# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Der Traum vom Glück ohne Anstrengung | |
> Guttenberg und Sarrazin aus blochianischer Perspektive: In ihren | |
> Personality-Storys melden sich die künftigen Klassenkonflikte der | |
> entstehenden Wissensgesellschaft zu Wort. | |
Zu vermelden sind Ungleichzeitigkeiten größten Ausmaßes in der | |
globalisierten Welt. Während sich in arabischen Ländern das geknebelte Volk | |
erhebt, um seine Tyrannen, die mit Gewalt und Korruption reich geworden | |
sind, abzuschütteln, verteidigt das deutsche Volk im freiherrlichen | |
Plagiator seinen Traum vom anstrengungslosen Glück. Hier wie dort geht es | |
um einen Konflikt zwischen der neuen Klasse der Symbolarbeiter, der | |
Avantgarde der Wissensgesellschaft hier und den alten Klassen, | |
Arbeiterschaft, Angestellten und verunsicherten Mittelständlern, dort. | |
Während sich die jungen, gut ausgebildeten, mit dem Internet und seiner | |
Technologie groß gewordenen Gruppen im arabischen Raum zum Sturz der | |
Regimes aufraffen, wehren sie sich in Deutschland auf Internetforen wie | |
"GuttenPlag Wiki" gegen die Durchstechereien Guttenbergs, ohne zu | |
verstehen, warum sich das Volk mit überwältigender Mehrheit für den | |
betrügerischen Verteidigungsminister einsetzt. | |
## Leistung verleugnen | |
Doch geht es nicht nur um "Ungleichzeitigkeit" - ein Begriff des | |
Philosophen Ernst Bloch -, sondern vor allem um jene Kraft, die Bloch wie | |
nichts anderes umtrieb: die Utopie! Schon an der nutzlosen Debatte um den | |
uramerikanischen Calvinismus der angeblich so chinesischen Tigermutter Amy | |
Chua wurde klar, dass eine von Globalisierung und Finanzkrise verängstigte | |
Bevölkerung wenigstens ihre Träume bewahren will. Von anstrengungslosem | |
Glück, erfüllender Arbeit ohne Leistungsdruck, solidarischem Zusammenhalt - | |
kurz: den Traum vom Sozialismus. Noch nie entsprach die CSU dabei so sehr | |
ihrem Namen wie jetzt, dem Namen einer christlichen, aber sozialen Partei, | |
die um der Solidarität mit den Schwachen willen (in diesem Fall mit dem | |
Freiherrn) fünf gerade sein lässt und das neoliberale Leistungsprinzip mit | |
leichter Hand verleugnet. | |
Populäre Medien wie Bild und Bunte drücken diese Stimmungslage prägnant | |
aus. Während die Bunte vom 24. 2. auf ihrem Titelblatt Karl-Theodor und | |
Stephanie mit dem Solidarität heischenden Ausspruch "Wir stehen das | |
gemeinsam durch" präsentiert, berichtet sie am unteren Ende der Titelseite | |
vom Gegenteil: "Thilo Sarrazin. Sein Sohn lebt von Hartz IV". Hier das | |
strahlende, junge Paar, dort die unansehnlichen, vom Leben gezeichneten und | |
sogar in Abendgarderobe verrutscht wirkenden Eheleute. Hier der zeitgemäß | |
aufgemotzte Traum vom Schlaraffenland, dort die freudlose Botschaft von | |
Arbeit und Mühe, die sich allenfalls im islamfeindlichen Rassismus ein | |
wenig Erleichterung zu schaffen vermag. | |
Das geht bis ins Ikonische: Während die Guttenbergs in glänzendem Schwarz | |
und Weiß, beide leuchtenden Auges - er mit einer stylishen Brille, sie mit | |
Brillantohrringen - posieren, treten die Sarrazins in grauen und braunen, | |
stumpf wirkenden Pullovern vor die Kamera der BZ. Doch gehören beide, | |
Guttenberg und Sarrazin, zusammen. Der bedrängte Verteidigungsminister hat | |
es in Kelkheim schließlich durchaus nicht versäumt, der jubelnden Basis | |
mitzuteilen, dass sich die Deutschen zu sehr mit fremden Kulturen | |
auseinandergesetzt und dabei den Blick für die eigenen Wurzeln verloren | |
hätten; daher hat er Sarrazins Buch als "gut und wichtig" bezeichnet. | |
## Früchte der Angst | |
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, heißt es im Neuen Testament: Der | |
heute dreißig Jahre alte Sohn der Sarrazins lag vergangene Woche noch in | |
einem Berliner Krankenhaus; vorher lebte der Hartz-IV-Empfänger in einem | |
Plattenbau und sagte über seine Mutter, dass sie ihm mit ihren Verboten | |
"tierisch auf die Nerven gegangen" sei. In den Personality-Storys der | |
Sarrazins und Guttenbergs melden sich die künftigen Klassenkonflikte der | |
entstehenden Wissensgesellschaft zu Wort: In einer von Abstiegsängsten | |
geschüttelten Gesellschaft verteidigen die Verlierer ihre materiellen und | |
ideellen Besitzstände gegen die überlegene symboltechnische Kompetenz | |
strebsamer Aufsteiger. | |
In dieser Verteidigungsfront stehen die Verlierer, die Leser der | |
Bild-Zeitung Seit' an Seit' mit den reichen Erben, dem fränkischen Adel. | |
Die Leserbriefseite der Bild präsentiert ein aufschlussreiches Soziogramm | |
jener Klasse von Verlierern: Unter den Absendern finden sich, die | |
Kategorien decken sich nicht mit den Angaben der Briefschreiber, drei | |
Angestellte, drei Rentner, drei Kaufmänner/-frauen; zwei Ärzte, zwei | |
Handwerker, zwei Unternehmer; je ein Geschäftsführer, ein Publizist, ein | |
Beamter sowie eine Golfmanagerin: Es handelt sich mithin vor allem um | |
kleinere Selbständige und vermeintlich leitende Angestellte mit moderaten | |
Bildungsaspirationen, im Altersschnitt wohl weit über fünfzig Jahre alt. | |
Diese Leute stellen den harten Kern jener 68 Prozent der Deutschen dar, die | |
auf bürgerliche Tugenden nichts mehr geben, aber dafür in Glanz und ganz | |
ohne Mühe einem Führer folgen wollen. | |
1 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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