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# taz.de -- Debatte um Netzsperren: "Allein das Löschen ist effektiv"
> CDU-Hardliner fordern erneut die Einführung von Netzsperren gegen
> Kinderpornografie: Löschen helfe nicht. Oliver Süme von der
> Provider-Beschwerdestelle Inhope widerspricht.
Bild: Sperren? Löschen? Die Debatte geht weiter.
taz.de: Herr Süme, bislang waren die umstrittenen Netzsperren ausgesetzt,
nun sieht es so aus, dass Teile der CDU/CSU [1][sie wieder haben wollen].
Erwarten Sie, dass das Gesetz doch noch zur Anwendung kommen könnte?
Oliver Süme: Davon gehe ich im Moment nicht aus. Der Grundsatz "Löschen
statt Sperren" ist im Koalitionsvertrag verankert. In weite Teilen der
Politik ist die Erkenntnis vorgedrungen, dass Netzsperren das eigentliche
Problem nicht lösen. Gerade dort, wo sie dennoch in Europa eingesetzt
werden, zeigt sich, dass Netzsperren sogar kontraproduktiv sind - wie zum
Beispiel in Dänemark, wo teilweise gar keine Löschaufforderung mehr an das
betroffene Land abgesetzt wird.
Zum anderen weiß man in den Niederlanden und Großbritannien, dass nur das
Löschen zu einer drastischen Reduzierung des Problems führen kann. Die
niederländischen Provider haben gerade erst erklärt, dass sie von der
Möglichkeit der Netzsperren keinen Gebrauch mehr machen werden.
International haben wir einen deutlichen und nachweisbaren Trend, der
belegt, dass allein das Löschen effektiv ist. Vor diesem Hintergrund zu
einer überholten, überflüssigen und umstrittenen Regelung zurückzukehren,
wäre politischer Irrsinn.
Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere weigerte sich zuletzt,
Forderungen aus der eigenen Fraktion nachzugeben, den Aussetzungserlass
aufzuheben. De Maiziere gab zumindest vor, mit der Internet-Community
[2][diskutieren] zu wollen. Nun haben wir mit Hans-Peter Friedrich einen
neuen Chef des Innenresorts, der als wenig netzaffin gilt.
Süme: Ich weiß nicht, wie netzaffin der neue Innenminister ist. Bezüglich
des Grundsatzes "Löschen statt Sperren" gibt es aber jede Menge Fakten und
internationale Erfahrungen, aus denen man Schlüsse ziehen kann - auch ohne
besonders netzaffin zu sein.
Auch der neue Innenminister kann sicher sein, dass die Internet-Wirtschaft
weiter mit hohem Engagement und in enger Zusammenarbeit mit den
Strafverfolgungsbehörden gegen illegale Inhalte im Netz vorgeht und ihr
Know-how einbringt. Nach allen uns vorliegenden Erkenntnissen helfen
Netzsperren dabei aber nicht.
Die Aussetzungsfrist für das Netzsperrengesetz, die ein Jahr betrug, ist
Ende Februar abgelaufen. Wie wird es nun weitergehen?
Süme: Wir brauchen dringend eine Verlängerung des Evaluierungszeitraums.
Derzeit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für eine umfassende
Evaluierung. Es wurden Schwachstellen in den bisherigen Prozessen und
Verfahrensabläufen identifiziert und Änderungen initiiert. Diese sind
teilweise schon implementiert, andere müssen aber noch umgesetzt werden.
Wir haben im vergangenen Jahr die Koordinierung der deutschen
Internet-Hotlines untereinander sowie mit dem BKA und die Verbesserung der
Prozesse beim Löschen vorantreiben können. Auch die internationale
Abstimmung klappt besser.
Die Ergebnisse zeigen, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Teilweise
werden aber erst jetzt die Prozesse so aufgesetzt, wie wir sie schon seit
geraumer Zeit anwenden. Das BKA informiert beispielsweise erst seit Oktober
über [3][Jugendschutz.net] unser Inhope-Netzwerk und lässt so zum Löschen
auffordern. Das ist vorher nicht geschehen. Auch die Harmonisierung der
Vorgehensweise der deutschen Beschwerdestellen und des BKA ist noch nicht
abgeschlossen, auch da brauchen wir mehr Zeit und müssen die Ergebnisse
abwarten und bewerten.
Nach dem großen Erfolg der Online-Petition gegen Netzsperren hat es einen
erstaunlichen Umschwung in der Politik gegeben und es sah so aus, als
hätten auch CDU/CSU gelernt, dass einfache Stoppschilder, die Bilder nur
verdecken, eine kontraproduktive Maßnahme sind. Warum hat sich dort nun
offenbar der Ansatz "Löschen statt Sperren" nicht durchgesetzt?
Süme: Natürlich gibt es da immer wieder Rufe nach Netzsperren. Für die
Politik ist es sicher verlockend, mit vermeintlich einfachen technischen
Mitteln den Eindruck zu vermitteln, man würde etwas gegen das Problem
unternehmen. Das erweckt ja auch in der Tat bei vielen Bürgern den
Eindruck, man würde die Sache ernsthaft angehen. Tatsächlich mehren sich
aber auch bei CDU und CSU Stimmen, denen die Problematik von Netzsperren
bewusst wird und die sich dagegen aussprechen.
Der eco e.V. betreibt, Sie hatten es erwähnt, selbst eine eigene
Anti-Kinderporno-Beschwerdestelle im Rahmen von Inhope, einem Netzwerk, das
international gegen illegale Inhalte im Internet vorgeht. Welche
Erfahrungen machen Sie selbst beim Vorgehen gegen dieses Material?
Süme: Unsere Erfahrungen bei der Löschung von Inhalten im Ausland sind
ausgezeichnet. Im Jahr 2010 konnten wir bei 84 Prozent der gemeldeten
Inhalte nach einer Woche die Löschung feststellen, bei 91 Prozent nach zwei
Wochen. Auch diese Werte können wir noch optimieren. Bemerkenswert dabei
ist, dass die Zahlen sich deutlich verbessert haben, seit dem wir auch
unsere Partner im Ausland zu einem konsequenten
"Notice-and-Take-down"-Verfahren angehalten haben. Das zeigt: Löschen
funktioniert, gerade auch in vermeintlichen Problemländern.
In der Jahresbilanz des BKA sehen die Löschzahlen deutlich schlechter aus.
Die gut zwei dutzend Personen, die sich im Bereich Sexualdelikte gegen
Kinder und Jugendliche mit dem Thema professionell befassen - sechs davon
laut FDP allein für den Bereich "Löschen statt Sperren" -, haben eine
niedrigere Erfolgsquote. Wie kommt das?
Süme: Die Dienstwege des BKA sind sicher länger als unsere. Am schnellsten
wird gelöscht, wenn man den ausländischen Provider direkt kontaktieren
kann. Das ist für uns dann möglich, wenn in dem betroffenen Land keine
Inhope-Partnerhotline eingerichtet ist. Wichtig ist nach unserer Erfahrung
zudem, möglichst schnell und regelmäßig im Ausland nachzufassen und zu
prüfen, ob eine Löschaufforderung erfolgreich war. Unsere Mitarbeiter
machen das werktäglich, beim BKA erfolgt das nur wöchentlich.
Haben Sie Tipps, was das BKA besser machen könnte?
Süme: Ich muss da keine Tipps geben. Das BKA kennt unsere Arbeits- und
Vorgehensweise, unsere Mitarbeiter sind in regelmäßigem Austausch.
Sicherlich gibt es aber Verbesserungsbedarf in der internationalen
Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden.
Es erstaunt teilweise sehr, wie viele der gemeldeten Seiten offenbar in
Industrieländern, also in Europa und den USA, vorgehalten werden. Wie
schwer kann es hier sein, zu löschen?
Süme: Wir haben als Schwerpunktländer die USA und Russland ausgemacht.
Gerade dort haben sich aber innerhalb kurzer Zeit deutliche Verbesserungen
ergeben. 2010 waren in den USA 87 Prozent nach einer Woche gelöscht, in
Russland sogar 98 Prozent.
Befürworter der Netzsperren sagen, dass es Länder gäbe, in denen
Kinderpornografie im Netz nicht verfolgt wird, demnach keine Handhabe
bestünde. Ist das richtig?
Süme: Nein, das ist so nicht richtig, denn Kinderpornografie ist
international geächtet. Wenn es überhaupt Länder gibt, in denen
Kinderpornografie im Netz nicht verfolgt wird, so sind das jedenfalls keine
Schwerpunktländer. Bei uns gehen neben den USA und Russland Meldungen ein,
die auf solche Inhalte in Kanada und den Niederlanden hinweisen. Auch dort
kann selbstverständlich gelöscht werden.
Auch auf EU-Ebene werden Netzsperren diskutiert. Könnten diese, falls in
Deutschland die Abwehr weiter gelingt, über die Hintertür Brüssel doch noch
eingeführt werden?
Süme: Dazu müssen wir zunächst die finale Fassung der geplanten Richtlinie
abwarten. Auf EU-Ebene ist die Situation insofern auch eine andere, als
einige Mitgliedsstaaten bereits Netzsperren einsetzen. Jedenfalls ist es
erstaunlich, dass noch in der ersten Fassung der Richtlinie das Sperren
quasi als Standardmaßnahme vorgesehen war, während nun das Löschen im
Vordergrund steht und man derzeit nur noch Sperren für den Fall diskutiert,
dass sich Löschmaßnahmen als unmöglich erwiesen haben.
Auch das ist zwar nicht erforderlich, denn erfolgreiches Löschen ist bei
konsequenter Anwendung und internationaler Koordinierung nicht unmöglich.
Es ist aber trotzdem positiv zu sehen, dass bei diesem Thema auch in
Brüssel im letzten Jahr ein enormer Erkenntnisprozess darüber
stattgefunden, das Netzsperren mindestens äußerst problematisch sind.
15 Mar 2011
## LINKS
[1] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/cdu-forciert-netzsperren/
[2] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/der-innenminister-als-troll/
[3] http://jugendschutz.net/
## AUTOREN
Ben Schwan
## TAGS
Kinderpornografie
Schwerpunkt Überwachung
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