# taz.de -- Debatte Populismus: Germanys Next Topminister | |
> Guttenbergs Abgang hat eine Lücke gerissen. Denn die Sehnsucht nach | |
> Charismatikern nimmt zu - eine fatalistische Auslieferung an die Qualität | |
> des politischen Personals. | |
Bild: Schnell wird noch an einem neuen Motivwagen für den Kölner Rosenmontags… | |
Seinen Rücktritt hat sich der Verteidigungsminister a. D. redlich | |
erarbeitet. Nun ist die Messe gelesen. Doch bis zuletzt standen große Teile | |
der Bevölkerung hinter Karl-Theodor zu Guttenberg. Das Zentralorgan des | |
Boulevards bezog sogar eindeutiger Stellung als im Fall Thilo Sarrazins. | |
Bild konstatierte eine Kluft zwischen "Volksmeinung" und politisch | |
Gebotenem - und schlug sich auf die Seite "des Volkes". Folgerichtig | |
kommentierte Chefredakteur Kai Diekmann den Amtsverzicht in apokalyptischer | |
Rhetorik: Der Fall markiere eine "beängstigende Entfremdung zwischen | |
Regierten und Regierenden", ja: Die Demokratie sei in Gefahr. | |
Angesichts dessen könnte man sicherlich in Zynismus und Fatalismus | |
verfallen, beides Schutzhaltungen der intellektuellen Beobachtung. | |
Hilfreicher ist die Frage, welche Vorstellung von Demokratie sich im Zuge | |
dieses an Unterhaltsamkeit und Absurdität kaum zu überbietenden Schauspiels | |
manifestierte. Denn die anhaltende Unterstützung für zu Guttenberg gründet | |
ganz wesentlich auf der neuen Attraktivität eines personalisierten | |
Demokratiemodells, das nicht wenigen Autoren aus unterschiedlichen | |
Denkrichtungen geeignet erscheint, die vermeintlichen Defizite im viel | |
beschworenen Zeitalter der "Postdemokratie" zu überwinden. | |
Um falsche historische Konnotationen zu vermeiden, hat sich dafür der | |
Begriff der leader democracy des ungarischen Politikwissenschaftler Andras | |
Körösenyi eingebürgert. Dieser scheint geeignet, gleich zwei Probleme in | |
einem Aufwasch zu lösen: Einerseits steht "kraftvolles Regieren" für die | |
Rückgewinnung politischer Steuerungsfähigkeit, auch im Verhältnis zum | |
Markt. Gleichzeitig erhofft man sich einen Legitimitätsgewinn des | |
Politischen, der durch die derzeit ebenfalls populäre Losung "Mehr | |
Bürgerbeteiligung" allein vielleicht doch nicht erreicht werden kann. | |
## Plebiszitäre Postdemokratie | |
Wäre die Identifikation mit Volkstribunen nicht besser geeignet, das | |
plebiszitäre Element und die Attraktivität der Politik zu stärken? Nicht | |
zufällig vereinen erfolgreiche populistische Bewegungen personalisiertes | |
Führertum mit Forderungen nach direkter Demokratie. Max Weber postulierte | |
einst die "plebiszitäre Führerdemokratie" durchaus in freiheitlicher | |
Absicht: Die Auswahl zwischen Personen eröffne eine Sphäre der | |
Handlungsautonomie in Zeiten des ökonomischen Rationalismus. Vor dem | |
Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts schien dieser Gedanke | |
eigentlich desavouiert. Umso verwunderlicher ist es, dass er gerade im Zuge | |
der "Postdemokratie", wie unsere Ära von der politischen Linken genannt | |
wird, eine Renaissance erfährt. | |
## Obama als letzte linke Utopie | |
Die Politologen Claudia Ritzi und Gary S. Schaal etwa halten die leader | |
democracy heute für fast schon unausweichlich: "Postdemokratisch agierenden | |
Politikern muss es daher gelingen, sich Anerkennung als politische Führer - | |
sei es durch charismatisches oder durch pragmatisches Handeln - zu | |
verschaffen", lautet ihre Schlussfolgerung, der keine emanzipatorische | |
Perspektive hinzugefügt wird. Und Colin Crouch, bekanntester Protagonist | |
der Postdemokratiethese, bekannte einst in einem aufschlussreichen | |
Interview, das Vorbild der Obama-Bewegung sei "die Hoffnung für die | |
Zukunft". | |
Hier äußert sich eine letzte Zuversicht, die schon Heiner Geißler zum | |
kurzzeitigen Heilsbringer der Schlichtungsdemokratie werden ließ. Sie trat | |
auch im Fall zu Guttenbergs, ungeachtet der lobenswert eindeutigen | |
Positionierung der meisten Qualitätsmedien, selbst in liberalen Kreisen | |
hervor. Aufschlussreich war da Giovanni di Lorenzos Leitartikel zu der | |
Affäre in der Zeit (24. 2.). Dass er den Medien dort "etwas Jakobinisches" | |
unterstellte, ist nur eine betrübliche "Fußnote". Viel schwerer wog die Art | |
und Weise der Überhöhung des Personalen, mit der di Lorenzo Guttenberg als | |
Ausnahmeerscheinung mit "Ausstrahlung, Beliebtheit, Wirkung" beschrieb: Er | |
repräsentiere "eine Hoffnung für die politische Klasse", den sinkenden | |
Wahlbeteiligungen und der stetig größer werdenden Kluft zwischen Bürgern | |
und Politik mit Charisma entgegenzuwirken, weswegen er im Amt bleiben | |
sollte. Di Lorenzo argumentierte da nicht anders als Diekmann. | |
Nun gehörte Personalisierung schon immer zu den Grundelementen der Politik. | |
Empirisch ist es strittig, inwiefern ihr heute eine größere Bedeutung | |
zukommt. Neu ist jedoch, dass Hoffnungen auf eine Verbesserung der | |
Demokratiequalität und -legitimität derart stark auf einzelne Personen | |
abstellen, sei es Obama oder jetzt zu Guttenberg. Das kommt einer | |
fatalistischen Auslieferung an die Qualität des Personals gleich, wobei die | |
Archetypen vom "Macher" über den "Pragmatiker" bis hin zum | |
Milli-Vanilli-Politiker reichen. | |
## Allianzen mit dem Boulevard | |
Neben der populären Forderung nach direkter Bürgerbeteiligung liegt hier | |
ein zweiter, wenngleich oft nur implizit vermittelter Schwerpunkt | |
demokratischen Zukunftsdenkens. Eine seltsame und tendenziell gefährliche | |
Allianz zwischen Boulevard, Teilen der Medien, des Feuilletons und der | |
Wissenschaft wird hier sichtbar. | |
Geht man den Gründen für die Anziehungskraft der leader democracy nach, so | |
lassen sich aber durchaus alternative Reformoptionen ableiten, die zu einer | |
Wiederbelebung der Demokratie beitragen könnten. Folgt man Max Webers | |
Analyse, so besteht ein Vorteil der Führerauswahl in der prinzipiellen | |
Transparenz der Optionen. Ebenjene Transparenz der Verantwortlichkeit kommt | |
dem Politischen zusehends abhanden. | |
Die Sehnsucht nach Führerschaft erklärt sich auch aus dem Wunsch, | |
Verständlichkeit zurückzugewinnen. Insofern wäre die umfassende | |
Durchführung des Öffentlichkeitsprinzips eine Reformmöglichkeit. Wer | |
Schlichtungsverhandlungen zu einem Bahnhofsprojekt verfolgt, wird dies erst | |
recht bei Sitzungen des Vermittlungsausschusses tun. Hier würden sich | |
zwangsläufig Beziehungen zwischen Bürgern und Politikern herstellen, die | |
weniger an das Charisma als an die Sache gekoppelt sind. Belege für die | |
Überlegenheit dieses Programms finden sich in Geschichte und Literatur | |
zuhauf. Auf gesonderte Nachweise wird deshalb verzichtet. | |
5 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Markus Linden | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Guttenberg-Unterstützerseite bei Facebook: Echte oder Fake-Friends? | |
Über eine halbe Million Fans in wenigen Tagen. Das ließ viele | |
Netz-Beobachter zweifeln, ob es bei der Facebook-Seite "Wir wollen | |
Guttenberg zurück" mit rechten Dingen zu geht. | |
Pro-Guttenberg Demos: Verweile doch, du bist so schön | |
Während Exminister Guttenberg sich zum Gutmenschen stilisiert, wollen sich | |
am Samstag bundesweit Menschen mit ihm solidarisieren. Auch Kommunisten | |
feiern ihn. | |
Plagiate in der Forschung: Willkürlich am Pranger | |
Einige Wissenschaftler wehren sich erfolgreich gegen die Erwähnung in einem | |
Buch über Wissenschaftsplagiate. Gestritten wird auch darüber, wo | |
unerlaubtes Abschreiben anfängt. | |
Debatte Urheberrecht: Copy&Paste machen das Leben schön | |
Angesichts der Guttenberg-Debatte hätten die Kulturpessimisten es endlich | |
raffen können: Das Netz ist kein "rechtsfreier Raum", in dem "geraubt" | |
wird. Doch leider: Fehlanzeige. | |
Konservativ-liberale Lebensentwürfe: Fallen eines Summa-cum-laude-Lebens | |
Es lohnt, sich mit Guttenbergs Lebensentwurf weiter zu beschäftigen. | |
Erhellend ist aber auch, die konservativ-liberale Regierung insgesamt zu | |
betrachten. |