# taz.de -- Europäische Schulbuchstudie: Bedrohung Islam | |
> Schulbücher sollen Wissen vermitteln. Das tun sie aber nicht immer. | |
> Europäische Schullektüre schürt Vorurteile gegen den Islam, sagt eine | |
> Studie. | |
Bild: Ein umfassendes Bild vom Islam durch Unterrichtsmaterial? Fehlanzeige, | |
BERLIN taz | Eselsohren, zerschlissene Einbände und mit Kakao getränkte | |
Seiten. So kennen wir sie: Schulbücher. Auch wenn sie bisweilen einen | |
verwahrlosten Eindruck machen, sie erfüllen eine wichtige Aufgabe. Sie | |
sollen Wissen vermitteln, objektives Wissen, und das über Jahre hinweg: | |
„Schulbücher wandeln sich nicht so schnell wie andere Medien. Daher müssen | |
wir uns fragen, ob sie Stereotypen festschreiben oder kulturelle Vielfalt | |
unterstützen“, sagt Simone Lässig, Direktorin des Georg-Eckert-Instituts | |
für internationale Schulbuchforschung. | |
Wenn es um das Thema Islam geht, fällt die europäische Schulbuchbilanz | |
düster aus: der Islam würde vereinfacht und Muslime als vormodernes, | |
religiöses Kollektiv einem modernen Europa gegenübergestellt. Das ergibt | |
die neue Studie des Georg-Eckert-Instituts, "Keine Chance auf | |
Zugehörigkeit", die am Donnerstag im Auswärtigen Amt in Berlin vorgestellt | |
wurde. 27 Geschichts- und Politiklehrbücher der Oberstufe aus Deutschland, | |
Österreich, Frankreich, Spanien und England haben die Wissenschaftler | |
untersucht. | |
Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts steht die islamische Kultur in voller | |
Blüte. Dann hört sie auf zu existieren. Zumindest in den Lehrbüchern, so | |
heißt es in der Studie. Erst durch politische und soziale Krisen im 20. und | |
21. Jahrhundert werden dem Islam wieder ein paar Zeilen oder auch Seiten | |
gewidmet. Entkolonialisierung, Nahostkonflikt, Islamismus oder | |
internationaler Terrorismus heißen die Themen. | |
Die Entstehungsgeschichte des Islam konzentriert sich zu sehr auf die | |
Darstellung des Koran und religiöser Gebote – noch ein Manko, schreiben die | |
Forscher. Starre Regeln und Unterwerfung werden in den Schulbüchern aus | |
Österreich, Frankreich und Spanien zum Kennzeichen des Islam. Der Eindruck | |
entsteht, dass das Verhalten von Muslimen ausschließlich auf die Regeln des | |
Koran zurückzuführen ist, heißt es weiter. Für Vorurteile sorgt auch der | |
ständige Rückbezug auf diese Gründungszeit: „Die Ursprungsgeschichte wird | |
mit der Gegenwart verknüpft, ohne historische Ausdifferenzierungen | |
darzustellen“, beklagt Projektleiterin Susanne Kröhnert-Othman. | |
## Kritik: Islam als Religion wird als zentrales Problem dargestellt | |
Dazu trägt unter anderem die Bildauswahl bei, schreiben die | |
Wissenschaftler: Aktuelle Fotos wie etwa aus Mekka werden zur Illustration | |
geschichtlicher Themen benutzt. So entsteht das Bild einer muslimisch | |
geprägten Gesellschaft, die seit dem Mittelalter in kulturellem Stillstand | |
verharrt. Sie wird als Zivilisation von Hirten und Bauern dargestellt, die | |
Probleme hat, sich an eine westlich weiterentwickelte Zivilisation | |
anzupassen, so die Studie. | |
Problematisch sei diese Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart | |
besonders bei Themen wie Migration oder Terror, sagen die Forscher. Als | |
Beispiel nennen sie eine Aufgabe aus einem österreichischen Schulbuch. | |
Schüler sollen hier im Zusammenhang mit den Türkenkriegen über einen | |
Moscheebau in ihrem Ort diskutieren. Das ist gefährlich, schreiben die | |
Autoren: Kriegerische Expansionen der Vergangenheit werden mit der | |
„Expansion“ der Religionsfreiheit muslimischer Migranten in Verbindung | |
gebracht. | |
Ein anderes Beispiel: In einem deutschen Buch wird so getan, als ob der | |
Islam als Religion das zentrale Problem sei, wenn es um | |
Integrationsschwierigkeiten geht. Die Kritik der Forscher: Muslimische | |
Zuwanderer dürften nicht so dargestellt werden, als ob „deren mitgebrachte | |
Traditionen per se eine Integration in europäische | |
Einwanderungsgesellschaften verhindern“, sagt Kröhnert-Othman. | |
Was die Forscher ärgert ist, dass nicht zwischen einer muslimisch geprägten | |
Alltagskultur und dem Islam als Religion unterschieden wird. Genauso wenig | |
wird zwischen den vielfältigen Ausprägungen des Islam in Indonesien, der | |
arabischen Welt oder der Türkei differenziert. Und oft entsteht der | |
Eindruck, dass die Begriffe „islamisch“ und „arabisch“ austauschbar sin… | |
schreiben sie. | |
Zwar gebe es in den untersuchten Lehrbüchern auch positive Ausnahmen und | |
differenzierte Darstellungen des Islam. Dennoch: Beispiele etwa für | |
fundamentalismus-kritische Haltungen in muslimischen Gesellschaften fänden | |
sich wenig. Schade eigentlich, da doch gerade die Revolutionen in den | |
arabischen Ländern zeigen, dass es dort auch andere Gesinnungen gibt. | |
15 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Cordula Sailer | |
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