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# taz.de -- Der neue Herr über die Akten: Gift für die Stasi
> Roland Jahn brachte einst den DDR-Geheimdienst zur Raserei: Am Montag
> wird der Dissident und einstige Gefangene der Mielke-Truppe neuer Chef
> der Stasi-Unterlagen-Behörde.
Bild: Früher nannten seine Freunde ihn "Gag" - denn Roland Jahn betrieb seinen…
BERLIN taz | Auf einer sozialistischen Parade in der DDR läuft er mit einem
leeren Plakat mit. Bei einem Treffen der Parteijugend FDJ trägt er ein
Transparent mit der Oppositionsparole "Schwerter zu Pflugscharen". Während
einer 1. Mai-Kundgebung stellt er sich neben die Ehrentribüne – als Hitler
geschminkt in der einen Gesichtshälfte, als Stalin in der anderen.
Roland Jahn war wohl der originellste Gegner des SED-Regimes. Die
Staatssicherheit der DDR hat in überwacht, inhaftiert und schließlich aus
dem Land geworfen. Aber Jahn hat sich nie klein kriegen lassen und der
Stasi vom Westen aus zugesetzt.
Am Montag nun soll der 57-Jährige Journalist Nachfolger von Marianne
Birthler werden: Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, die Joachim Gauck nach
der Wende aufgebaut hat. Jahns zukünftige Behörde verwaltet die mieseste
Hinterlassenschaft der DDR: Berichte, Befehle, Abhörprotokolle und
Karteikarten, Tonbänder, Filme und Mikrofilme – sowie einige 1989 von den
letzten Stasi-Leuten zerrissene Akten.
Seit Beginn der Arbeit 1991 haben rund 1,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger
ihre Akten eingesehen. Würden alle bislang archivierten Stasiakten mit dem
Aktenrücken aneinandergereiht, ergäbe dies eine Regallänge von rund 158.000
Metern. Und Viele Meter handeln von einer einzigen Zielperson: Roland Jahn.
Am Montagabend wird Jahn in sein neues Amt als Chef der
Stasi-Unterlagen-Behörde eingeführt. Erich Mielkes Gerippe dürfte im Grab
rotieren. Denn Jahn war der Alptraum des Stasi-Chefs, viele Jahre sein
Lieblingsfeind.
Mielke ließ Jahn sechs Monaten ins Gefängnis werfen und in einer
Einzelzelle isolieren. Ein Verhörer, von den Gefangenen „Lächler" genannt,
wollte Jahn psychisch brechen.
Er könnte hier noch Jahre im Knast schmoren, drohte der „Lächler", die
Einschulung der dreijährigen Lina, Jahns Tochter, verpassen, ja vielleicht
müsse sie ja auch ins Heim. Ein anderer sagte ihm: „Du bist wie Gift, Gift
gehört in den Giftschrank, und der muss abgeschlossen werden.“
Doch Jahn verpfiff niemanden – und wurde schließlich, auch wegen des
Protests aus dem Westen, entlassen. Wenig später, nach weiteren Aktionen
Jahns, reichte es Mielke. Auf seinen persönlichen Befehl hin wurde Jahn
gewaltsam in den Westen abgeschoben.
Hier wurde Jahn jedoch noch gefährlicher für die SED als im Osten. Die
Stasi setzte selbst in West-Berlin noch Dutzende Leute auf Jahn an. Sogar
der Schulweg seiner Tochter wurde ausspioniert, sein Lieblingscafé
verwanzt.
Er wurde Journalist, arbeitete für die taz und für das ARD-Magazin
„Kontraste". Sein Trick: Er ließ Videokameras nach drüben schmuggeln. Dort
nahmen mutige Dissidenten heimlich die Aktionen der DDR-Opposition auf und
schleusten die Videobänder zurück nach West-Berlin, wo sie dann auf Sendung
gingen.
Die Aufnahmen wirkten gerade im Osten, wo das Westfernsehen geschaut wurde.
Mit einer Videokamera Jahns wurde die große Montagsdemo in Leipzig am 9.
Oktober 1989 in Bildern festgehalten.
Reporter Philipp Gessler hat mit Jahn und Weggefährten aus seiner Zeit im
Osten und Westen gesprochen, Jahns Artikel und Berichte ausgewertet und
Stasi-Dokumente gelesen. In einer Ganzen Geschichte in der aktuellen
sonntaz erzählt er, wie die DDR sich einen ihrer gefährlichsten Dissidenten
selbst gemacht hat.
12 Mar 2011
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