# taz.de -- Frankreichs Politik in Libyen: Comeback einer früheren Großmacht | |
> Mit seinem Vorpreschen in Sachen Libyen will Sarkozy verlorenes Terrain | |
> in der arabischen Welt zurückgewinnen. Das ist innerhalb Frankreichs kaum | |
> umstritten. Eine Analyse. | |
Bild: Eine Frage der Ehre, der Demokratie mit Kanonendonner Gehör zu verschaff… | |
PARIS taz | Zweimal hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy in der | |
Libyen-Krise seine westlichen Partner vor vollendete Tatsachen gestellt. | |
Vor 14 Tagen anerkannte Frankreich zuerst die libysche Gegenregierung des | |
Nationalen Übergangsrats als einzige legitime Vertretung des libyschen | |
Volks, während die verschiedenen EU-Sprecher und Amtskollegen in Europa | |
noch um den heißen Brei herumredeten. Auch mit der Entscheidung, gegen die | |
Offensive der loyalistischen Truppen von Oberst Muammar al-Gaddafi | |
militärisch vorzugehen, um so ein Massaker in Bengasi zu vermeiden, ließ | |
Frankreich den anderen kaum eine andere Wahl, als entweder mitzumachen oder | |
eben abseits zu stehen. Sarkozy hatte sofort erkannt, dass durch das Zögern | |
der USA ein Vakuum entstanden war, das Platz für seine Initiative schuf. | |
Der Hilferuf der libyschen Rebellen lieferte Frankreich den willkommenen | |
Anlass, sich in der arabischen Welt als diplomatische Führungsmacht und als | |
kompromissloser Verteidiger der demokratischen Grundrechte zu | |
rehabilitieren. Sarkozy und seine Regierung hatten nach der eher peinlichen | |
Vorgeschichte mit dem verpassten Volksaufstand in Tunesien und Ägypten, und | |
mehr noch wegen der nur allzu bekannten und nachträglich sehr | |
kompromittierenden Pariser Beziehungen zu den gestürzten Herrschern, | |
einiges wettzumachen in der öffentlichen Meinung dieser Länder, die nach | |
denselben demokratischen Werten streben, wie sie in der französischen | |
Verfassung verankert sind. | |
Man weiß heute, dass Sarkozy schon vor dem Wochenende entschlossen war, | |
notfalls sogar im Alleingang in Libyen zu intervenieren und zumindest den | |
anderen zuvorzukommen. Vielleicht sogar auf das Risiko hin, dabei zu | |
improvisieren. Diese "Fait accompli"-Taktik erlaubte es Sarkozy, zusammen | |
mit dem britischen Premier David Cameron, der Kriegswilligkeit anderer | |
westlicher Staaten auf die Sprünge zu helfen. Vor dem ersten Schuss eines | |
französischen Kampfjets aber entsandte Sarkozy seinen Außenminister Alain | |
Juppé nach New York in den Weltsicherheitsrat mit dem Auftrag, sich von der | |
UNO den Segen zur Legitimierung einer im Prinzip bereits beschlossenen | |
Aktion zu holen. In seinem Plädoyer machte Juppé aus dem Entscheid eine | |
Frage der Ehre. Wer nicht mit Frankreich in den Krieg gegen Gaddafi ziehe, | |
solle sich schämen. | |
## Erst Kapitalismus, jetzt Außenpolitik moralisieren | |
Sarkozy wollte ja schon den Kapitalismus moralisieren, jetzt ist die | |
Außenpolitik an der Reihe. Auf diesem Terrain der Ehre und Moral will der | |
französische Präsident sich abgrenzen - vor allem von Deutschland mit | |
seinem Pazifismus. Dieser wurde auch in der französischen Presse als | |
Peinlichkeit gegeißelt, die einer nach internationaler Statur und einem | |
Sitz im Weltsicherheitsrat strebenden Wirtschaftsgroßmacht nicht würdig | |
sei. Nachdem man den Franzosen seit Monaten immer wieder das Exempel des | |
deutschen Musterschülers in Sachen Haushalts- und Steuerpolitik vorgehalten | |
hat, genießen sie es, nun den anderen Lehren erteilen zu können. | |
Hinter der propagierten Solidarität mit den libyschen Regimegegnern stehen | |
für Frankreich auch handfeste Interessen. Mit Gaddafi waren keine Geschäfte | |
mehr zu machen. Die meisten Milliarden-Verträge, die er bei seinem pompösen | |
Besuch in Paris im Dezember 2007 in Aussicht gestellt hatte, hatten sich | |
ohnehin als leere Versprechen herausgestellt. Vor allem aber zwingt die | |
Dynamik des "arabischen Frühlings" die französische Außenpolitik zu einem | |
völligen Neubeginn. Mit Mubarak und Ben Ali waren nicht nur die zwei | |
Eckpfeiler von Sarkozys Mittelmeerunion weggebrochen, sondern auch das | |
Konzept eines "Mare nostrum" unter französisch-europäischer Hegemonie. Es | |
geht jetzt darum, den historischen Einfluss jenseits des Mittelmeers - über | |
die am engsten mit Frankreich liierten Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien, | |
Marokko hinaus - auf einer neuen Basis zu festigen. | |
Dass dazu auch militärische Mittel eingesetzt werden, ist in Frankreich | |
kaum umstritten. Zu lange ist die Tradition der französischen | |
Auslandseinsätze. Für die meisten Franzosen ist es eine Frage der Ehre, | |
dass das Geburtsland der Menschenrechte notfalls der Demokratie mit | |
Kanonendonner Gehör verschafft - und gleichzeitig auch seine Interessen | |
verficht. Die moralische Erpressung im Stil "Wer nicht interveniert, | |
toleriert die Unterdrückung" funktioniert auch intern: Bei einer Aussprache | |
über die Libyen-Intervention im Parlament gab es weder von links noch | |
rechts prinzipielle Einwände. Ob dieser Burgfrieden anhält, hängt vom | |
Kriegsglück in Libyen ab. | |
25 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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