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# taz.de -- Debatte Anti-Atom-Proteste: Kommen sie damit durch?
> Die Proteste gegen "Stuttgart 21" geben ein gutes Vorbild ab. Massiver
> Druck könnte auch den Atomdeal noch zu Fall bringen – obwohl es
> eigentlich hoffnungslos scheint.
Es ist doch alles entschieden. Da macht es keinen Sinn mehr, jetzt noch auf
die Straße zu gehen." So oder ähnlich äußern sich seit Wochen die
Befürworter des Bahnprojekts "Stuttgart 21", um der massenhaften
Gegenbewegung Legitimation und Motivation zu rauben. Doch die schwäbische
BürgerInnenbewegung lässt sich dadurch nicht beirren. Gerade weil und wie
entschieden wurde, macht sie ja so ärgerlich. Und da sie ihren Ärger
kreativ und beharrlich auf die Straße bringen, ist es inzwischen längst
nicht mehr ausgeschlossen, dass das Projekt doch noch kippt.
Ähnliches erleben wir jetzt in der Auseinandersetzung um die Atomenergie.
Die Großdemonstration in Berlin am morgigen Samstag war eigentlich so
angesetzt, dass sie zehn Tage vor der angekündigten Regierungsentscheidung
zum Energiekonzept noch mal Einfluss nehmen sollte. Jetzt hat die Regierung
ihre Entscheidung vorgezogen und sich bereits weitgehend festgelegt - mit
aktiver Beteiligung der Stromkonzerne.
Doch unter AtomkraftgegnerInnen macht sich deshalb keine Resignation breit.
Vielmehr bekam die Großdemo durch Merkels Atomdeal einen gewaltigen Schub.
Auf den ersten Blick scheint die Situation hoffnungslos: Bis auf den
Minister für Reaktorsicherheit waren alle wesentlichen Akteure der
Regierungskoalition in die Entscheidung eingebunden. Zwar muss jetzt noch
der Bundestag ein neues Atomgesetz beschließen. Aber die Fraktionen von
Union und FDP sind noch radikaler auf Pro-Atom-Kurs als die Kanzlerin.
Wind machen, Sturm ernten
Merkel versucht, den öffentlichen Aufschrei gegen ihre Atompolitik zur
Imagekorrektur zu nutzen, ganz nach dem Motto "Viel Feind, viel Ehr". Sie
möchte zeigen, dass sie nicht nur moderieren, sondern auch schwierige
Entscheidungen trotz Gegenwind durchsetzen kann. Da kann alles nützlich
sein, was noch mehr Wind macht.
Derzeit sieht es so aus, als könnte aus dem Wind noch ein Sturm werden, dem
auch Merkel nicht auf Dauer standhalten kann. Zwar streuen die Spindoktoren
der Regierung den Begriff "Atomkompromiss". Doch jeder sieht, dass der
Geheimvertrag mit den Stromkonzernen das Radikalste ist, was die Regierung
atompolitisch beschließen konnte. Da wird niemand mitgenommen. Alle sind
dagegen - auch die, die angeblich davon profitieren sollen: Stadtwerke,
Gewerkschaften, Erneuerbaren-Branche, AKW-Standortgemeinden. Atomkritische
Anhänger von Union und FDP, von denen es ja laut Umfragen inzwischen
Millionen gibt, hätten vielleicht von Norbert Röttgen eingebunden werden
können. Doch der Umweltminister hat auf ganzer Linie verloren. So hat die
Regierung plötzlich ein virulentes Anti-Atom-Problem im eigenen Lager.
Selbst aus der Industrie schwindet die Unterstützung: Fast untergegangen
ist bei der Aufregung um die millionenschwere Anzeigenkampagne von
Energieversorgern und BDI, dass nur 9 von 30 DAX-Konzernen unterschrieben
haben. Die anderen 21 wurden zwar auch gefragt, haben sich aber bewusst
dagegen entschieden.
Der häufigste Satz, den man bei Gesprächen über die Atompolitik der
Bundesregierung hört, erinnert stark an "Stuttgart 21": "Damit kommen die
nie durch." Nicht eingefleischte Anti-Atom-Aktivisten sagen das, sondern
Leute, die sonst eher sagen "Die da oben machen ja doch, was sie wollen."
Da verschiebt sich gerade etwas in der Gesellschaft, das weit über die
Frage der AKW-Laufzeiten hinausweist.
Erste Risse im Bollwerk
Doch wie lässt sich - angesichts der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse im
Bundestag - der Weiterbetrieb aller 17 Reaktoren noch verhindern? Die erste
Antwort darauf lautet: Das ist erst einmal gar nicht so wichtig. Denn
massiver politischer Druck, wie er sich in der Frage der AKW-Laufzeiten
gerade aufbaut und in der Demonstration am Samstag sichtbar werden wird,
bringt automatisch die schwächste Stelle des Bollwerks zum Einsturz -
selbst wenn diese vorher gar nicht identifiziert wurde.
An einigen Stellen zeigen sich jedenfalls jetzt schon deutliche Risse:
Völlig unterschätzt in der aktuellen öffentlichen Debatte wird das Thema
Sicherheitsauflagen. Hier gibt es noch keine abschließende Einigung; aber
hinter den Kulissen wird heftig gerungen. Je mehr Investitionen in
Nachrüstungen die Aufsichtsbehörden den AKW-Betreibern aufbürden, desto
mehr Kraftwerke werden unrentabel. Schon spricht EnBW-Chef Hans-Peter
Villis vom möglichen Ende des AKW Neckarwestheim 1.
Showdown in Stuttgart
Auch an anderen Standorten wird mit spitzem Bleistift gerechnet, was sich
noch lohnt. Gerade in Baden-Württemberg wird es spannend. Wenn der
Atom-Hardliner Stefan Mappus bei der Landtagswahl im März seine Mehrheit
verliert, ist auch das ein Signal an die Kanzlerin. Schließlich stehen 2011
insgesamt sechs Wahlen in den Ländern an.
In den nächsten Monaten dürfte sich die Auseinandersetzung stark auf die
einzelnen Kraftwerke konzentrieren. Gelingt es Vattenfall, die beiden seit
2007 stillstehenden AKWs in Brunsbüttel und Krümmel wieder in Betrieb zu
nehmen? Oder werden dann viele Haushalte in Hamburg und Berlin dem Aufruf
aus der Anti-Atom-Bewegung folgen und endlich "Tschüss, Vattenfall" sagen,
so dass das schwedische Staatsunternehmen einknickt?
Nicht verlassen sollten sich die AtomkraftgegnerInnen auf das
Bundesverfassungsgericht. Zwar werden einige Landesregierungen nach
Karlsruhe gehen, um durchzusetzen, dass der Bundesrat in Sachen
Laufzeitverlängerung Nein sagen darf. Das kann gutgehen oder nicht. Aber
als zuverlässiger Schiedsrichter taugt das Gericht nicht. Denn es
entscheidet am Ende über eine knifflige staatsrechtliche Frage - und nicht
darüber, ob die Nutzung der Atomenergie zu verantworten ist oder nicht.
Letztendlich sind alle Beteiligten, ob Verfassungsrichter, Beamte in
Aufsichtsbehörden, Vattenfall-KundInnen oder bisherige CDU-WählerInnen in
Baden-Württemberg, nicht unbeeinflusst von der öffentlichen Debatte. Und
die lässt sich mit massenhaftem Protest und Widerstand gegen die Merkelsche
Atompolitik nachhaltig beeinflussen.
16 Sep 2010
## AUTOREN
Jochen Stay
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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