# taz.de -- Annette Schavan über Islam in Deutschland: "Wir können den Islam … | |
> Bildungsministerin Annette Schavan erklärt vor der Islamkonferenz, warum | |
> sie mehr muslimische Religionslehrerinnen an deutschen Schulen will – | |
> diese im Unterricht aber kein Kopftuch tragen dürfen. | |
Bild: Hier geht's lang: Modellklasse für Islamunterricht an einer Münchner Gr… | |
taz: Frau Schavan, gehört der Islam zu Deutschland? | |
Annette Schavan: Der Islam ist selbstverständlich Teil der | |
gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland. Dazu gehören 4,3 Millionen | |
Muslime, tausende Moscheen, islamischer Religionsunterricht in einigen | |
Schulen und bald auch vier Fachbereiche für islamisch-theologische Studien. | |
Sieht das Ihr Kabinettskollege, der neue CSU-Innenminister Hans-Peter | |
Friedrich, genauso? | |
Herr Friedrich hat lediglich gesagt, dass sich der Islam nicht aus der | |
Historie belegen lässt. Und er hat in den folgenden Tagen präzisiert, dass | |
der Islam Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist. Wir sind beide sehr | |
interessiert an der Islamkonferenz und dem ersten gemeinsamen Termin mit | |
den muslimischen Verbänden. | |
Halten Sie den Islam für demokratiefähig? | |
Unbestritten ist ja wohl, dass die Muslime in Deutschland in einer | |
demokratisch verfassten Gesellschaft leben, was den allermeisten auch viel | |
bedeutet. Wir wollen über eine Weiterentwicklung des Islam reden – so, wie | |
wir sie oft verbinden mit den Prozessen der Aufklärung. | |
In diesem Anforderungsprofil, was eine islamische Theologie an deutschen | |
Universitäten in Zukunft leisten soll, schwingt die Unterstellung mit, dass | |
in deutschen Moscheen von vielen Imamen bislang noch kein aufgeklärter | |
Islam gepredigt wird. Sehen Sie das so? | |
Ich will Ihnen mit einem Beispiel antworten. Ich habe in der theologischen | |
Fakultät in Ankara junge Frauen getroffen, die dort zu Imaminnen | |
ausgebildet werden. Eine junge Frau erzählte mir, ihr Vater sei als Imam in | |
eine Gemeinde nach Deutschland entsandt worden. Sie habe dort erlebt, wie | |
das ist, wenn der Imam eigentlich nicht genug Zeit und Möglichkeiten hat, | |
diese Gesellschaft auch kennenzulernen. | |
Sie dagegen sei in der deutschen Gesellschaft aufgewachsen, spreche die | |
deutsche Sprache ganz selbstverständlich und glaube, das erleichtere ihr, | |
die Rolle des Brückenbauers zwischen den Kulturen wahrzunehmen. Das finde | |
ich eine sehr attraktive Vorstellung. Und deshalb ist es mein | |
Hauptanliegen, dass in den deutschen Instituten für islamische Studien so | |
etwas wie islamische Gelehrsamkeit im europäischen Kontext entwickelt | |
werden kann. | |
Wollen Sie, dass gläubige Muslime künftig nicht mehr nach Ankara gehen | |
müssen, um dort islamische Theologie zu studieren? Oder geht es Ihnen auch | |
darum, dass hierzulande andere Glaubensinhalte vermittelt und gelehrt | |
werden? | |
Ich bin als Politikerin nicht befugt, einer Religion zu sagen, welcher | |
Glaube gelehrt werden soll. Ich kann nur die Möglichkeit schaffen, in der | |
Universität, also in der Wissenschaftsgesellschaft, Raum für die | |
Entwicklung von Theologie zu geben. Die Erfahrung in Deutschland zeigt, | |
dass Theologie einer Religion guttut, dass sie klärend wirkt, aufklärend. | |
Glaube will nicht nur geglaubt werden – er muss auch gedacht werden. | |
Die meisten Muslime orientieren sich an dem Islam, wie er in ihren | |
Herkunftsländern gelehrt wird. Besteht nicht die Gefahr, dass viele Muslime | |
einen deutschen Islam möglicherweise gar nicht annehmen? | |
Zu einer solchen Veränderung, wie wir sie jetzt vornehmen, gehört auch ein | |
langer Atem. Ich werde nicht in drei Monaten die Welt verändern. | |
Will man nicht aufgeklärte Imame ausbilden, um sich so vor Hasspredigern | |
und Selbstmordattentätern "made in Germany" zu schützen? | |
Das weise ich ausdrücklich zurück. Man kann ja nicht die eine | |
Instrumentalisierung des Islam durch eine andere ersetzen. Es geht vielmehr | |
darum, eine Religion in ihrer großen Tradition ernst zu nehmen. | |
Neu ist, dass muslimische Verbände bei der Berufung von Professoren bei den | |
islamischen Studien ein Mitspracherecht haben. Das ist doch ein Problem? | |
Das ist eine ganz sensible Frage. Klar ist: Der Beirat der muslimischen | |
Verbände entscheidet nicht über die Berufungen. Das entscheidet die | |
Universität, und es ist sinnvoll, sie im Beirat zu diskutieren. | |
Was macht man denn im Konfliktfall? Zum Beispiel, wenn die Hochschule einen | |
zu refomfreudigen muslimischen Theologe berufen will und der Beirat sagt: | |
Nein. | |
Dann kann ich nur raten, der Wissenschaft zu folgen. Die wissenschaftliche | |
Reputation muss der relevante Faktor sein. Und ein Beirat müsste schon sehr | |
gewichtige Gründe haben, ein eindeutig wissenschaftliches Votum zu | |
übergehen. | |
Ein potenzieller Arbeitsmarkt für Absolventen dieser Fachstudien ist ja, | |
Lehrer für islamischen Religionsunterricht zu werden. Wenn eine Studentin, | |
die sich jetzt für islamische Studien in Deutschland einschreibt, nun ein | |
Kopftuch trägt … | |
Wenn sie Lehrerin werden will, muss sie sich entscheiden. | |
Als Lehrerin muss sie es abnehmen? | |
Ja. | |
Aber sie wird Lehrerin in einem bekenntnisorientierten Unterricht sein. Und | |
das Kopftuch ist ein Bekenntnis zum Islam – so wie die Kippa zum Judentum. | |
Das kann man nicht gleichsetzen. Das Kopftuch ist nicht nur ein religiöses | |
Symbol. Für viele muslimische Frauen ist es überhaupt kein Ausdruck von | |
Bekenntnis. | |
Als Kultusministerin in Baden-Württemberg haben Sie das Kopftuch als | |
Ausdruck kultureller Abgrenzung gewertet – und es darum für Lehrerinnen | |
verboten. | |
Genau. Ich würde es heute wieder tun. Denn ich bin nach wie vor der | |
Meinung: Die Lehrerin ist eine Vertreterin des Staates und beeinflusst mit | |
ihrem Äußeren im Zweifelsfall auch die Diskussion in muslimischen Familien. | |
Und ich glaube, es ist gut, im öffentlichen Raum Schule Diskretion zu | |
wahren. | |
Wir leben in einer Zeit, wo viele gar nicht mehr verstehen, warum es | |
überhaupt noch evangelischen und katholischen Religionsunterricht gibt – | |
und es jetzt auch noch muslimischen geben soll. Ist diese Trennung der | |
Konfessionen überhaupt noch zeitgemäß? | |
Ich gehöre zu denen, die sagen: Zur Allgemeinbildung, zur | |
Persönlichkeitsentwicklung gehört auch die Chance, im Blick auf seine | |
religiöse Bildung erwachsen werden zu können. Also gleichsam in der eigenen | |
Religion, in der eigenen Glaubenstradition heimisch zu werden. | |
Sehen Sie nicht die Gefahr, dass dies die Segregation verstärkt – etwa | |
durch Schulen, an denen nur noch islamischer Religionsunterricht angeboten | |
wird, weil es dort gar keine anderen Schüler mehr gibt? | |
Ich sehe das nicht als Gefahr, sondern als eine Chance, Voraussetzungen für | |
Dialogfähigkeit zu schaffen. Die Segregation ist ja viel größer, wenn die | |
Glaubensvermittlung in den Hinterhöfen passiert, wo überhaupt keine anderen | |
Schüler dabei sind. In der Schule werden in der Regel mehrere Formen von | |
Religionsunterricht angeboten: Hier ist der Ort, an dem diese verschiedenen | |
Religionen und Konfessionen miteinander ins Gespräch kommen. | |
Würden Sie katholischen oder evangelischen Kindern auch raten, in den | |
muslimischen Religionsunterricht zu gehen? | |
Nein. Die entscheidende Voraussetzung für den Dialog ist doch, in der | |
eigenen Religion und Tradition heimisch werden zu können. | |
Welchen Beitrag kann denn der Religionsunterricht, aber auch die Ausbildung | |
von Religionslehrern in Deutschland zur Integration leisten? Soziale | |
Probleme wie Arbeitslosigkeit, Bildungsferne und Kriminalität werden | |
dadurch ja noch nicht gelöst. | |
Religion ist ein wichtiger Faktor für Integration, weil Religion immer auch | |
mit Selbstverständnis und mit Werten zu tun hat. Wir sind in Deutschland | |
sprachlos geworden in Bezug auf Religion, weil wir Angst haben vor dem | |
Islam. Deshalb ist es richtig, muslimischen Religionsunterricht und | |
islamische Studien anzubieten, dafür einen öffentlichen Raum zur Verfügung | |
zu stellen und damit auch gleichsam ein Zeichen des Respekts zu setzen. Wir | |
können den Islam und die religiösen Strömungen nicht ignorieren. Sonst | |
machen sie sich selbstständig. | |
27 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Daniel Bax | |
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