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# taz.de -- Gespräch mit dem libyschen Nationalrat: „Libysches Blut ist unwi…
> Rida Benfayed, Sprecher des oppositionellen Nationalrats im Osten
> Libyens, über die verzweifelte Lage der Menschen im Kriegsgebiet,
> Deutschlands Gleichgültigkeit – und seine eigene Angst.
Bild: „Das Morden muss aufhören“, sagt Rida Benfayed.
taz: Herr Benfayed, Sie sind Arzt in Tobruk, im Osten Libyens, wo es
derzeit noch keine Kämpfe gibt. Was bewegt Sie in diesen Tagen?
Rida Benfayed: Hier in Tobruk, einer Stadt mit 120.000 Einwohnern, gab es
mitten in der Nacht um ein Uhr eine Demonstration gegen Gaddafi mit
schätzungsweise 100.000 Teilnehmern. So etwas habe ich in meinem ganzen
Leben noch nicht erlebt. Aber ich habe zwei Brüder in Tripolis, zu denen
ich keinen Kontakt habe, weil sie dort nicht erreichbar sind. Und meine
Mutter in Tobruk ist 80 Jahre alt. Sie nimmt dieser Krieg sehr mit. Sie hat
Angst, von Bomben getroffen zu werden.
Was hören Sie über die Lage in den Kriegsgebieten?
Aus der Stadt Misurata bestätigte mir per Satellitentelefon Mohammed
al-Fortiya, der Direktor des „Alten Krankenhauses“, dass sich
Regierungstruppen in seiner Klinik verschanzt haben. Da können die
westlichen Truppen natürlich keine Luftangriffe fliegen, weil dann viele
Zivilisten getötet werden würden. Die Flugverbotszone allein kann die
Bevölkerung von Misurata nicht mehr schützen. Ein zweites Krankenhaus in
Misurata, die Poliklinik, wird von den Aufständischen kontrolliert. Die
Situation in Misurata ist katastrophal und unerträglich für die
Bevölkerung. Eines hat mich heute persönlich und menschlich besonders
erschüttert: Der Anästhesist Ali Bufonas, dessen Arbeit ich als Chirurg
sehr schätze, und seine Ehefrau sind vermisst, ihre vier Kinder wurden
heute in ihrem Haus tot aufgefunden. Ich mache mir große Sorgen um meinen
Kollegen und seine Frau. Jeden Tag werden dort unschuldige Menschen in den
Straßen und in den Häusern durch die Regierungstruppen getötet. Dieses
Morden muss ein Ende haben.
Wie ist die Versorgungslage der Bevölkerung?
Es sieht schlecht aus. Im Gebiet von al-Aswaq östlich von Misurata haben
Regierungstruppen die wichtigsten Nahrungsmittelanbaugebiete
niedergebrannt. Die Region ist für ihre Fruchtbarkeit bekannt und deckt
nicht nur den Bedarf der Bevölkerung in Misurata, der mit 600.000
Einwohnern drittgrößten Stadt Libyens, sondern auch den anderer großer
Orte, die in der Hand der Aufständischen sind. Auch sonst fehlt es an
allem, an medizinischem Gerät, an Nahrungsmitteln. Wo bitte sind die
internationalen Hilfswerke wie das Rote Kreuz oder die American Relief
Administration? Wir sehen keine einzige karikative Organisation. Hat uns
die Welt vergessen?
Ist das massive Eingreifen der Alliierten aus der Luft für Sie
alternativlos?
Ja, wir brauchen diese Luftunterstützung, aber sie kam viel zu spät. Wäre
die Luftunterstützung schon vor ein oder zwei Wochen passiert, dann wäre es
gar nicht erst zu diesen schrecklichen Kriegsverbrechen der
Regierungstruppen und Söldner Gaddafis gekommen. Dann hätte das Schlimmste
verhindert werden können. Wir fordern den Westen auf, eine
UN-Friedenstruppe mit Bodenkräften nach Misurata zu entsenden, damit dort
kein Genozid passiert.
Was wissen Sie über die Söldner Gaddafis?
Wir wissen durch das Verhör von Kriegsgefangen in unserem Gewahrsam, dass
sie aus armen Bevölkerungsschichten aus Ländern Afrikas südlich der Sahara
kommen, aus Nigeria oder Guinea. Sie bekommen angeblich 1.500 Dollar die
Woche. Im Falle, das sie den Sieg über die Aufständischen erreichen
sollten, wurde ihnen von Gaddafi die libysche Staatsbürgerschaft
versprochen und ein eigenes Haus für jeden Söldner und seine Familie in
Zintan, einer Stadt ganz im Süden des Landes.
Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung Deutschlands, das den
internationalen Militäreinsatz nicht unterstützt?
Deutschland exportiert viele Waren nach Libyen und will es sich auch in
Zukunft nicht mit Gaddafi verscherzen. Angela Merkel meint, libysches Blut
ist unwichtiger als libysches Öl. Wie kann eine freiheitliche-demokratische
Regierung diesen Führer unterstützen beziehungsweise diejenigen im Stich
lassen, die gegen ihn kämpfen? Wir sind sieben Millionen Libyer, wir sind
gebildet, wir lassen uns nicht mehr länger blenden und einschüchtern von
einem Mann, der vor 40 Jahren mal ein grünes Buch geschrieben hat. Dies ist
die historische Chance, Gaddafi, diesen Massenmörder und Unterstützer des
internationalen Terrorismus, loszuwerden. Und Deutschland lässt diese
Chance ungenutzt verstreichen! Das ist eine Schande für Deutschland. Wenn
in Berlin ein Hund getötet wird, löst dies wahrscheinlich härtere
Verurteilungen in Deutschland aus als das Massenmorden an unschuldigen
Zivilisten in Libyen. Unserer Schätzung nach wurden in den letzten vier
Wochen 12.000 Menschen getötet.
Was sind Ihre Vorstellungen für ein künftiges Libyen?
Wir wollen einen gerechten demokratischen Vielvölkerstaat, in dem nicht ein
Stamm, eine Sippe über das Schicksal des ganzen Landes entscheidet. Wir
wollen Wahlen, Parteien, ein Parlament, freie Presse, all das, was ihr auch
in Deutschland habt.
Und wenn Gaddafi tatsächlich siegt?
Dann werden wir alle sterben. Ich, meine Familie und alle meine Kinder.
24 Mar 2011
## AUTOREN
Martin Lejeune
## TAGS
Sea-Watch
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