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# taz.de -- Plagiate in der Forschung: Willkürlich am Pranger
> Einige Wissenschaftler wehren sich erfolgreich gegen die Erwähnung in
> einem Buch über Wissenschaftsplagiate. Gestritten wird auch darüber, wo
> unerlaubtes Abschreiben anfängt.
Bild: Der Ideenklau ist in der Wissenschaft verpönt.
FREIBURG taz | In der Guttenberg-Affäre gab Volker Rieble den Saubermann
der Wissenschaft. Ständig wurde der Münchener Rechtsprofessor als Experte
befragt, denn kurz zuvor hatte er sein Buch "Das Wissenschaftsplagiat"
veröffentlicht. Was wie ein Standardwerk klingt, ist eine Streitschrift,
die Rieble und seinem Verlag schon mehrere Niederlagen vor Gericht
einbrachte - denn er hat wohl auch Unschuldige in ein falsches Licht
gerückt.
"Das Wissenschaftsplagiat" ist ein schmales Bändchen von 120 Seiten,
erschienen 2010 im renommierten Verlag Vittorio Klostermann. Autor Volker
Rieble ist ein arbeitgebernaher Professor für Arbeitsrecht. Alle Beispiele
im Buch betreffen deshalb die Rechtswissenschaft. Rieble will dabei
bekannte und unbekannte Plagiatsfälle darstellen und das Versagen des
Wissenschaftssystems anprangern.
"Anlass, das Buch zu schreiben, war der Fall Wellkamp", erzählt Rieble.
Ludger Wellkamp war ein wegen Vermögensdelikten inhaftierter Jurist, der in
seiner Zelle und als Freigänger Plagiate anfertigte, indem er Teile von
Doktorarbeiten abschrieb und als eigene Aufsätze veröffentlichte. Er wurde
2004 vom Landgericht Bonn wegen der Plagiate und neuer Betrügereien zu
sechs Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Ausführlich beschrieben wird auch der Fall des Berliner Professors
Hans-Peter Schwintowski, der 2005 in einem Lehrbuch über juristische
Methodenlehre längere Passagen abgeschrieben hatte. Ebenfalls bereits
bekannt war das Plagiat des Darmstädter Professors Axel Wirth, der einen
Beitrag zu einem Zivilrechts-Kommentar ablieferte, der weitgehend
wortidentisch war mit der Kommentierung in einem Konkurrenzprodukt. Wirth
gab einem Assistenten die Schuld. Rieble kritisiert, dass Plagiatoren mit
solchen Erklärungen durchkommen, kaum Sanktionen zu fürchten haben und dass
die Plagiate in anderen Werken nach wie vor zitiert werden.
Wichtig ist für Rieble, dass nicht nur das wörtliche Abschreiben als
Plagiat bezeichnet wird, sondern auch der bloße Ideenklau. Zwar verbietet
das Urhebergesetz nur die ungekennzeichnete Übernahme einer Formulierung,
nicht die Übernahme eines Gedankens. Doch die in den Uni-Satzungen
festgelegten wissenschaftlichen Standards verbieten durchaus auch die
Ausbeutung fremder Ideen.
Insofern ist Riebles weiter Plagiatsbegriff nicht das Problem, sondern die
Art, wie er ihn anwendet. "Verdächtig ist Stephan Lorenz", heißt es etwa
auf Seite 19. Lorenz, ebenfalls Rechtsprofessor in München, hatte 2003 in
einem Aufsatz zum neuen Kaufrecht einen Gedanken präsentiert, den Rieble
schon 14 Jahre zuvor in einem Aufsatz zum Werkvertragsrecht publiziert
hatte. Rieble kommt zum Schluss: "Nachweislich ist der vorsätzliche
Ideenklau nicht, wohl aber das unzureichende Recherche- und
Zitierverhalten." Lorenz war entsetzt, als er den Vorwurf las. "Ich kannte
den Aufsatz von Rieble tatsächlich nicht, weil er sich mit einer ganz
anderen Frage beschäftigte."
Noch härter traf es den Bundesverfassungsrichter Reinhard Gaier, der früher
Zivilrichter am Bundesgerichtshof (BGH) war. Unter der Überschrift "Auch
Bundesrichter tun es!" warf ihm Rieble vor, er habe sich in einem
Zivilrechtskommentar "mehrfach und ohne hinreichende Zitierung an
Fremdwerke angelehnt". Das Opfer soll diesmal nicht Rieble selbst gewesen
sein, sondern die Mainzer Professorin Dagmar Kaiser, zufällig Riebles
Ehefrau. "Da es keine systematische Plagiatsforschung gibt, habe ich eben
Beispiele genommen, die mir aufgefallen oder zu Ohren gekommen sind",
erklärte Rieble auf Nachfrage.
Was Lorenz und Gaier aber vor allem wütend machte: Sie sehen sich zu
Unrecht in eine Reihe mit echten Halunken und Tricksern gestellt. "Als mich
ständig Kollegen ansprachen, merkte ich erst, wie ehrenrührig diese
Darstellung ist", sagte Lorenz.
Lorenz und Gaier machten deshalb eine Selbstanzeige bei ihren Unis in
Hannover und München und bekamen bescheinigt, dass keinerlei
wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege. Außerdem beauftragten sie den
Hamburger Promi-Anwalt Michael Nesselhauf, der beim Landgericht Hamburg
eine einstweilige Anordnung erwirkte: Das Buch darf nicht nachgedruckt
werden, die bereits gebundene Auflage kann aber noch verkauft werden, die
Kosten des Verfahrens wurden in vollem Umfang dem Verlag auferlegt.
Reinhard Gaier klagte auch gegen Rieble persönlich, mit Erfolg. Das
Landgericht Hamburg verurteilte Rieble Ende Januar auf Unterlassung der
Plagiatsvorwürfe gegen den Verfassungsrichter. Ehrverletzende Behauptungen
dürften nicht "grundlos" erhoben werden. Für den Vorwurf, Gaier sei ein
Plagiator, gebe es "keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen". Dass Gaier
und Dagmar Kaiser zu ähnlichen Theorien kamen, liege daran, dass sie sich
auf die gleichen Gerichtsurteile und Gesetzesbegründungen gestützt hatten,
so die Hamburger Richter.
Rieble, der sich auf die Meinungs- und die Wissenschaftsfreiheit beruft,
hat freilich Rechtsmittel eingelegt. Falls er sich durch die Instanzen
klagt, landet er am Ende kurioserweise beim Ersten Senat des
Bundesverfassungsgerichts, bei dem Richter Gaier sich dann für befangen
erklären muss.
Lorenz klagte nicht gegen Rieble persönlich, weil er der Münchener
Juristenfakultät internen Streit ersparen wollte. Er geht weiter gegen den
Verlag vor, von dem er zumindest Widerruf und Richtigstellung verlangt.
Sein Anspruch wurde Ende Februar vom Amtsgericht Hamburg dem Grunde nach
anerkannt.
Laut Rieble wurden von seinem Buch ursprünglich 2.000 Exemplare gedruckt,
1.200 seien bereits verkauft. Mit Blick auf die Prozesse haben Großhändler
das Buch aus dem Sortiment gestrichen. Es kann derzeit nur beim Verlag
bestellt werden. Dort wird es aber immer noch beworben: "Aktuell: Das Buch
zur Plagiatsdebatte!".
Verleger Vittorio E. Klostermann ist sauer. "Die Auseinandersetzung über
das, was Rieble geschrieben hat, gehört nicht vor Gericht, sondern vor die
Fachöffentlichkeit." Der gerichtliche "Maulkorb" verhindere den
wissenschaftlichen Diskurs.
Was Klostermann übersieht: Es geht gar nicht darum, wie Plagiate definiert
und bewertet werden. Vielmehr hat Rieble zwei Wissenschaftlern recht
willkürlich Ideenklau unterstellt. Gegen mutmaßlich falsche Anschuldigungen
diesen Kalibers kann man sich im Rechtsstaat aber nicht nur mit
Fachaufsätzen wehren, sondern auch ganz handfest vor Gericht.
Dass es bei nachgewiesenen Plagiaten durchaus möglich ist, Ross und Reiter
zu nennen, zeigt ein anderer Prozess gegen Riebles Werk. Der längst
verurteilte Ludger Wellkamp verlangte, dass sein Name aus dem Buch
gestrichen wird, sonst sei seine Resozialisierung gefährdet. Das
Oberlandesgericht Hamburg lehnte das aber ab. Solange Arbeiten Wellkamps in
den Bibliotheken stehen, überwiege das öffentliche Interesse an der
Namensnennung.
Im Prozess gegen Gaier ist Rieble inzwischen aber eher kleinlaut geworden.
"Ich kann auch verlieren", sagte er der taz. Sticheleien will er aber nicht
lassen. Bei einer etwaigen Neuauflage werde er möglichen Ideenklau eben
nicht mehr so benennen, sondern nur noch von "Originalität kraft
Unbelesenheit" sprechen.
Will Rieble aber wirklich, dass Fachaufsätze künftig mehr Fußnoten als Text
umfassen - damit ja kein ähnlicher Gedanke unerwähnt bleibt? "Ich habe auch
kein Patentrezept", antwortet Rieble ungewohnt sprachlos.
4 Mar 2011
## AUTOREN
Christian Rath
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