| # taz.de -- Merkels Mini-AKW-Prüfung: Das reicht nicht | |
| > Ist Merkels AKW-Prüfung nur ein Wahlkampfmanöver? Atomexperte Renneberg | |
| > sagt, man brauche für eine genaue Überprüfung eines Kraftwerks zwei | |
| > Jahre. | |
| Bild: Es wird gelogen, gelogen, gelogen. Auch bei Merkels so genannter Akw-Prü… | |
| BERLIN taz | Drei Monate hat sich die schwarz-gelbe Koalition gegeben, um | |
| über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland neu zu entscheiden. Am 15. | |
| Juni soll das Atom-Moratorium auslaufen. Und was genau passiert bis dahin? | |
| Die Regierung gerät in Erklärungsnot. | |
| Auf der Basis der Nuklearkatastrophe in Japan würden die 17 hiesigen | |
| Reaktoren vorbehaltlos einer Risikoanalyse unterzogen, so Kanzlerin Angela | |
| Merkel am vorvergangenen Montag. Die sieben älteren Kraftwerke müssten dazu | |
| erst mal vom Netz. Das hört sich wie eine klare Ansage an, ist aber keine. | |
| Ein Sicherheitscheck in drei Monaten? Wolfgang Renneberg sitzt eine Woche | |
| später vor Journalisten und schüttelt den Kopf. "Das kann man vergessen, | |
| völlig unmöglich." Renneberg kennt Philippsburg 1, Neckarwestheim 2, alle | |
| deutschen Atomkraftwerke. Er hat die Abteilung Reaktorsicherheit im | |
| Bundesumweltministerium geleitet, bis der CDU-Mann Norbert Röttgen das | |
| Ministerium übernahm und ihn vor die Tür setzte. | |
| ## "Für die genaue Überprüfung brauchen Sie mehr als zwei Jahre" | |
| Ihm will die Argumentation der Regierung nicht in den Kopf. "Für die genaue | |
| Überprüfung einer Anlage brauchen Sie mehr als zwei Jahre", sagt er. "In | |
| drei Monaten können sie nur zusammenschreiben, was sie schon wissen, dafür | |
| müssen sie noch nicht mal ein Atomkraftwerk abschalten." Das sei okay, | |
| meint Renneberg, lenke aber vom Wichtigsten ab. "Die Regierung muss klären, | |
| welche Risiken sie dulden will, und dies klar benennen", sagt er. "Da gibt | |
| sie aber den Löffel ab" - soll heißen: die Verantwortung. | |
| Hintergrund: Tatsächlich liegen im Bundesumweltministerium verschiedene | |
| Papiere vor, in denen die Mängel der deutschen Reaktoren längst aufgelistet | |
| werden. Bestes Indiz: Röttgen hat schon im Mai letzten Jahres Vorschläge | |
| zur Modernisierung der Reaktoren ausarbeiten lassen. Er musste die | |
| Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke vorbereiten, die dann im | |
| Herbst beschlossen wurde. | |
| ## Grüne Kotting-Uhl: Regierung ist nicht informiert oder lügt | |
| Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit und das Ökoinstitut | |
| schreiben in dem internen Papier, das der taz vorliegt, dass Notkühlsysteme | |
| und die Stromversorgung auf einmal ausfallen könnten, dass die Reaktoren | |
| nicht sicher seien bei Erdbeben oder Terrorattacken. "Die Entdeckung der | |
| Bundesregierung, dass die deutschen Atomkraftwerke Sicherheitsmängel haben, | |
| kommt spät", sagt denn auch Sylvia Kotting-Uhl, Atomexpertin der Grünen im | |
| Bundestag: "Entweder sie liest ihre eigenen Unterlagen nicht oder sie | |
| lügt". | |
| Die Bundesregierung hat jetzt die Reaktorsicherheitskommission beauftragt, | |
| neue Sicherheitsanalysen zu machen. In dem 16-köpfigen Gremium sitzt der | |
| atomkritische Michael Sailer vom Ökoinstitut. Darin sitzen aber vor allem | |
| Atombefürworter, etwa von E.on. Sie tagen hinter verschlossenen Türen, | |
| entwickeln derzeit Kriterien für die Risikoanalyse. Er wolle einen breiten | |
| gesellschaftlichen Dialog ohne Tabus über die Risiken der Atomkraft führen, | |
| so sagt Umweltminister Röttgen immer wieder. | |
| Geht das so? Er bediene sich nur des Sachverstands einer Kommission, sagt | |
| seine Sprecherin Christiane Schwarte. "Die Verantwortung liegt natürlich | |
| beim Minister", sagt Schwarte, "er hat eine Menge im Kopf." Am Ende des | |
| Moratoriums würden die politischen Schlussfolgerungen gezogen. "Niemand | |
| kann jetzt schon sagen, was dabei herauskommt." | |
| ## Schneller Atomausstieg denkbar | |
| Ist denn ein schneller Atomausstieg denkbar? Ja, sagen viele, auch Berater | |
| der Regierung. Das Umweltbundesamt, das Röttgen untersteht, hält zum | |
| Beispiel einen völligen Atomausstieg schon im Jahr 2017 für möglich. Am | |
| Montag rechnete auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) vor: 2020 | |
| geht auf jeden Fall, wahrscheinlich früher. | |
| Die Stromversorgung müsse nicht neu erfunden werden - den Berechnungen | |
| liegt ein Ausbau von grünem Strom in der Geschwindigkeit der letzten zehn | |
| Jahre zugrunde. Die private Wirtschaft müsse 150 Milliarden Euro | |
| investieren, der Strompreis aber nicht stark steigen, erklärt der BEE. Etwa | |
| 3 Cent pro Kilowattstunde, maximal 1 Cent mehr als heute, müssten | |
| Verbraucher drauflegen. | |
| Allerdings müsse die Regierung den Umstieg fördern, sagt der BEE - etwa die | |
| Entwicklung von Speichern für Ökostrom, der bei einer Flaute dann ins Netz | |
| gespeist wird. Auch die Höhenbeschränkung für Windkraftanlagen müsse an | |
| vielen Orten fallen gelassen werden. Dann könnten sogar einige | |
| klimabelastende Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Denn 2020 sei es so | |
| möglich, schon 30 Prozent des Stroms regenerativ zu erzeugen. Und an | |
| günstigen Tagen mit viel Wind und Sonne würde Deutschland im Jahr 2020 | |
| sogar mehr Ökostrom erzeugen, als es verbraucht. | |
| Der Ausstieg aus der Atomkraft ist einfacher, als die schwarz-gelbe | |
| Regierung ihn macht. | |
| 22 Mar 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
| Hanna Gersmann | |
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