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# taz.de -- Fünf Männer gegen Merkel: Die Bewegungsmanager
> Sie sind Angela Merkels Gegenspieler und sie haben eine Mission.
> Innerhalb weniger Tage haben sie 100.000 Menschen auf die Straße
> gebracht: die Manager der Anti-AKW-Bewegung.
Bild: Kanzleramts-Aktion, organisiert von Campact.
Er hat heute Nacht nur eine Stunde geschlafen, sagt er. Seine Augenringe
geben ihm recht. Und jetzt sitzt Jochen Stay schon wieder am
Konferenztisch. Es riecht nach Metallspänen. Doch aus der alten
Industriehalle in der Marienthaler Straße in Hamburg ist eine
Schaltzentrale geworden, von der in diesen Wochen eine große Macht ausgeht.
Eine Schaltzentrale der Anti-Atomkraft-Bewegung.
140.000 Menschen sollen am Montag in ganz Deutschland wieder gegen
Atomkraft unterwegs gewesen sein. Ebenso viele sollen es am Samstag wieder
werden. Bei Großdemos in München und Berlin, in Köln und Hamburg.
Jochen Stay, 45, sitzt im Büro seiner atomkraftkritischen Initiative
.ausgestrahlt. Er ist hier der Sprecher. Hier kann man Protestfahnen
bestellen und Cappuccino-Schablonen mit der Anti-Atom-Sonne. "Fukushima >
Idee > Kinospot" steht auf der Flipchart da am Rand. Diese Tage geben der
Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland Auftrieb. Und das .ausgestrahlt-Büro
ist so etwas wie das Dienstleistungszentrum der Atomkraftgegner. 13
Angestellte arbeiten hier, und Jochen Stay ist der basisdemokratischer
Chefmanager mit Innovationskraft.
## Im Zentrum der Massen
Er ist nicht der Einzige. Denn was viele nicht wissen: Im Zentrum der
Massen, die in den letzten zwei Jahren, seit dem großen Bauerntreck nach
Berlin, immer wieder gegen die Nutzung von Atomkraft auf die Straße
gegangen sind, stehen viele Organisatoren. Aber vor allem fünf Männer.
"Herrenriege" oder den "Ältestenrat der Anti-AKW-Bewegung" nennen sie sich
selbstkritisch. Andere sagen "Zentralkomitee" zu ihnen,
"Bewegungsvorstand", "Combo" oder "Phalanx".
Die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland, sie wird getragen von einem
Exekutivkomitee, das durch dreierlei besticht: Es arbeitet professionell,
effizient und vor allem auch hauptberuflich am Atomausstieg.
Stay ist einer dieser Männer. Wenn er und seine Combo beschließt, es gibt
Demos, dann gibt es Demos. Und wenn sie sagen, es kommen Zehntausende, dann
liegen sie meistens richtig. Mal waren es ihre Menschenketten und mal ihre
Großdemonstrationen, mal Netzkampagnen und mal AKW-Blockaden, mit denen sie
in den letzten zwei Jahren Schlagzeilen gemacht haben. Und meist beginnt
alles mit einer Telefonkonferenz zwischen Jochen Stay in Hamburg, Christoph
Bautz in Verden, Thorben Becker in Berlin, Peter Dickel in Braunschweig und
Dirk Seifert in Hamburg. So wie am vorletzten Montag.
Gerade erst waren im japanischen Fukushima die ersten Reaktoren havariert,
da war auch schnell die Menschenkette zwischen Stuttgart und Neckarwestheim
auf 60.000 Menschen angewachsen: wieder angeschoben vom Demo-Quintett.
Jochen Stay sagt: "Da war klar, die Leute wollen jetzt richtig aktiv
werden."
## Die Demo-Manager blasen zum Angriff
Montag um 13 Uhr war Telefonkonferenz. Stay hatte da wegen Fukushima übers
Wochenende schon zu bundesweiten Mahnwachen aufgerufen, Bautz,
Geschäftsführer des Kampagnennetzwerks Campact, hatte eine Onlinekampagne
gestartet. Und der Energiereferent Becker wusste den mächtigen
Umweltschutzverband BUND hinter sich. Irgendwann am Montag, dann war klar:
Fukushima wird die Bundesrepublik verändern. Auch weil die Demo-Manager zum
Angriff blasen. Die Strategie: Massendemos. Ab sofort.
Über 600 Mahnwachen in ganz Deutschland folgten dem Stay-Aufruf schon am
Abend, in den Folgetagen gab es überall in Deutschland Demos. Morgen nun
soll es weitere geben. Und für die kommenden Wochen stehen erneut
bundesweite Protestaktionen an. Zum Tschernobyl-Jahrestag im April und zum
Ende des Merkel-Moratoriums im Juni sollen weitere Massenproteste und
Sitzblockaden folgen.
"In diesem Jahr können wir den Atomausstieg endgültig schaffen", sagt Peter
Dickel. Er sitzt im Umweltzentrum in der Ferdinandstraße in Braunschweig
und ist schon seit 35 Jahren Atomkraftgegner. Brokdorf hat ihn 1976
politisiert. Und Dickel ist so etwas wie die lauteste Stimme der Basis in
der Fünfer-Combo. Für die Arbeitsgruppe Schacht Konrad ist er seit Jahren
als Pressesprecher aktiv, er kennt alle Bürgerinitiativen in Deutschland.
## "Das, was wir jetzt machen, ist hocheffizient"
"Das, was wir jetzt machen, ist hocheffizient. Aber das klappt nur auf
Basis dessen, was gesellschaftlich vorhanden ist." Wenn er "wir" sagt, dann
meint Dickel die fünf. "Aber die Macht sind nicht wir, sondern diejenigen,
die auf die Straße gehen." Die Fünfergruppe sei nur ein Teil in der
Anti-AKW-Bewegung, allerdings mit Zugriff auf Machtinstrumente. "Und dieser
Stellung sind wir uns durchaus bewusst. Wenn man damit nicht vernünftig
umgeht, kann man einen Teil der Bewegung abhängen."
Wenn er von Macht spricht, dann meint Dickel "Internet, Geld,
Telekommunikation und die Verfügung über Arbeitskraft". Und er meint eine
Arbeitsteilung: Jochen Stay ist dabei der mit der Landkarte. Wenn an der
Basis an über 600 deutschen Orten Mahnwachen entstehen, dann macht
.ausgestrahlt sie alle sichtbar, verschickt Pressemitteilungen. Eine banale
Arbeit, aber wichtig.
Thorben Becker, 39 Jahre alt, das ist der Verbandsmensch vom BUND. Wenn der
Umweltschutzverband Ja sagt, dann sind schnell Dutzende von Regionalgruppen
mit an Bord, die alle mithelfen. Das sind Hunderte, manchmal Tausende von
Menschen.
Dirk Seifert, 50 Jahre alt, Energiereferent von Robin Wood, kennt seine
Klettermaxe; das sind die, die sich abseilen können und auch mal was
riskieren. Wie Peter Dickel kennt er Hinz und Kunz aus der Bewegung.
Und Christoph Bautz, das ist der mit den 400.000 E-Mail-Adressen in seinem
Verteiler. Wenn es um politische Onlinekampagnen geht, dann beherrscht
seine Organisation Campact das Netz. Bautz, der weiß, wie man mit Twitter
umgeht und wie man Facebook nutzen kann. In seinem Büro arbeiten auch 20
Mitarbeiter, alle finanziert von massenhaften Kleinspenden, aus der
Bewegung. "Früher", sagt Bautz, "haben wir für bundesweite
Großdemonstrationen ein Dreivierteljahr Vorlauf gebraucht. Heute schaffen
wir das in zwei Wochen."
Und dieser Fortschritt beruht auf einem Baukastenprinzip. Beispiel Samstag:
Auch im Rheinland soll es eine Großdemo geben? Da rufen sie Manni an, der
macht das. Komplettes Bühnenprogramm in vier großen Städten, inklusive "Wir
sind Helden"-Auftritt, bitte innerhalb von zwölf Tagen zu organisieren -
das regelt Astrid von Attac. Und damit in Berlin die Plakate unters Volk
kommen, da fragen sie Uwe von den Naturfreunden. Aber die schnellen
Absprachen, die strategischen Großlinien, die entspringen zumeist der
Telefonkonferenz im "Ältestenrat".
## Nie zuvor war die deutsche Anti-AKW-Bewegung so schnell
Und tatsächlich: Seit der aufsehenerregende Bauerntreck in die
Bundeshauptstadt 2009 den Anfang einer neuen Protesterhebung markiert hat,
hat das Quintett vieles angeschoben: 120.000 Menschen kamen im April 2010
zu einer Menschenkette zwischen den Atomkraftwerken Krümmel und
Brunsbüttel. In Berlin kamen im September letzten Jahres rund 100.000
Menschen - dann zuletzt, vor kaum zwei Wochen, die 60.000 bei
Neckarwestheim. Da lief dort der Reaktor noch, der mittlerweile
abgeschaltet ist. Nie zuvor war die deutsche Anti-AKW-Bewegung so
handlungsfähig, so effizient wie heute.
"Manchmal erstaunt mich das selbst", sagt Peter Dickel. Und er weiß, dass
diese Effizienz auch Probleme birgt: Sie ist ein Zwiespalt für eine
Bewegung, die viel von ihren Basisstrukturen hält. Immer wieder schimpfen
Bürgerinitiativen daher auch gegen die Mammutpläne aus der
Telefonkonferenz: "Da wird einiges im stillen Kämmerlein beschlossen", sagt
etwa Herbert Würth, Pressesprecher des Aktionsbündnisses Neckarwestheim.
"Diese selbst ernannte Bundesliga lässt auch viele Standortinitiativen vor
Ort links liegen." Als die Bewegungsstrategen im letzten Jahr zur Großdemo
nach Berlin riefen, schoss die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg offen
dagegen. Sie fürchtete, dass nach zu vielen Protestterminen niemand mehr
zum Castor kommen könnte. Doch: Das Gegenteil war der Fall.
Christoph Bautz kommt im Moment nicht mehr zum Blumengießen. Die zwei
Pflanzen auf seiner Fensterbank dorren vor sich hin. "Es gibt nicht nur
Input-Legitimation, sondern auch Output-Legitimation", sagt der 38-Jährige.
Früher hat der Biologe, Schafherdenbesitzer und Attac-Mitbegründer in
seiner Heimat Kröten über die Straße getragen. Morgen kann seine
Output-Legitimation wieder gemessen werden, bei den Straßenprotesten in
München und Berlin, in Köln und Hamburg.
26 Mar 2011
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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