# taz.de -- Sparwut in Spanien: Schulen und Kliniken geht es ans Leder | |
> Eine zweite Welle massiver Kürzungen beginnt. Diesmal sind in den 17 | |
> autonomen Regionen Spaniens vor allem Gesundheit und Bildung betroffen. | |
Bild: Proteste gegen die Kürzung staatlicher Mittel für öffentliche Schulen … | |
MADRID taz | Spanien musste bisher nicht unter den Eurorettungsschirm | |
schlüpfen. Doch die Sparmaßnahmen unterscheiden sich nur wenig von denen | |
der anderen Krisenländern Europas. Nach einer Welle von Kürzungen im | |
zentralstaatlichen Sozialsystem sowie der Senkung der Löhne und Gehälter im | |
öffentlichen Dienst vor einigen Monaten kommt jetzt die zweite Runde. | |
Die 17 autonomen Regionen – Spaniens Kantone – haben Kürzungen in Höhe von | |
6,6 Milliarden Euro vorgelegt. So wollen sie das regionale Defizit in den | |
Griff bekommen. Rund die Hälfte der öffentlichen Ausgaben werden aus den | |
Haushalten der Regionen bestritten. Erstmals betreffen die Kürzungen massiv | |
das Gesundheits- und Bildungssystem. In mehreren Regionen, vor allem Madrid | |
und Barcelona, gingen das Personal der Krankenhäuser und die Lehrer auf die | |
Straße. | |
In der Hauptstadtregion begann das Schuljahr mit Lehrerstreiks an den | |
öffentlichen Schulen. Eine Verordnung der konservativen Regionalregierung | |
erhöht die wöchentlichen Unterrichtsstunden von 18 auf 20. | |
Die Folge: Rund 3.000 Lehrer wurden arbeitslos. Eltern- und | |
Schülersprechstunden sowie außerschulische Aktivitäten wie | |
Sportgemeinschaften werden künftig nicht mehr stattfinden. Es fehlt an | |
Personal. Lehrer müssen Unterricht in Fächern geben, für die sie nicht | |
qualifiziert sind. 80 Millionen Euro sollen damit eingespart werden. | |
## Privatschüler mit Privilegien | |
Was die Lehrergewerkschaften am meisten empört: Zeitgleich mit den | |
Einschnitten im öffentlichen Bereich werden Eltern, die ihre Kinder auf | |
Privatschulen schicken, diese Kosten von der Steuer absetzen können. Die | |
Landesregierung wird damit 90 Millionen Euro weniger einnehmen als bisher. | |
In Spaniens Nordostregion Katalonien betrifft die Sparwut vor allem das | |
Gesundheitssystem. Alleine im laufenden Jahr soll eine Milliarde Euro | |
eingespart werden. Die Gehälter im Gesundheitssystem werden um 5 Prozent | |
gekürzt, die Hälfte des Weihnachtsgeldes gestrichen. Im Sommer wurde ein | |
Viertel der Krankenhausbetten stillgelegt, 40 Notaufnahmen geschlossen. Ein | |
Plan sieht vor, in einigen Krankenhäusern die Operationssäle zu schließen. | |
Mindestens 2.000 Angestellte in den regionalen Hospitälern werden laut | |
Gewerkschaftsangaben ihren Job verlieren. Bis Jahresende wird die | |
katalanische Regierung Hilfen für Familien mit schweren Pflegefällen | |
streichen. | |
In zehn weiteren, meist konservativ regierten Regionen sieht es nicht | |
besser aus. So werden im zentralspanischen Castilla-La Mancha 8.000 | |
Angestellte im öffentlichen Dienst ihren Arbeitsplatz verlieren, darunter | |
800 Lehrer. In Murcia werden 27 Millionen Euro im Bildungsbereich | |
gestrichen. Pflegefälle erhalten 30 Prozent weniger staatliche Hilfe für | |
ihre Betreuung. | |
Die Einschnitte ins regionale Sozialsystem sind zum wichtigsten Thema im | |
Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 20. November geworden. Die | |
Gewerkschaften beschweren sich, dass dieses Mal bei den Kürzungen "die rote | |
Linie deutlich überschritten" werde. "Die Bildung ist keine Ausgabe, | |
sondern eine Investition in die Zukunft", lautet das Motto der Lehrer in | |
Madrid. | |
## Schlingerkurs des Sozialisten | |
Der Sozialist Alfredo Pérez Rubalcaba, der den amtsmüden Premierminister | |
José Luis Rodríguez Zapatero als Spitzenkandidat der PSOE ablöst, schließt | |
sich diesem Diskurs an und will so ein totales Debakel der Partei | |
verhindern. Der konservativen Volkspartei (PP) – die laut allen Umfragen | |
Wahlsiegerin würde – macht er es damit allerdings leicht. Als Zapateros | |
Stellvertreter hat er jahrelang alle bisherigen Kürzungen, die | |
Steuersenkung für Spaniens Millionäre sowie die Milliardenhilfen für die | |
Banken durchgewunken. | |
Auch als Zapatero im Sommer im Eilverfahren mit den Konservativen unter | |
Protesten der Gewerkschaften und der "Bewegung der Empörten" eine | |
Schuldenbremse in die Verfassung aufnehmen ließ, war von Rubalcaba nichts | |
zu hören. Die Presse machte jetzt öffentlich, dass diese Verfassungsreform | |
das Ergebnis eines Briefes aus Brüssel war. | |
Bei den direkt Betroffenen hat Rubalcaba mit seinem Schwenk nur wenig | |
Erfolg: "PPSOE" steht bei Streiks und Protesten der Empörten auf vielen der | |
Schildern zu lesen. Kleinere Parteien hoffen von dem Unmut über die beiden | |
großen Formationen zu profitieren. Die postkommunistische Vereinigte Linke | |
(IU) legt in Umfragen kräftig zu. Und die neue, grüne Partei EQUO darf sich | |
berechtigte Hoffnungen machen, am 20. November erstmals ins spanische | |
Parlament einzuziehen. | |
14 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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