# taz.de -- Anti-AKW-Protest in Deutschland: Provinz protestiert plötzlich | |
> Überall in Deutschland regt sich Widerstand gegen die Atomkraft. Neu ist, | |
> dass nun auch viele Mahnwachen in der Provinz stattfinden. Wie etwa in | |
> Neuenhagen. | |
Bild: Mahnwachen, wohin das Auge blickt: In Gronau ebenfalls. | |
NEUENHAGEN taz | Matthias Michel faltet gemeinsam mit einer älteren Dame | |
ein weißes Transparent aus, auf dem "Lieber Kinderlachen statt | |
Atomstrahlen" steht. Mit der linken Hand zieht er noch einmal daran. "So, | |
jetzt kann man's besser erkennen", sagt Michel. Er lächelt. In seiner | |
rechten Hand hält er inzwischen eine "Atomkraft? Nein Danke"-Fahne und | |
schwenkt sie zögerlich. Michel ist bereit. Es kann losgehen. | |
Der 28-Jährige ist einer von rund 40 Atomkraftgegnern, die am Montagabend | |
um 18 Uhr vor dem S-Bahnhof in Neuenhagen eine halbe Stunde | |
zusammengekommen sind, um mit Transparenten und Gesängen der Opfer der | |
Reaktorkatastrophe in Fukushima zu gedenken und gegen Atomkraft zu | |
protestieren. Unter den Demonstranten sind Grüne, Linke und | |
Sozialdemokraten. Es demonstrieren Kleinkinder, Jugendliche, Erwachsene und | |
Senioren. | |
Die Neuenhagener sind der Aufforderung der atomkraftkritischen Initiative | |
".ausgestrahlt" nachgekommen, mit Mahnwachen auf die traurigen Ereignisse | |
in Japan zu reagieren. Neuenhagen befindet sich in der gleichnamigen | |
16.000-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Märkisch-Oderland in Brandenburg. Es | |
gibt eine Dorfkirche, einen großen Supermarkt, eine Kneipe und den | |
S-Bahnhof. | |
Nach Angaben der Initiatoren soll es in 720 Orten ähnliche Demonstrationen | |
gegeben haben. Bundesweit hätten sich etwa 140.000 Menschen an der Aktion | |
beteiligt. | |
## "Jetzt haben wir die Aufmerksamkeit, das müssen wir nutzen" | |
Auch in Berlin. Auf der Bundestagswiese spielen Kinder von Atomkraftgegnern | |
Fußball. Und dann wird es laut: "Abschalten! Abschalten! Abschalten!", | |
rufen die Protestierenden in Richtung Kanzleramt. "Die Endlagerung ist | |
nicht geklärt. Das wird die nächsten zweitausend Jahre strahlen", sagte ein | |
31-jähriger Familienvater, der mit seinen zwei Kindern gekommen ist. Eine | |
57-jährige Frau meint: "Merkels Moratorium ist eine unverschämte | |
Blenderei." Am Samstag will sie wiederkommen, wenn in Berlin, Hamburg, Köln | |
und München Großdemos geplant sind. "Jetzt haben wir Aufmerksamkeit, das | |
müssen wir nutzen", sagt sie. | |
Doch der neu erwachte Anti-AKW-Protest hat vor allem auch die Provinz | |
erfasst. | |
Verden etwa. Die Hauptstadt der deutschen Alternativbewegung. Hier hatte | |
Attac seinen Dienstsitz, ebenso die Bewegungsstiftung und die Zentrale des | |
Onlinenetzwerks Campact. Es ist 18 Uhr, und auf dem Kopfsteinpflaster vor | |
dem historischen Rathaus liegt ein großes weißes Plakat: "Wir drücken allen | |
Bürgerinnen und Bürgern in Japan und vor allem in den betroffenen Familien | |
unser aufrichtiges Bedauern aus. Wir fühlen mit ihnen" steht darauf. Der | |
Bürgermeister und Dutzende Verdener haben schon unterschrieben. Und jetzt | |
unterzeichnet jeder hier. "Wir wollen, dass abgeschaltet wird, und zwar | |
jetzt und endgültig", sagt Christoph Bautz, Geschäftsführer des | |
atomkraftkritischen Kampagnenportals Campact. | |
## Nicht nur typische Grüne protestieren | |
Aber nicht nur in Verden, sondern auch in Meckesheim, Miesbach, Gronau oder | |
Stollberg gingen die Menschen auf die Straße, um auf die Reaktorkatastrophe | |
in Fukushima zu reagieren und den Atomausstieg zu fordern. "Ich bin nicht | |
nach Berlin gefahren, weil es nicht alltäglich ist, dass es in Neuenhagen | |
zu Demonstrationen gegen Kernenergie kommt", sagt Michel. | |
"Die Bilder aus Japan haben mich sehr getroffen, und ich möchte ein Zeichen | |
gegen Atomkraft und die Politik der Bundesregierung setzen", begründet | |
Michel in Neuenhagen sein Engagement, sich an der an der Mahnwache zu | |
beteiligen. | |
Der gebürtige Berliner ist seit 2004 Mitglied bei den Grünen in Strausberg, | |
aber "eigentlich kein typischer Grüner", betont er. Michel ist ein großer, | |
kräftiger Mann, der eine braune Schiebermütze trägt. Unter seiner schwarzen | |
Winterjacke guckt ein weißer Kapuzenpullover hervor, aus seiner | |
verwaschenen schwarzen Baggy Pants hängt ein grüner Schlüsselanhänger. Das | |
Klischee vom Öko trifft auf ihn nicht zu. "Ich war bei der Bundeswehr, und | |
Atomkraft war für mich auch nicht der Grund, weshalb ich den Grünen | |
beigetreten bin und Politik mache", sagt Michel. Er interessiere sich für | |
Klimaschutz und sei deswegen zu den Grünen gegangen. | |
Für die Initiatoren von .ausgestrahlt war die Aktion vermutlich ein großer | |
Erfolg. "Noch nie in der Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung kam es in | |
der Provinz zu Protesten gegen Atomkraft. Das ist völlig neu", sagt Jochen | |
Stay, Sprecher von .ausgestrahlt. Das Thema Kernenergie bewege die Menschen | |
überall in Deutschland. | |
Matthias Michel schwenkt seine "Atomkraft? Nein Danke"-Fahne und sagt: "Ich | |
hoffe sehr, dass die Schicksale der Japaner nicht vergessen werden". | |
Mitarbeit: Sarah Kohlhauer und Martin Kaul | |
22 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Dennis Steffan | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Fünf Männer gegen Merkel: Die Bewegungsmanager | |
Sie sind Angela Merkels Gegenspieler und sie haben eine Mission. Innerhalb | |
weniger Tage haben sie 100.000 Menschen auf die Straße gebracht: die | |
Manager der Anti-AKW-Bewegung. | |
Mütter gegen Atomkraft: "Ich bin erschüttert, entsetzt, wütend" | |
Gina Gillig von den "Müttern gegen Atomkraft" kritisiert die | |
Bundesregierung und die Stromkonzerne. Und spricht darüber, dass sich | |
Männer von ihrer Organisation abgeschreckt fühlten. | |
Japan-Ticker vom 23.3.2011: Wachsende Angst vor Strahlung | |
Japan begrenzt Gemüse-Ausfuhr aus der Region Fukushima. 40 Kilometer vom | |
Unfall-AKW wurde im Boden extrem hohe Radioaktivität gemessen. Erste | |
Partikel bald in Europa. | |
Reaktorunglück in Japan: Die Katastrophe als Normalzustand | |
Weißer Rauch, ein Stromkabel: Erfolgsmeldungen. Die Maßstäbe in Fukushima | |
ändern sich. Strahlen, kochende Abklingbecken und das verseuchte Meer | |
werden verdrängt. | |
Debatte Energie: Mehr Wind machen! | |
Der Ausbau erneuerbarer Energien ließe sich beschleunigen: mit neuen | |
Gesetzen, finanziellen Anreizen und Kampagnen zur Mobilisierung. Doch die | |
Politik blockiert. | |
Merkels Mini-AKW-Prüfung: Das reicht nicht | |
Ist Merkels AKW-Prüfung nur ein Wahlkampfmanöver? Atomexperte Renneberg | |
sagt, man brauche für eine genaue Überprüfung eines Kraftwerks zwei Jahre. | |
Kommentar Stromwechsel: Eine Zukunft ohne Kerne und Kohle | |
Nach Fukushima kann niemand mehr sagen, er hätte es nicht gewusst. Sehr | |
konkret und sehr nachdrücklich ist seit über einer Woche pausenlos zu | |
sehen, zu hören und zu lesen, dass die Atomenergie eine unverantwortliche | |
Risikotechnologie ist. | |
Ansturm bei Ökostrom-Anbietern: Ökostrom surft Wechselwelle | |
Anbieter sauberen Stroms erhalten massiv Zulauf. Alternativangebote | |
inzwischen etabliert und leicht vergleichbar. Diskussionsbedarf bei Kunden. |