# taz.de -- Konservativ-liberale Lebensentwürfe: Fallen eines Summa-cum-laude-… | |
> Es lohnt, sich mit Guttenbergs Lebensentwurf weiter zu beschäftigen. | |
> Erhellend ist aber auch, die konservativ-liberale Regierung insgesamt zu | |
> betrachten. | |
Bild: Kristina Schröder und Karl-Theodor zu Guttenberg: Immer und überall per… | |
BERLIN taz | Was in der verständlichen Aufregung der vergangenen Tage und | |
der Zuspitzung auf die Plagiatsfrage etwas unterging, ist die Tatsache, | |
dass man Karl-Theodor zu Guttenberg auch einfach interessant finden konnte. | |
Nicht nur als Politiker (den man ernst nehmen musste), sondern auch als | |
Phänomen, in seinem Lebensentwurf. | |
Sein selbstverschuldeter Rücktritt war unvermeidlich, die Legendenbildung | |
um seine Person ebenso aufgesetzt wie durchschaubar. Aber in einem Punkt | |
ist es auch ein ganz klein wenig schade, dass er erst einmal von der | |
politischen Bühne verschwunden sein wird: Es ging alles viel zu | |
holterdiepolter, man war mit der Analyse dieser Figur noch gar nicht | |
richtig durch. | |
Interessant war zum Beispiel sein rasender Ehrgeiz, in allen Bereichen des | |
Lebens brillieren zu wollen. Als Adeliger habe er Anerkennung gar nicht | |
nötig, hieß es. Der Augenschein sprach eine andere Sprache. Vorzeige-Frau, | |
Vorzeige-Familie, Vorzeige-Karriere, Vorzeige-Dissertation (so zumindest | |
die Idee) und politische Vorzeige-Schneidigkeit. Das alles setzt sich | |
zusammen zum Bild eines Hochleistungslebens. | |
Auch wenn Karl-Theodor zu Guttenberg in manchem so aussah, einer dieser | |
lässigen bayerischen Genussmenschen, die ständig bei gutem Wetter im | |
Straßencafé sitzen und "Passt scho" sagen, ist er dies keineswegs (er ist | |
ja auch Franke). Nach einem konservativen Lebensentwurf, der sorgsam | |
eingebettet ist in Traditionen, Bindungen und Werten, sieht manches darin | |
auch nicht aus. Dazu hat das alles etwas allzu Außengeleitetes. | |
Was man von Karl-Theodor zu Guttenberg jetzt jedenfalls erst einmal bis zu | |
seinem Comeback im Gedächtnis behalten wird, sind ein paar Möglichkeiten, | |
allerlei Ungereimtheiten, ein schlechter Geschmack auf der Zunge und der | |
Versuch einer Quadratur des Kreises. | |
An drei Fronten wollte er sich beweisen: Neben dem Stress als junger | |
Familienvater und einer anstrengenden Karriere hat er sich, so beschreibt | |
er es, allabendlich hingesetzt, um in mühevoller Kleinarbeit eine | |
Summa-cum-laude-Arbeit hinzubasteln. Der Freiherr selbst hat das als | |
Quadratur des Kreises bezeichnet, in der Fragestunde des Bundestages zu den | |
Plagiatsvorwürfen. | |
Mindestens ebenso interessant wie das Scheitern daran ist aber der Wille, | |
das überhaupt ernsthaft zu versuchen. Der Versuch hätte natürlich auch | |
klappen können. Aber das hätte eine noch größere Anstrengung bedeutet, als | |
sein Gelingen - wie Guttenberg es dann tatsächlich hielt - nur | |
vorzutäuschen. | |
Guttenberg selbst hat sich in der Fragestunde Hochmut attestiert. Das kann | |
man so stehen lassen. Man kann aber auch etwas Prinzipielles ausmachen: Es | |
scheint, als sei es ganz schön kompliziert geworden, heute als konservativ | |
erscheinen zu wollen. Mit Vortäuschungen kommt man da nicht mehr hin. | |
Vielleicht ist es ganz erhellend, von diesem Punkt aus den Fokus | |
aufzuziehen und die konservativ-liberale Bundesregierung, die sich als | |
Regierung der Mitte versteht, insgesamt in den Blick zu nehmen. | |
Selbstverständlich liefert sie neben Gesetzesvorlagen und politischen | |
Reibereien auch tatsächlich in sich stimmige konservativ-liberale | |
Lebensentwürfe übers Fernsehen in die Wohnzimmer. | |
Ursula von der Leyen mit ihrer Frisur und ihrer Kinderschar. Wolfgang | |
Schäuble mit seiner verbissenen Pflichterfüllung. Thomas de Maizière mit | |
seiner ausgestellten Sachlichkeit, auch jetzt als Guttenberg-Nachfolger im | |
Verteidigungsministerium. | |
Wie immer man die von ihnen betriebene Politik nun findet, das alles ließe | |
sich zu einem pragmatischen und liberal aufgehellten Konservatismus | |
zusammenfügen, so wie man es sich nach der Wahl dieser Regierung erwartet | |
hatte. | |
Aber diese Regierung liefert dem Beobachter, das muss man auch schlicht | |
einmal anerkennen, halt auch immer wieder Überraschungen. Guttenberg ist | |
nur ein Beispiel. Im Licht seines Falles schimmert auch Kristina Schröders | |
Vorhaben, mitten im Amt Mutter zu werden, noch einmal hell auf. In manchem | |
erscheint es als weiblicher Gegenentwurf zu Guttenbergs | |
Rundumperfektionsstreben. | |
Auch Kristina Schröders Lebensentwurf hat etwas von der Quadratur eines | |
Kreises (unter der verschärften Bedingung, dass bei Mutterschaft noch nicht | |
einmal Copy- und Paste-Taste funktionieren). Jürgen Habermas soll einmal | |
gesagt haben, dass das, was von 68 blieb, die liberale | |
CDU-Familienministerin Rita Süssmuth war. | |
Wenn das stimmt, ist eine Variante, die von Rita Süssmuth blieb, Kristina | |
Schröder: als Ansatz, die von Habermas diagnostizierte | |
"Fundamentalliberalisierung" der Bundesrepublik einmal ganz praktisch | |
durchzuspielen. | |
Interessant sind die Brüche, die dabei entstehen. Gesellschaftspolitisch | |
war diese öffentliche Schwangerschaft vielleicht schlicht fällig, als | |
Zeichen dafür, dass Kind und Karriere sich für moderne Frauen nicht | |
ausschließen sollen. | |
Und mit einem konservativen Lebensentwurf, wie man ihn lange Zeit kannte, | |
hat dieser Ausbruch aus den traditionellen Mütterlichkeitsrollen von | |
Symbiose und Innigkeit wenig zu tun. Manches an der Sache wirkt geradezu, | |
als habe unsere Familienministerin das Buch "Die deutsche Mutter" gelesen, | |
in dem Barbara Vinken mit diesen Rollen abrechnet. | |
Dennoch zögert man doch sehr, diese Verabschiebung des Hausfrauenideals | |
ganz unter dem Stichwort Emanzipation abzubuchen. Allzu sehr schimmert hier | |
ein Projektdenken durch. Neben dem Projekt einer politischen Karriere wird | |
dann eben, wenn es ansteht, auch das Projekt Kinderkriegen durchgezogen. | |
Statt einem auf Gesellschaftsveränderung zielenden "Yes, we can"-Denken ist | |
ein Aufgabenerfüllung signalisierendes "Yes, I can"-Denken spürbar. Aber so | |
perfekt die Kinderbetreuung bei Kristina Schröder auch organisiert werden | |
mag, natürlich ist das auch ein Experiment in Sachen Selbstüberforderung. | |
Was die Lebensentwürfe von Karl-Theodor zu Guttenberg und Kristina Schröder | |
eint, ist dieser rasender Ehrgeiz, in allen Lebensbereichen perfekt sein zu | |
wollen (wobei Kristina Schröder allerdings immerhin keine Schummeleien zu | |
Hilfe nimmt); offenbar können sie nirgendwo mit der Anspannung nachlassen. | |
Wer will, kann unter diesem Aspekt auch Guido Westerwelle mit in die Reihe | |
aufnehmen. Der interpretiert das Perfekt-sein-Wollen als | |
Perfekt-aussehen-Wollen. Wobei gegen gute Anzüge wirklich rein gar nichts | |
zu sagen ist - auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die alten | |
rot-grünen Rock n Roller, haben sich ihrer Anzüge als politische | |
Arbeitskleidung und Rüstung bedient. | |
Aber wenn bei Westerwelle der Dresscode "casual" verlangt wird, inszeniert | |
er sich eben perfekt casual. Und wenn er leger erscheinen will, inszeniert | |
er sich so perfekt leger, dass es schon wieder etwas Verkrampftes hat. | |
Auf zwei unterschiedliche Weisen sind in diesen Lebensentwürfen Politik und | |
Privates miteinander verbunden: Während Karl-Theodor zu Guttenberg und | |
Kristina Schröder in der Mühle hängen, konservative und moderne Ansprüche | |
zugleich erfüllen zu wollen, will Guido Westerwelle zeigen, dass ein | |
entspanntes und selbstbestimmtes Leben auch, nein vielmehr: gerade jenseits | |
der von ihm immer wieder angegriffenen linken Hegemonie möglich ist. | |
Westerwelle hat das Kohl-Erbe angetreten, den Linken ständig | |
Miesepetrigkeit vorzuhalten. Auch Kohls Gegenentwurf war allerdings nicht | |
vollkommen überzeugend. | |
Es besteht bei alledem aber überhaupt kein Anlass für Häme von | |
linksliberaler Seite. Ein Patentrezept für selbstverwirklichtes Leben hat | |
da auch noch keiner erfunden, selbst wenn das immer mal wieder behauptet | |
wird. Und eine Ausrichtung auf irgendeine Art von Utopie statt einer | |
Verwirklichung im Hier und Jetzt anzubieten, ist auch nicht mehr jedermanns | |
Sache. | |
Außerdem mögen die beiden Standardvorwürfe gegen diese neue | |
konservativ-moderne Politikergeneration - dass sie nur eine mediale | |
Runduminszenierung anbietet und dass sie ökonomische Effizienzkriterien | |
auch auf Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen anwendet - zwar | |
teilweise zutreffen; letztlich tragen sie aber nicht weit. Denn die | |
Lebensentwürfe dieser Politiker antworten durchaus auf reale und nicht nur | |
auf medial oder diskursiv behauptete Probleme. | |
Man muss kein großes Ding draus machen: Es sind die üblichen Probleme der | |
Individualisierung. Jeder Mensch kann seinem Leben einen Sinn geben, muss | |
das aber auch selbst tun. Das ist eine Chance und eine Überforderung | |
zugleich. Wie man von konservativ-liberalen Politikern derzeit erfahren | |
kann, kann sich dabei die Falle auftun, dass man sich in einer | |
Anspruchsüberfüllung verliert. | |
Aber in einem ganz anderen Boot sitzt man auf linksliberaler Seite | |
keineswegs. Es ist wirklich interessant, immer mal wieder unverstellte | |
Blicke auf die andere Seite zu werfen - auch wenn sie es den eigenen | |
Ressentiments gelegentlich sehr leicht macht. | |
4 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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