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# taz.de -- Libysche Flüchtlinge in Tunesien: Die Zeltstadt leert sich
> Die Welle aus Libyen ist verebbt. Gaddafi soll Flüchtlinge jetzt bereits
> im Landesinnern abfangen. Das jedenfalls fürchten die tunesischen
> Grenzsoldaten.
Bild: Geschafft. Ein Flüchtling wird mit dem Bus in Tunesien weitertransportie…
RAS AJDIR taz | Sie klatschen, sie lachen und sie singen aus Dankbarkeit:
"Tunesien, wir lieben dich." Ein belegtes Brot, eine Flasche Wasser, und
die Ägypter steigen in die Busse in Richtung Djerba. Seit dem Wochenende
werden die Flüchtlinge, die aus Libyen nach Tunesien gekommen sind, von
dort in großer Zahl in ihre Heimat ausgeflogen.
"Zurzeit evakuieren wir per Flugzeug und Schiff mehr Leute, als neu über
die Grenze kommen", erklärt Gilbert Greenall. Der Brite ist der
verantwortliche Chef der Undac, der United Nations Disaster Assessment and
Coordination, am Grenzübergang in Ras Ajdir. "Wenn das so weitergeht, ist
die Flüchtlingswelle in zehn Tagen bewältigt", zeigt er sich optimistisch.
Seit Freitag unterstützt die Undac zusammen mit mehreren internationalen
Hilfsorganisationen die tunesische Armee und die Freiwilligen aus dem
ganzen Land, die über eine Woche lang die Flüchtlingsmassen am
Grenzübergang Ras Ajdir allein bewältigen mussten. "Wir haben ein Camp für
20.000 Menschen errichtet und absolvieren täglich 50 Flüge", resümiert
Greenall. Der Flughafen im Urlaubsparadies Djerba könne insgesamt bis zu
100 Maschinen am Tag abfertigen, bestätigen die Flughafenbeamten.
Auch die Zeltstadt, die mit Unterstützung des
UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), des Roten Kreuzes, der
muslimischen Hilfsorganisation Islamic Relief und der tunesischen Armee
sieben Kilometer vom Grenzposten entfernt errichtet wurde, hat noch weitere
Kapazitäten. "Wenn nötig, können wir das Camp für insgesamt 31.000 Menschen
ausbauen", erklärt Greenall.
Neben Djerba werden die Flüchtlinge auch von den Häfen in Zarzis und Gabès
in ihre Heimat gebracht. Auch drei Schiffe der deutschen Bundesmarine sind
an der Operation beteiligt. Sie bringen 412 Ägypter nach Alexandria. Die
Undac erwartet weitere Marineschiffe aus Europa. Und die US-Armee hat am
Freitag eine Luftbrücke eingerichtet.
Sorgenkind der Helfer sind längst nicht mehr die Ägypter, die die
überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge gestellt haben, sondern die
Menschen aus Bangladesch. Die dortige Regierung tut nichts für sie. Die
Wege sind weit, der Transport ist teuer. Deshalb sitzen sie im
Durchgangslager und wissen nicht, wann und wie es weitergehen wird.
Das Gelände direkt am Grenzübergang, wo bis zum Wochenende Zehntausende
tagsüber in der prallen Sonne und nachts bei niedrigen Temperaturen
kampierten, hat sich geleert. Nur der Müll und die verlassenen, selbst
gezimmerten Unterstände zeugen noch davon, was sich hier in der vergangenen
Wochen abgespielt hat. Die tunesischen Helfer säubern das Gelände.
In den letzten drei Tagen kamen nur noch rund 2.000 Menschen pro Tag über
die Grenze. Bei dem großen Ansturm vor einer Woche waren es täglich zum
Teil mehr als 15.000. Über 100.000 Menschen kamen insgesamt. "Die Libyer
fangen die Flüchtlinge weit im Landesinnern ab und halten sie fest",
erklärt eine tunesischer Grenzsoldat. Das habe er von Ägyptern erfahren,
die es bis nach Tunesien geschafft haben.
Für Greenall, der seit 30 Jahren hilft, humanitäre Krisen zu meistern, ist
das, was er in Tunesien erlebt hat, "eine Erfolgsstory". Das Land hat seit
dem Sturz des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali am 14. Januar so gut wie
keine staatlichen Strukturen mehr. Sie entstehen erst langsam wieder neu.
Dennoch wurde den Flüchtlingen alle nur erdenkliche Hilfe zuteil.
Zuerst war es das Revolutionskomitee aus Ben Gardane, der ersten Stadt auf
tunesischer Seite, das die örtlichen Vereine, das Krankenhaus und die
Bevölkerung mobilisierte. Dann kamen Hilfskarawanen aus dem ganzen Land an.
Über lokale Radiosender, Schulen, Vereine, Moscheen und selbst über
Facebook sammelten die Tunesier spontan Geld, Kleidung und Verpflegung und
brachten all das nach Ras Ajdir.
"Die internationale Gemeinschaft hat lange gebraucht", beschwert sich Ali
Tlig, ein Helfer der ersten Stunden. Er ist Krankenpfleger im städtischen
Krankenhaus in Ben Gardane. Tlig steht mit seiner Feldapotheke direkt an
der Grenze. "Die Seuchengefahr ist noch nicht gebannt. Es fehlen Duschen
und Toiletten", sagt er.
Auch Greenall weiß das. Das Problem werde in den kommenden Tagen gelöst. Es
wäre alles in bester Ordnung, wäre da nicht eine große Unbekannte: "Wenn
Gaddafis Truppen tatsächlich Menschen von der Flucht abhalten und diese
alle auf einmal freilässt, dann kann sich die Lage hier erneut zuspitzen",
warnt der Undac-Verantwortliche.
6 Mar 2011
## AUTOREN
Reiner Wandler
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