# taz.de -- Massenentlassung von Lehrkräften: Sparwut zulasten der Zukunft | |
> In Spanien sind über 3.000 LehrerInnen entlassen worden. Als Reaktion auf | |
> die Demontage des öffentlichen Bildungssystems gehen 90.000 Menschen auf | |
> die Straße. | |
Bild: Protest gegen Billdungsabbau: spanische LehrerInnen in Madrid. | |
MADRID taz | Das Schuljahr begann in Madrid anders als gewohnt. Die Lehrer | |
der Mittel- und Oberstufe befinden sich seit Dienstag in einem dreitägigen | |
Streik. An den Fassaden vieler Schulgebäude hängen Transparente mit den | |
Umrissen von Menschen und Namen. Es sind konkrete Fälle von LehrerInnen, | |
die zu den 3.200 gehören, die in der Region Madrid zum Schuljahresbeginn im | |
Rahmen der Haushaltskonsolidierung entlassen wurden. | |
Die verbleibenden 18.000 Lehrkräfte müssen künftig den 230.000 SchülerInnen | |
20 statt 18 Unterrichtsstunden geben. Die Qualität der Bildung werde | |
darunter leiden, beschweren sich Gewerkschaften und Elternverbände. 90.000 | |
Menschen folgten am Dienstag ihrem Aufruf zuer Demonstration, um das | |
kostenlose, staatliche Schulsystem zu unterstützen. Auch in anderen | |
Regionen machen Lehrer, Eltern und Schüler gegen Kürzungen im | |
Bildungsbereich mobil. | |
"Wir wissen nicht, was wir dieses Schuljahr machen sollen", beschwert sich | |
Mercedes Pastor. "Sechs unserer 82 Lehrer wurden entlassen und das bei | |
sieben Prozent mehr Schülern als im Vorjahr", berichtet die 59-jährige | |
Mathelehrerin am Instituto San Isidro, mit 560 Jahren die älteste | |
Oberschule der Stadt, an der mehrere Literaturnobelpreisträger und auch | |
König Juan Carlos die Schulbank gedrückt haben. | |
"Wir Lehrer werden künftig keine Zeit mehr für Sprechstunden haben, die | |
Bibliothek bleibt geschlossen. Unterricht zu Drogen, sexueller Gewalt oder | |
Toleranz gegenüber Homosexuellen bleiben ebenso auf der Strecke wie | |
Austauschprogramme oder Arbeitsgemeinschaften. Selbst bei | |
Krankheitsvertretungen wird es eng", befürchtet Pastor. Sie spricht von | |
Zuständen wie in den 1970er Jahren als Spanien noch eine Diktatur war. Die | |
konservative Landesregierung spare "an der Zukunft unseres Landes". | |
## Private Schulen bevorzugt | |
Zusammen mit drei Vierteln der Belegschaft ist Pastor im Streik. Neben | |
ihrer postkommunistischen CCOO und der sozialistischen UGT machen dieses | |
Mal auch die konservativen Lehrerverbände mit. Und das trotz massivem Druck | |
seitens der Madrider Landesregierung von der rechten Partido Popular (PP). | |
"Seit Jahren streicht die Regierung bei den staatlichen Schulen und | |
unterstützt gleichzeitig die privaten Schulen", wettert auch María Ximénez. | |
Die 32-jährige Spanischlehrerin im Arbeiterviertel Vallecas gehört zu den | |
Entlassen. Unter den neuen Bedingungen würden vor allem die | |
Integrationsmaßnahmen für Immigrantenkinder und SchülerInnen aus prekären | |
Verhältnissen leiden. "Die staatlichen Schulen büße an Qualität ein und | |
haben nur noch sogenannte problematische Schüler. Eltern mit besseres | |
Einkommensniveau, geben ihre Kinder auf private Schulen", berichtet | |
Ximénez. | |
Die Zahlen geben ihr recht. 40 Prozent der Schulen im Land Madrid sind in | |
privater Hand. Sie gehören meist katholischen Verbänden. In der Stadt | |
Madrid selbst sind es gar 60 Prozent, spanienweit nur 24 Prozent. Die | |
meisten dieser Schulen werden zu 100 Prozent von der Landesregierung | |
finanziert. Nur ganz wenige Privatschulen werden von den Eltern finanziert. | |
## Geld für Ultrakonservative | |
Jahr für Jahr werden den staatlichen Schulen Gelder gestrichen, während der | |
Etat für Privatschulen aufgestockt wird, obwohl das reiche Madrid bei den | |
Bildungsausgaben am Ende des spanischen Rankings liegt. Selbst jetzt, wo | |
die Streichung von 3.200 Lehrerstellen Einsparungen bringen soll, werden | |
denjenigen Steuervorteile eingeräumt, die ihre Kinder auf teure | |
Privatschulen schicken. Ein Nullsummenspiel zu Lasten der Schulen für | |
einfache Leute, beschweren sich Lehrer und Eltern. Wahlfreiheit für die | |
Eltern nennt die Regierung diese Politik. Ein Video auf Youtube macht die | |
Runde, in dem Bildungsministerin Lucía Figar vor ultra-konservativen, | |
katholischen Gruppierungen zusätzliche Gelder für deren Schulen verspricht. | |
"Mittlerweile sind Klassen bis zu 35 Schülern normal", sagt Ximénez. Im | |
Gesetz stehen eigentlich 28. Die Lehrerin, die 1.000 Euro Arbeitslosengeld | |
bezieht, geht seit Wochen auf die Straße. Sie war bei einer Besetzung des | |
Bildungsministeriums dabei und verpasst keine Versammlung der Entlassenen. | |
"Ich werde wohl einen Job im Ausland suchen müssen", erklärt sie am Rande | |
der Demonstration in Madrid. | |
21 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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