# taz.de -- Nach Guttenbergs Rücktritt: Die doppelte Kanzlerin | |
> Aggressiv gegen die Opposition, pragmatisch in den eigenen Reihen - so | |
> will Merkel die Guttenberg-Krise überwinden. Beim Wahlkampf in Stuttgart | |
> gab sie eine Kostprobe. | |
Bild: Zwar nur zwei Hände für ein Handy, aber dafür zwei Gesichter - eins f�… | |
BERLIN taz | Es ist der Abend des wohl schwärzesten Tages in Angela Merkels | |
Kanzlerschaft. Am Morgen war Karl-Theodor zu Guttenberg zurückgetreten. Ihr | |
Star ist weg und Bild wusste dies wohl noch vor der düpierten Kanzlerin. | |
Jetzt steht Merkel neben Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), der am 27. | |
März wiedergewählt werden will. Mehr als 2.000 Menschen sind in die | |
Stuttgarter Liederhalle gekommen, auch Gegner von Stuttgart 21 | |
protestieren. Die CDU-Anhänger wollen hingegen sehen, wie Merkel mit dem | |
Rückschlag umgeht. Merkel ist offensiv, aggressiv. Der präsidiale Gestus, | |
den sie lange kultivierte, ist verschwunden. | |
Die CDU sei die Partei, die für den Rechtsstaat stehe. "Wir müssen uns von | |
niemandem erklären lassen, was Anstand und Ehre ist", sagte Merkel. "Nicht | |
von Trittin, nicht von Herrn Gysi und schon gar nicht von Sigmar Gabriel." | |
Die Halle kocht. Die CDU-Anhänger beklatschen Merkel frenetisch. Die Pfiffe | |
und Rufe der Gegner werden noch lauter. Es ist kaum noch ein Wort zu | |
verstehen. Die traditionellen "Lügenpack"-Rufe der Stuttgart-21-Gegner | |
bekommen angesichts der Guttenberg-Geschichte eine andere, neue Bedeutung. | |
Merkel gelingt es in der aufgeheizten Stimmung nicht immer, die Nerven zu | |
behalten. Auf die anhaltenden Pfiffe reagiert sie eher nervös als souverän. | |
"Ich stehe hier nicht mit einer Trillerpfeife im Maul, weil ich Argumente | |
habe", grantelt sie in Richtung Stuttgart-21-Gegner. Auch Mappus ist | |
bemüht, den Schock zu kaschieren und den Guttenberg-Rücktritt als | |
ehrenwerten Schritt darzustellen. "Karl-Theodor zu Guttenberg hat einen | |
Fehler gemacht. Er hat einen großen Fehler gemacht", sagte Mappus betont | |
unaufgeregt. "Aber er steht dazu." Das zeuge von Größe. | |
Das ist die Strategie der Union, sie war schon in Guttenbergs Erklärung | |
angelegt. Der Minister hat einen Fehler gemacht, gemeuchelt haben ihn | |
andere - die Medien, die Opposition. Bild veredelte Guttenberg am Mittwoch | |
zum "Opfer des grauen Mittelmaßes". Merkel gibt mit ihrer Attacke die | |
Richtung für den Wahlkampf vor: Mit der Opferlegende soll die Stammklientel | |
mobilisiert werden. Davon hängt viel ab - vor allem bei Landtagswahlen mit | |
niedriger Wahlbeteiligung. | |
Der Politologe und CDU-Experte Gerd Langguth hält von dieser Legende nicht | |
viel. "Es gab eine kleine Revolte im Bildungsbürgertum, das nicht | |
akzeptiert hat, dass Examen nichts mehr zählen", so Langguth. Dies und die | |
Aussicht auf Ermittlungsverfahren haben Guttenberg das Amt gekostet, nicht | |
die Angriffe der Opposition. Merkels Fehler sei der Satz, dass sie | |
Guttenberg nicht als "wissenschaftlichen Assistenten" eingestellt habe - | |
faktisch die Entschuldigung der gefälschten Doktorarbeit. Der Satz werde | |
Merkel "noch weiter nachhängen", so Langguth. | |
Die andere, pragmatische, lösungsorientierte Seite von Angela Merkel zeigt | |
sich am Mittwoch bei den Verhandlungen über die Nachfolge. Gegen eine | |
leise, skeptische CSU setzte sie durch, was sie will: den Wechsel im Innen- | |
und Verteidigungsressort. Mit Thomas de Maizière hat sie in dem wegen der | |
anstehenden Bundeswehrreform als besonders schwierig geltenden | |
Verteidigungsministerium einen engen Vertrauten installiert. Der neue | |
Innenminister, CSU-Mann Hans-Peter Friedrich, gilt, jedenfalls im | |
CSU-Spektrum, als eher liberal - anders als der bayerische Innenminister | |
Joachim Herrmann (CSU), der auch im Gespräch war und ein Freund von Law and | |
Order ist. Allerdings, so heißt es in CDU-Kreisen, könne es künftig | |
zwischen Friedrich und FDP-Justizministerin Sabine | |
Leutheusser-Schnarrenberger öfter knallen. Trotzdem werde Friedrich die | |
Innenpolitik nicht radikalisieren. | |
In CDU-Kreisen heißt es, man habe mit dieser Rochade das Schlimmste | |
verhindert - etwa dass die CSU-Lautsprecher Markus Söder und Alexander | |
Dobrindt in Berlin Minister werden. Etwas Besseres als diese Lösung sei für | |
Merkel nicht drin gewesen. | |
Die Kanzlerin tritt am Mittwoch um 15 Uhr im Kanzleramt recht entspannt vor | |
die Presse. Die Berufung der beiden Minister zeige "schnelle | |
Handlungsfähigkeit", sagt sie selbstzufrieden. An Friedrich schätze sie | |
dessen Orientierung auf die Sache. Sie versucht so den Eindruck zu | |
zerstreuen, die Besetzung sei als Rechtsschwenk zu deuten. An de Maizière | |
lobt sie dessen "brillante Intelligenz" und dass er "Politik auf der | |
Grundlage fester Werte betreibt". Das mag ein erster kleiner Seitenhieb auf | |
Guttenberg sein. Fragen nach eigenen Fehlern in der Affäre ignoriert Merkel | |
wie schon am Tag zuvor. Der TV-Kanal Phoenix kündigt eine Sendung mit dem | |
Titel "Der Tag eins nach Guttenberg" an. Es zieht langsam wieder Normalität | |
in den politischen Alltag ein. | |
2 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
St. Reinecke | |
N. Michel | |
## TAGS | |
Guttenberg | |
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