# taz.de -- Krieg und Comic: Gegen die Ordnung des Erzählens | |
> Reinhard Kleist, Joe Sacco und Jacques Tardi/Jean-Pierre Verney erzählen | |
> von Fidel Castro, Bosnien und dem Ersten Weltkrieg. Ihr Medium sind | |
> Comics. | |
Bild: Szene aus Joe Sacos "Bosnien". | |
Das Thema Leben vor, während und nach dem Kriegszustand besitzt im | |
zeitgenössischen Comic derzeit große Konjunktur. Das Berliner Gorki-Theater | |
veranstaltet dazu ab Sonntag sogar eine ganze Veranstaltungsreihe. | |
Mit dem wenn auch sehr spät und langsam einsetzenden hiesigen Wandel seiner | |
öffentlichen Wahrnehmung als Kunstform drängen verstärkt Erzählungen auf | |
den Markt, die den Krieg und mit ihm die Entwicklung historischer Prozesse | |
fokussieren. Die Zugriffe der teils übersetzten, teils deutschsprachigen | |
Werke auf den kontrollierten Ausnahmezustand und die Funktion ihrer | |
Bildpolitik weisen bemerkenswerte Unterschiede auf. | |
Der in Berlin lebende Zeichner Reinhard Kleist präsentiert nach seiner | |
vielfach preisgekrönten Erzählung "Cash. I see a darkness" von 2006 mit | |
"Castro" seine nun zweite Comicbiografie, dieses Mal gewidmet dem besagten | |
kubanischen Revolutionsführer. In zu großen Teilen chronologischer Form | |
zeichnet der Plot die Entwicklung Castros vom Widerstandskämpfer zum | |
Staatsoberhaupt nach, den Zeitraum des bewaffneten Kampfs bis zur | |
Machtkonsolidierung und den sich anschließenden politischen Weltkonflikten. | |
Als vermittelnde Instanz fungiert der fiktive deutsche Journalist Karl | |
Mertens, aus dessen Perspektive die Figur Castro konturiert wird. | |
Gleichfalls dient dieses Verfahren dazu, den Mythos Castro zu bannen - mit | |
ambivalentem Ergebnis. Denn so sehr durch den fiktiven Mertens, der vom | |
Reporter zum begeisterten Anhänger wächst, der Mythos hinterfragt werden | |
soll, so sehr streben die Panels wiederum zur Ikonisierung des | |
charismatischen Führers. | |
Mit ein wenig zu viel Revolutionspathos in den Dialogen und einem Castro, | |
dessen Gestalt sich geradezu schicksalhaft vor mit Gefangennahmen, | |
brennenden Häusern und Bombardierungen gefüllten Hintergründen abzeichnet, | |
kann sich die Erzählung selbst nicht von der Falle der Mythologisierung | |
lösen. | |
## Joe Sacco | |
Eine konträre Methode wählt der maltesisch-amerikanische Künstler und | |
Journalist Joe Sacco. Er setzt mit seinem bereits 2000 erstveröffentlichten | |
und 2001 mit dem Eisner Award ausgezeichneten Comic "Bosnien" auf Teilhabe | |
durch die Suggestion von Authentizität. Den Gefahren endgültiger und | |
objektivierender Geschichtsschreibung entgeht er mit den Mitteln der | |
Comicreportage, einem Genre, das Sacco selbst zuvor mit seinem Initialwerk | |
"Palästina" maßgeblich lancierte. | |
Zur Zeit des Bosnienkriegs begab sich Sacco 1995 für fünf Monate nach | |
Bosnien und lebte einen Monat in der Stadt Gorazde. Zu diesem Zeitpunkt war | |
der Ort eine heftig umkämpfte muslimische Enklave, deren isolierte Bewohner | |
autark überleben mussten. | |
Sacco ist als Figur, Erzähler und Vermittler allgegenwärtig. Sehr früh sagt | |
er: "Sorgen Sie sich nicht um mich. Für mich gab es jederzeit exklusive | |
Auswege. Wenn die Schlinge zu eng würde, könnte ich jederzeit meinen | |
UN-Ausweis zücken und nach Sarajevo verduften." Sein Alter Ego bildet also | |
nicht das narrative Zentrum, sondern dient als beobachtendes Medium, das | |
Eindrücke, Stimmen und Informationen fixiert und visualisiert. Das Material | |
arrangiert er um Menschen und motivische Abschnitte, vermengt Aussagen mit | |
Zitaten aus Reden von Tito oder Bill Clinton, lässt historische | |
Erläuterungen einfließen und hält sich vom bloßen Bilddokumentarismus fern, | |
indem er die Interviewpartner immer wieder in die Orte ihrer Erinnerung | |
situiert. | |
Die Entbehrungen und unvorstellbaren Grausamkeiten, von denen berichtet | |
wird, erhalten dadurch eine nur schwer zu ertragende Kontur. Die | |
Zusammenhänge, in die Sacco sie stellt, sind Deutungsversuche, | |
Schlaglichter, an deren Ende kein voreiliges Verstehen und damit auch kein | |
erster Schritt zur Mythologisierung des Krieges lauert. | |
## Jacques Tardi | |
Weit entfernt vom Mythos, dafür näher an dem ganz eigenen Projekt | |
Aufklärung im ideengeschichtlichen Sinne ist Jacques Tardi. Bereits in | |
früheren Erzählungen konzipierte er den Ersten Weltkrieg als Ausdruck | |
pervertierter Machtstrukturen, die sich in der grenzenlosen Befehlsgewalt | |
über den Körper des Soldaten entladen. Mit der zweibändig edierten | |
Zusammenarbeit mit dem Historiker Jean-Pierre Verney überträgt Tardi diese | |
Programmatik in ein erzählerisch repetitives Panoptikum der Destruktion. | |
In Gestalt eines namenlosen Ich-Erzählers, der mit zweckrationalem Zynismus | |
die Jahre an der Front kommentiert, betreibt Tardi eine | |
Geschichtsschreibung von unten: Er summiert Bilder von Verstümmelungen, | |
zerfetzen Körpern, Eingeweiden, Blut und Matsch, die er in einem strengen | |
Raster von in der Regel drei breiten Panels pro Seite anordnet und | |
vermittelt darüber mit klinischer Kälte die maschinelle Zurichtung des | |
Menschen als Material. | |
Diese erzählerische Reduktion des Krieges auf seine unmittelbaren Folgen | |
ist in seiner Seriellität Methode und Methodologie in einem: Vom Krieg zu | |
erzählen bedeutet, Leid beredt werden zu lassen, und dieses Leid findet | |
erst dann eine Sprache, wenn es sich der Ordnung repräsentativen Erzählens | |
widersetzt - ein Verstehen darf es nicht in Aussicht stellen. In diesem | |
Sinne muss man wohl Tardis Versuch, selbst wenn er zwanzig Bände umfassen | |
würde, als im besten Sinne gescheitert erklären. | |
22 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Jachmann | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Graphic Novel | |
Krieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Comiczeichner Jacques Tardi in Basel: Reise ans Ende der Nacht | |
Der französische Zeichner Jacques Tardi wird in Basel mit einer großen | |
Ausstellung gefeiert. Berühmt sind seine Comics zum Ersten Weltkrieg. | |
Comicbiografie über Nick Cave: Der größte Dandy der Gegenwart | |
Lover, Mörder, Guru, Gott. Reinhard Kleist macht all die schönen Mythen um | |
den Musiker noch wahrer, als sie ohnehin schon sind. | |
Der Erste Weltkrieg im Comic-Format: Sieben Meter Krieg | |
Die „Schlacht an der Somme“ war eine verheerende Offensive der britischen | |
Armee. Joe Sacco hat aus ihr ein überdimensionales Wimmelbild gemacht. | |
Comic über die Logik: Philosophie als Slogan | |
"Logicomix" sonnt sich im Licht der Philosophie und macht sie gleichzeitig | |
runter. Aus der Wahrheitssuche von Bertrand Russell wird eine Geschichte | |
des Scheiterns. | |
Aus der Literataz: Arjounis neuer Roman: Gnadenlos vor aller Dorfaugen | |
Ostdeutschland ist anders. Großstadtfanatiker Jakob Arjouni beschreibt in | |
"Cherryman jagt Mr. White" die Tristesse eines fiktiven Vororts von Berlin. | |
Katastrophen in Japans Popkultur: Das Monstrum und die Hundemenschen | |
Atomare Katastrophen und der Kampf zwischen Mensch und Natur spielen in der | |
japanischen Popkultur schon lange eine große Rolle. Bekanntestes Beispiel: | |
der radioaktive Saurier Godzilla. | |
Atomland Japan: Eingelullt von Mr. Pluto | |
Schon 1954 begann Japan mit der Atomkraft, Ereignisse wie die Ölkrise | |
beförderten ihren Ausbau. Kindern wird in der Schule sogar beigebracht, | |
dass man Plutonium trinken könne. | |
Montagsinterview Comiczeichner Fil: "Kacke ist der Sex der Kinder" | |
Fil, Zeichner des Kultcomics "Didi und Stulle" und Bühnenkünstler, über | |
Prenzlauer-Berg-Eltern, Punk, nicht-spießig-werden und das von ihm | |
illustrierte Retro-Style-Kinderbuch "Der Kackofant". |