# taz.de -- Atomland Japan: Eingelullt von Mr. Pluto | |
> Schon 1954 begann Japan mit der Atomkraft, Ereignisse wie die Ölkrise | |
> beförderten ihren Ausbau. Kindern wird in der Schule sogar beigebracht, | |
> dass man Plutonium trinken könne. | |
Bild: Junge Frauen in Japan: Haben auch sie gelernt, wie ungefährlich Atomkraf… | |
BERLIN taz | Gemessen an der Gesamtzahl der Reaktoren ist Japans | |
Atomindustrie mit 55 Meilern heute nach denen der USA und Frankreichs die | |
drittgrößte der Welt. Japans Elektrizitätsproduktion kommt zu 29 Prozent | |
aus Atomkraft. Angestrebt werden 41 Prozent für das Jahr 2017 und 50 | |
Prozent im Jahr 2030. | |
Wegen seiner hohen Rohstoffabhängigkeit einschließlich des Imports von Uran | |
strebt Japan den geschlossenen Plutoniumkreislauf samt Wiederaufbereitung | |
und Schnellen Brütern an. Allerdings gab es hier bereits große Rückschläge. | |
So musste der Schnelle Brüter Monju 1995 nach einem Störfall schon nach nur | |
wenigen Monaten Laufzeit abgeschaltet werden. Es dauerte 15 Jahre, bis er | |
wieder ans Netz gehen konnte. | |
Japans Atomprogramm begann bereits knapp ein Jahrzehnt nachdem das Land | |
nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 im | |
Zweiten Weltkrieg kapituliert hatte. Es waren die USA unter Präsident | |
Dwight D. Eisenhower und seinem Programm "Atom für den Frieden", die in | |
Japan 1954 die Weichen Richtung Atomkraft stellten. | |
1963 ging Japans erster Forschungsreaktor und 1966 der erste kommerzielle | |
Reaktor (aus britischer Produktion) ans Netz. Es folgte der Bau von | |
Reaktoren amerikanischer Provenienz (Westinghouse, General Electric), die | |
später dann zunächst in Lizenz gefertigt wurden, bevor auch japanische | |
Konzerne wie Toshiba, Hitachi und Mitsubishi in den 70er Jahren eigene | |
Reaktoren entwickelten. | |
Einen großen Schub bekam die japanische Atomindustrie durch die Ölkrise | |
1973. Die demonstrierte Japans große Ölabhängigkeit und Verwundbarkeit. | |
Zwei Drittel seiner Elektrizität gewann Japan damals aus Öl. Fortan wurde | |
die Atomkraft zum strategischen Bereich erklärt und zielstrebig ausgebaut. | |
Der 26. Oktober wurde offiziell zum "Tag der Kernenergie" erklärt. In den | |
Schulen wird den Kindern die Atomenergie samt Plutonium mit der | |
verherrlichenden und verharmlosenden Comicfigur "Mr Pluto" nahegebracht. | |
Der tischt den Kindern die Lüge auf, dass sie Plutonium sogar völlig | |
gefahrlos trinken können. | |
Mitte der 70er Jahre hatten sich in Japan auch die ersten Anti-AKW-Gruppen | |
wie das Citizens Nuclear Information Center (CNIC) in Tokio gegründet. | |
Lokaler Widerstand verhinderte an einigen geplanten Standorten auch den Bau | |
einiger Reaktoren. Doch auf nationaler Ebene blieb die Anti-AKW-Bewegung | |
schwach, die unter Parteien und relevanten gesellschaftlichen Gruppen | |
keinen größeren Rückhalt fand. Da im erdbebengefährdeten und | |
dichtbesiedelten Japan die Standorte knapp sind und sich nicht überall | |
lokaler Widerstand überwinden oder kaufen ließ, drängen sich die Meiler | |
insgesamt an wenigen Plätzen. So stehen an einem 60-Kilometer-Abschnitt der | |
Warkasa-Buch 15 Reaktoren. | |
Betreiber der Reaktoren sind die börsennotierten öffentlichen regionalen | |
Energieversorgungsunternehmen wie Tokyo Electric Power Company (Tepco). Der | |
Betreiber der Katastrophenreaktoren in Fukushima Daiichi ist nach Eon, EdF | |
und RWE der viertgrößte Energieversorger der Welt. Japans zehn regionale | |
Energiversorgungsunternehmen, die bis auf eine Ausnahme alle Atomkraftwerbe | |
betreiben, haben ein Energieversorgungsmonopol und sind eng mit Staat und | |
Regierung verflochten. | |
Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 wuchs auch in Japan die | |
Kritik an der Atomenergie. Das führte auch zu einigen Verzögerungen beim | |
Bau und höheren Sicherheitsstandards, doch kam es anders als in Europa oder | |
Nordamerika nie zu einer regelrechten Pause beim Bau neuer Reaktoren. Dabei | |
gab es seitdem auch in Japan zahlreiche und zum Teil auch sehr ernsthafte | |
und tödliche Störfälle und Unfälle. | |
Zahlreiche Vertuschungsskandale haben das Ansehen der Betreiber auch in den | |
Augen vieler Japaner beschädigt. 2007 war es bereits im Kraftwerkskomplex | |
Kashiwazaki-Kariwa, dem größten und ebenfalls von Tepco betriebenen AKW der | |
Welt, nach einem Erdbeben zu zahlreichen Problemen gekommen. Erst später | |
wurde bekannt, dass dabei auch Radioaktivität freigesetzt wurde. Tepco | |
sagte damals, man habe nicht mit so einem starken Beben gerechnet. | |
In den letzten Jahren pries sich auch in Japan die Atomindustrie als | |
Wunderwaffe gegen den Klimawandel an. Japans Atomwirtschaft hat zudem | |
verstärkte Exportanstrengungen unternommen und wird bald in Vietnam einen | |
Reaktor bauen. | |
14 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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