# taz.de -- Krieg in Libyen: "Waffenruhe ist völliger Schwindel" | |
> Die Alliierten weiten die Luftschläge aus. Indes setzt Gaddafi die | |
> Angriffe am Boden fort. Viele Tote in Misurata, viele Flüchtlinge aus | |
> Adschdabija. | |
Bild: Gaddafis Truppen drängen die Rebellen in die Defensive. Die Pick-Ups bef… | |
TRIPOLIS/BRÜSSEL/BERLIN rtr/afp/dapd/taz | Die Luftschläge der USA, | |
Großbritanniens und Frankreichs gegen das Militär des libyschen Machthabers | |
Muammar al-Gaddafi haben dessen Luftwaffe und Flugabwehr zwar weitgehend | |
ausgeschaltet, nicht aber seine Bodentruppen. "Die libysche Luftwaffe ist | |
keine kämpfende Kraft mehr", sagte Greg Bagwell, Kommandeur der britischen | |
Luftstreitkräfte, am Mittwoch. Aber in der Nacht zu Donnerstag rückten | |
Panzerkolonnen von Gaddafis Militär in die drittgrößte libysche Stadt | |
Misurata ein, die wichtigste von Aufständischen gehaltene Stadt im Westen | |
des Landes. | |
"Panzer der Regierung nähern sich dem Krankenhaus und beschießen das | |
Gebiet", sagte ein Bewohner Misuratas gegenüber Reuters telefonisch, bevor | |
die Verbindung abbrach. Ein Rebellensprecher sagte, Scharfschützen der | |
Gaddafi-Streitkräfte hätten 16 Menschen getötet. | |
Donnerstagvormittag rückten Gaddafis Soldaten Berichten zufolge im Hafen | |
ein. Dort haben sich Tausende von Migranten versammelt, die Libyen | |
verlassen wollen. In Misurata herrsche "fürchterliche Gewalt", erklärte der | |
britische Außenminister William Hague vor dem Parlament in London. "Das | |
entlarvt die Beteuerungen des Regimes, eine Waffenruhe angeordnet zu haben, | |
als völligen Schwindel." | |
## "Sie müssen mit Scharfschützen rechnen" | |
Viele Bewohner seien ohne Lebensmittel und Wasser in ihren Häusern | |
gefangen. "Sie müssen mit Scharfschützen rechnen, wenn sie sich in den | |
Straßen bewegen", sagte Hague. Das örtliche Krankenhaus sei voll mit | |
Verwundeten. Der US-Fernsehsender ABC berichtete, französische Kampfjets | |
hätten über Misurata ein libysches Militärflugzeug abgeschossen, das sich | |
nicht an das Flugverbot gehalten habe. Das französische | |
Verteidigungsministerium wollte dies zunächst nicht bestätigen. | |
In der Stadt Zintan südwestlich von Tripolis, die ebenfalls von Rebellen | |
kontrolliert wird, meldeten Einwohner die Ankunft massiv verstärkter | |
Gaddafi-Einheiten außerhalb der Stadt. Alliierte Luftangriffe trafen am | |
Donnerstag erstmals auch die Militärgarnison der südlibyschen Stadt Sebha. | |
In Tripolis selbst war am frühen Morgen eine schwere Explosion zu hören, | |
Rauch stieg über einer Militärbasis im Stadtviertel Tadjoura auf. | |
Die US-Militärführung sagte, sie habe das Flugverbot erfolgreich | |
durchgesetzt und widme sich jetzt der Zerstörung von Gaddafis Panzern und | |
Artillerie. Es habe innerhalb der 24 Stunden bis Donnerstag früh 175 | |
Luftangriffe gegeben, 113 davon durch US-Streitkräfte. Die britische | |
Regierung sagte, libysche Flugabwehrstellungen seien mit Tomahawk-Raketen | |
beschossen worden. Das französisches Militär hat nach eigenen Angaben in | |
drei Tagen zehn libysche Militärfahrzeuge zerstört. | |
## Luftangriffe hinderten Gaddafi daran, Bengasi zu erobern | |
Am vergangenen Wochenende hatten die ersten französischen Luftangriffe | |
Gaddafis Truppen daran gehindert, die Rebellenhauptstadt Bengasi zu | |
erobern, in deren Vorstädten sie sich bereits befanden. Gaddafis Armee zog | |
sich in letzter Minute wieder nach Adschdabija zurück. Dies verhinderte | |
nach allgemeiner Einschätzung ein drohendes Massaker an Bengasis | |
Zivilbevölkerung. Dutzende verkohlte Panzer und Militärfahrzeuge der | |
Gaddafi-Streitkräfte sind seitdem auf der Küstenstraße von Bengasi nach | |
Adschdabija zu bewundern. Am Stadtrand Adschdabijas haben Gaddafis Truppen | |
neue Stellungen errichtet. Aufständische im Stadtzentrum sind damit | |
weiterhin eingekesselt. Zahlreiche Einwohner sind geflohen; sie berichten, | |
die Strom- und Wasserversorgung sei unterbrochen. Bis zu 80.000 Menschen | |
sollen aus Adschdabija Richtung Bengasi oder Tobruk auf der Flucht sein, | |
berichten Hilfswerke. | |
Weiterhin fliehen jeden Tag Tausende zumeist ausländische Einwohner Libyens | |
in die Nachbarländer. Nach der laufenden Zählung des | |
UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und der Internationalen Organisation für | |
Migration (IOM) erreichte die Zahl der Flüchtlinge bis Donnerstag 345.749, | |
10.000 mehr als zwei Tage vorher. UNHCR meldete Vergewaltigungen | |
schwarzafrikanischer Frauen durch Gaddafis Truppen und Morde an Nigerianern | |
durch Rebellen. | |
Nach tagelangen Streitigkeiten nimmt eine mögliche Nato-Kommandostruktur | |
für den Libyen-Einsatz offenbar Konturen an. Die Kommandos sollten sich in | |
Neapel und im norditalienischen Poggio Renatico befinden, sagte ein | |
Nato-Diplomat gegenüber AFP in Brüssel. Der Gesamteinsatz solle im | |
militärischen Nato-Hauptquartier im belgischen Mons überwacht werden. Eine | |
politische Entscheidung darüber steht allerdings weiterhin aus. Im | |
Mittelmeer ist derweil der Nato-Flottenverband im Aufbau, der die | |
Einhaltung des Waffenembargos gegen Gaddafi überwachen soll. Die USA, | |
Kanada, Spanien, Großbritannien, Griechenland und Italien haben dafür | |
Schiffe zugesagt. | |
24 Mar 2011 | |
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