abschaffen, | |
sondern: reformieren. Fitmachen fürs digitale Zeitalter. Der real | |
existierenden "Copy & Paste" Welt realistisch begegnen. | |
Doch Konservative und Holzmedien werden nicht müde zu behaupten, die | |
Internetaktivisten und die Piratenpartei hätten sich eine Abschaffung des | |
Urheberrechts auf die Fahnen geschrieben. Und: Guttenberg hätte doch genau | |
das gemacht, was diese Piraten immer fordern: Alles markieren, kopieren, | |
einfügen. So wäre sie eben, die "Copy & Paste Generation". Was ist es, das | |
diese Kulturpessimisten dazu treibt, solche Lügen weiterhin zu verbreiten? | |
Wieso glauben sie, Kopieren sei vergleichbar mit einem Raubüberfall? Ist es | |
Vorsatz? Oder ist es Dummheit, mangelnde Information? | |
Für das zweite spricht einiges. Zynisch betrachtet, hatten die | |
Konservativen mit den Aspekten des Urheberrechts im digitalen Zeitalter | |
bislang ja nur dahingehend zu tun, dass sie darüber beraten mussten, ob man | |
"Raubkopierern" das Internet kappen, es der Verwerterindustrie leichter | |
machen soll, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen – oder ob man doch gleich | |
Netzsperren gegen den “Ideenklau” im "rechtsfreien Raum Internet" | |
einrichten sollte. | |
Zumindest Ulf Poschardt sollte sich mit Urheberrecht auskennen. Immerhin | |
arbeitet er bei einer Zeitung. Das hielt den Springer-Feuilletonisten aber | |
nicht davon ab, mit dem Argument "Sampling – eine Kulturtechnik, die zu | |
Guttenberg passt" Äpfel mit Birnen zu vergleichen und [1][zu postulieren], | |
Guttenbergs Wissenschaftsbetrug käme bei der Jugend von heute gut an. "Der | |
Jay-Z der bürgerlichen Politik: Beim jüngeren Publikum wird die Erregung | |
über Guttenbergs Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es | |
sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner | |
Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu | |
perfektionieren". In ein ähnliches Horn stieß Khue Pham auf Zeit Online und | |
[2][verstieg sich] zu der Analyse: "Guttenberg war ein Pirat". | |
Was für ein Unsinn! Axolotl Reloaded – dummes Gerede ohne Substanz. Vor | |
einem Jahr, als die Feuilletons eher hilflos mit Helene Hegemans Roman | |
Axolotl Roadkill, für den Hegemann per Copy & Paste aus Weblogs | |
"recherchiert" hatte, umgehen mussten, dominierte die Sichtweise "so macht | |
die Internetgeneration das eben". In der taz wurde Hegemanns Arbeitsweise | |
mit einer Aktion [3]["wir haben abgeschrieben"] aufgegriffen. Gravierender | |
wiederholte sich die Geschichte mit Guttenbergs Wissenschaftsbetrug. Und | |
wieder wurde von der "Copy & Paste" Generation gesprochen. | |
Andreas Popp, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, hat in dem | |
Beitrag [4]["Warum Guttenberg kein Pirat ist"] den Knackpunkt genüsslich | |
auseinanderdifferenziert. "Ohne Zitation hat sich Guttenberg einer | |
Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht. Da wir Piraten das Urheberrecht | |
ja eh blöd finden, sollten wir Guttenbergs Aktion dann nicht gut finden? | |
Die Antwort lautet hier: Nein! (…) Das, was Guttenberg hier getan hat, hat | |
nichts mit Filesharing zu tun und auch nichts mit dem gewünschten | |
akademischen »Remix«, es ist schlicht und ergreifend Betrug". Popp schreibt | |
in seinem Beitrag auch sehr genau auf, dass ein Unterschied zwischen | |
privater Nutzung und einer Veröffentlichung besteht. | |
Witzig ist das langsam nicht mehr, wie ohne Sinn und Verstand die guten | |
Forderungen in der Netzpolitik lächerlich gemacht werden. Das ausgeklügelte | |
Creative-Commons-Lizenzsystem ist das Gegenteil von Regellosigkeit. Die von | |
unzähligen Urhebern gemachte Wikipedia – so gut wie, vielfach besser als | |
Offline-Lexika. Und auch die von vielen als "Monstrum" gescholtene | |
Kulturflatrate ist so unrealisierbar nicht, hat sie doch ein analoges | |
Vorbild: das pauschale Vergüten. Seit Jahrzehnten zahlt der Verbraucher auf | |
Leermedien und Kopiergeräte eine Abgabe, die in einen Topf kommen – der | |
wird über die Gema und die VG Wort an die Kreativen verteilt. Eine | |
Transformation der Idee ins digitale Zeitalter steht noch aus. | |
Dabei muss es aber verhältnismäßig zugehen. Es ist richtig, darauf | |
hinzuweisen, dass ein Song in den heutigen paradiesischen Zeiten der | |
unendlichen Kopierbarkeit weniger kosten muss als noch zu den Zeiten, da | |
die Platten-Presswerke und die Logistik mitbezahlt werden mussten. Auch ist | |
wenig gegen neue Geschäftsmodelle jenseits von großen | |
Verwertungsgesellschaften, Verlagen und Musik-Labels einzuwenden. Dass | |
diese etwas gegen ein offenes, verbraucherfreundliches Urheberrecht haben, | |
ist wenig überraschend – sie wollen ja ihre Besitzstände wahren. Und wollen | |
klagen, abmahnen, sperren. Im Zeitungsbereich soll ein | |
"Leistungsschutzrecht" die Pfründe der Etablierten sichern, vereinbart im | |
schwarz-gelben Koalitionsvertrag. | |
Dass sich die Piratenpartei und all die Aktivisten, die sich seit Jahren | |
für ein verbraucherfreundliches Urheberrecht im digitalen Zeitalter | |
einsetzen, gegen die Wünsche der Besitzstandswahrer wehren, ist richtig. | |
Damit wollen sie noch lange keine "digitale Anarchie" und auch nicht einen | |
"rechtsfreien Raum Internet", so wie die konservative Propaganda gern | |
behauptet. | |
Das Internet ist nicht böse und rechtsfrei – im Gegenteil. Schon heute ist | |
der Verbraucher beim Einkauf im Netz stärker geschützt als offline. | |
Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen auch, das Urheberrecht sogar | |
noch besser zu schützen als in der Vergangenheit. Zitate zieren nicht nur, | |
sie sind auch unbedingt nötig, wenn der Urheber dies will. Der Link ist die | |
neue Fußnote, der Urheber im Netz nur einen Klick entfernt. Respektieren | |
wir ihn! Denn "Copy & Paste" machen das Leben schöner. Schneller Zugang zu | |
Wissen – auch für Herrn Guttenberg. | |
4 Mar 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.welt.de/kultur/article12586811/Sampling-Kulturtechnik-die-zu-Gut… | |
[2] http://www.zeit.de/2011/10/Guttenberg-Ruecktritt-Internet | |
[3] http://blogs.taz.de/hausblog/2011/02/23/wir_haben_abgeschrieben/ | |
[4] http://andipopp.wordpress.com/2011/02/18/warum-guttenberg-kein-pirat-ist/ | |
## AUTOREN | |
Julia Seeliger | |
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