# taz.de -- Libyer in Tunesien: Hoffen, fürchten, warten | |
> Von überall sind Exil-Libyer nach Tunesien gereist und verfolgen die | |
> Geschehnisse in ihrer Heimat. Für viele gilt: "Wir wollen rüber, sobald | |
> es geht. Helfen!" | |
Bild: Tausende Menschen verlassen Libyen, aber Exil-Libyer kommen an die Grenze… | |
BEN GARDANE taz | Es gehört einiges an Fantasie dazu, um das Hotel, in dem | |
sich ein Dutzend Libyer niedergelassen haben, mit dem Namen Palace in | |
Verbindung zu bringen. Abgewetzte grüne Sessel und runde Holztischchen | |
zieren die Eingangshalle der besten Adresse in Ben Gardane, dem letzten | |
Städtchen vor der tunesisch-libyschen Grenzen. Die grauen Gardinen lassen | |
das einstige Blau nur noch erahnen, Die Goldborden sind verstaubt. Der Raum | |
ist kühl und fensterlos. Der Mamorboden stumpf. | |
Dennoch treffen sich die Libyer hier sich jeden Tag. Nachdem die Rebellion | |
gegen Muammar Al-Gaddafi in ihrer Heimat ausgebrochen ist, sind sie von | |
überall her angereist. Sie starren ununterbrochen auf die Wand gegenüber. | |
Dort, zwischen Rezeption und der Tür zum Frühstücksraum, hängt ein riesiger | |
Plasmafernseher. Es läuft al-Dschasira – 24 Stunden am Tag. Leere | |
Kaffetassen häufen sich. Die Aschenbecher quellen über. | |
Eines eint sie alle: "Wir wollen rüber, sobald es geht. Helfen!" sagt einer | |
von ihnen – "Ali Aban aus Gießen". Seit 22 Jahren lebe er in Hessen, | |
verkaufe Autos und habe mittlerweile auch die deutsche Staatsangehörigkeit. | |
Sein Freund gleich neben ihm stellt sich als Idris Boufayed vor. Auch er | |
lebt im Exil, in Lausanne in der Schweiz. Die beiden kennen sich aus dem | |
Internet. Hier in Ben Gardane sind sie sich erstmals persönlich begegnet. | |
Andere sind Immigranten. Kanada, Irland, Vereinigtes Königreich, Qatar … | |
kein Weg war ihnen zu weit, um dabei zu sein, wenn "Gaddafi endlich fällt". | |
Viele haben Medikamente mitgebracht, um sie über die Grenze zu bringen, | |
"wenn es soweit ist". | |
## Überschwänglicher Optimismus und tiefe Sorge | |
Die Stimmung schwankt von überschwänglichem Optimismus bis zu tiefer Sorge, | |
je nachdem welche Nachrichten über den Bildschirm flimmern. Alle erzählen | |
sich ihre Geschichte. Der heute 48-jährige Ali Aban musste aus Tripolis | |
fliehen, nachdem er mit Freunden Flugblätter gegen Gaddafi verteilt und | |
Parolen gemalt hatte. Zwei Brüder von ihm wurden verhaftet, misshandelt und | |
wanderten für sechs Jahre hinter Gitter. "Ich habe in all den Jahren kaum | |
Kontakt mit meiner Familie gehabt", erzählt er. Seine Ehe ging in die | |
Brüche. | |
Am Anfang schickte Aban hin und wieder einen Brief oder ein Päckchen, bis | |
er mitbekam, dass sie abgefangen wurden und seine Angehörigen Besuch von | |
der Staatssicherheit bekamen. "Dann stellte ich das ein." Als er am 23. | |
Februar nach Südtunesien kam, hoffte er seinen kranken Vater bald wieder in | |
die Arme schließen zu können. "Gestern habe ich die Nachricht bekommen, | |
dass er verstorben ist." Das sonst so freundliche Lächeln auf Abans Gesicht | |
verschwindet. | |
Beruf, Familien und Neuigkeiten aus ihren Heimatorten, falls sie | |
telefonisch durchkommen, sind die Themen, wenn al-Dschasira ausnahmsweise | |
mal nicht über Libyen berichtet. Die meisten bitten darum, nicht namentlich | |
genannt zu werden. "Ich lebe seit meinem Medizinstudium im Ausland und | |
besuche Libyen jedes Jahr", sagt einer. Er wolle diesen Status nicht aufs | |
Spiel setzen, sollte es auch dieses Mal nicht gelingen, den verhassten | |
Herrscher zu vertreiben. | |
## "Auf was wartet der Westen noch?" | |
Idris Boufayed muss seine Geschichte nicht erzählen. Alle hier kennen ihn. | |
Der 53-jährige Arzt und Menschenrechtler ist für sie ein Held. Boufayed | |
flüchtete 1989 aus Libyen und erhielt in der Schweiz Asyl. "2006 sah es so | |
aus, als würde sich das Land etwas öffnen", erklärt er, warum er damals in | |
seine Heimat zurückkehrte. Er rief mit anderen zu einer Demonstration auf | |
dem Grünen Platz in Tripolis und wurde dafür 2007 wegen "Umsturzversuch, | |
Waffenbesitz und Zusammenarbeit mit feindlichen Mächten" zu 25 Jahren Haft | |
verurteilt. Auf internationalen Druck kam der mittlerweile an Krebs | |
Erkrankte frei, und durfte zur Behandlung in die Schweiz ausreisen. | |
"Eine Flugverbotszone wäre eine gute Sache", sagt Boufayed. "Denn ohne | |
schwere Waffen und Luftangriffe ist Gaddafi in ein paar Tagen erledigt. | |
Anderenfalls kann es Wochen oder Monate dauern." Alle stimmen ihm zu und | |
alle beklagen, dass der Westen so lange braucht, sich zu konkreten | |
Maßnahmen durchzuringen. "Auf was warten die noch. Es sterben immer mehr | |
Leute", beschwert sich Aban, und schaut dabei gebannt auf die Berichte über | |
Gegenoffensiven der Gaddafigetreuen in Az Zawiyah und Brega. | |
Den Gießener, der davon träumt, im neuen Libyen einen Radio- oder besser | |
noch einen Fernsehsender aufzumachen, hat als erster die Geduld verlassen. | |
Er packte am Sonntag seine Koffer: "Ich will kurz zurück nach Deutschland | |
und dann entscheiden, ob ich über Ägypten in den befreiten Osten einreise.W | |
Die anderen schwanken noch zwischen weiter warten und es ihm gleichtun. | |
7 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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