# taz.de -- Aus der Literataz: Arjounis neuer Roman: Gnadenlos vor aller Dorfau… | |
> Ostdeutschland ist anders. Großstadtfanatiker Jakob Arjouni beschreibt in | |
> "Cherryman jagt Mr. White" die Tristesse eines fiktiven Vororts von | |
> Berlin. | |
Bild: Den tristen Charme eines fiktiven Berliner Vororts beschreibt Jakob Arjou… | |
Wahrscheinlich gibt es kaum einen deutschsprachigen Schriftsteller, der so | |
wie Jakob Arjouni an die Großstadt glaubt. Und wahrscheinlich gibt es auch | |
kaum einen, der so sehr dem Genre des Unterhaltungs- und Kriminalromans | |
verpflichtet ist, um komplexe Sachverhalte sorgfältig zu reduzieren und | |
dabei ihren Kern herauszupolieren. | |
Arjouni, geb. 1964, hat 1985 seinen ersten Roman veröffentlicht. "Happy | |
Birthday, Türke!". Mit dem deutsch-türkischen Ermittler Kemal Kayankaya war | |
er seiner Zeit um 20 Jahre voraus. Sein Privatdetektiv war ein | |
Deutschtürke, der HipHop und Klassik hören durfte, die Großstadt Frankfurt | |
am Main durchstreifte und niemals, aber wirklich niemals ethnisierte. | |
Mutikulti, Worldmusic oder gar religiöser Gesangsunterricht, es war nicht | |
seine Sache. | |
Jakob Arjouni wurde bald selbst schon für einen Deutschtürken gehalten, mit | |
der deutschen Einheit veränderte er seine Romanthematiken. Seiner fast | |
schon Don-Quichottte'schen Beschäftigung mit Nationalismus und Vorurteilen | |
blieb er in fast all seinen Werken treu. Hartnäckig hielt er nach 1989 an | |
einer kosmopolitisch-westdeutschen Perspektive fest, die vor sich hin | |
arisierenden neuen deutschen Provinzen fest im Blick. | |
Nun, kurz vor der Sachsen-Anhalt-Wahl am Wochenende - aktuelle Umfragen | |
sehen die NPD bei 5 Prozent - hat sich der in Berlin und Frankreich lebende | |
Schriftsteller erneut mit der Kultur seiner neuen Landsleute | |
auseinandergesetzt. | |
Mit wenigen Absätzen und pointierten Beschreibungen errichtet Arjouni das | |
fiktive Storlitz am Rande Berlins. Es ist eine Ku-Klux-Klan-artige Kulisse, | |
vor der Arjounis Geschichte "Cherryman jagt Mr. White" spielt. Vor dem | |
örtlichen Supermarkt sitzen vier meist betrunkene Jungmänner - Heiko, | |
Mario, Robert und Vladimir. Eines ihrer bevorzugten Opfer ist der | |
18-jährige Rick Fischer. Rick ist introvertiert und ruhig, ein | |
Einzelgänger. Nach dem Autounfall seiner Eltern lebt er als Waise bei | |
seiner Tante, die nicht seine leibliche Tante ist, sondern eine zu | |
DDR-Zeiten zugezogene nette Frau aus Österreich. Das ideale Opfer. | |
## Rettung Parallelwelt | |
Rick träumt von einer Lehrstelle in Berlin und sucht vor der Storlitzer | |
Tristesse Zuflucht in der Welt der Comics. Er liest sie nicht nur, sondern | |
zeichnet selbst. Diese Parallelwelt ist seine Rettung. Rick ist ein | |
sympathischer Junge. In der territorial beschränkten Umgebung von Storlitz | |
wandelt er durch Arjounis Roman wie einer, der versehentlich in einen | |
Gefangenentrakt mit psychopathischen Gewaltverbrechern geraten ist, ohne | |
schützendes Aufsichtspersonal oder eigene Gang im Rücken. | |
Rick hat nur die alte Tante, um die er sich Sorgen macht, und eine Katze, | |
die die vier vorm Supermarkt vor seinen Augen erledigt haben. Der junge | |
Rick Fischer geht nach Berlin, doch Storlitz lässt ihn nicht los. Er treibt | |
in eine gnadenlose Auseinandersetzung, die sich vor aller Dorfaugen | |
abspielt, die aber offensichtlich niemand wahrnehmen will. | |
Arjounis Roman ist schnell, elegant, leichtfüßig - humorvoll von der ersten | |
bis zur letzten Zeile. Ausgefuchst seine Typologie und comichafte Lakonie. | |
Jakob Arjouni: "Cherryman jagt Mr. White". Diogenes Verlag, Zürich 2011, | |
168 Seiten, 19,90 Euro. | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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