# taz.de -- Debatte: Türkische Karrieren | |
> Aus dem Streit über den Kölner Moscheebau ist eine Grundsatzdebatte über | |
> den Islam geworden. Die Religion definiert den Menschen, jeder Muslim | |
> gilt als Verfassungsfeind. | |
Bild: Ein umfassendes Bild vom Islam durch Unterrichtsmaterial? Fehlanzeige, | |
ürke, Moslem, Verfassungsfeind - die Islamdebatte in Deutschland hat eine | |
neue Stufe erreicht. Ausgelöst wurde sie aus nichtigem Anlass, dem | |
geplanten Bau einer Moschee in Köln durch Ditib, die türkisch-islamische | |
Union der Anstalt für Religionen. Längst geht es nicht mehr, wie bei | |
Moscheebauten sonst üblich, um die Höhe des Minaretts, die | |
Parkraumbewirtschaftung, Lärmschutzverordnungen und mögliche islamistische | |
Verbindungen des Trägervereins. Es geht ums Ganze. | |
"Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem", verkündet der | |
Schriftsteller Ralph Giordano kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen | |
Sonntagszeitung. Er hält die Lehren des Korans für unvereinbar mit dem | |
Grundgesetz: "Ich frage mich, wie kann jemand, dem der Koran heilig ist, | |
auf dem Boden des Grundgesetzes stehen?" | |
Die Frage ist legitim und kann im Prinzip an alle Gläubigen der drei | |
montheistischen Religionen gestellt werden, die die Gründungs- und | |
Offenbarungstexte für bare Münze nehmen. Weder Kreationisten, für die die | |
Schöpfungsgeschichte materielle Wirklichkeit ist, sind leicht in einen | |
modernen Rechts- und Verfassungsstaat zu integrieren, noch wollen sich | |
Schriftentreue mit emanzipativen Geschlechterrollen und die Freiheit der | |
sexuellen Orientierung so einfach abfinden. Europa, die USA und die Türkei | |
wissen davon ein mitunter blutiges Lied zu singen. Befremdlich wirkt die | |
Ausschließlichkeit, mit der dies am Islam und im Kontext des Baus einer | |
Moschee diskutiert wird. | |
Und irritierend ist, wenn plötzlich solcherlei Fragen auftauchen: "Sollte | |
es bei den Moschee- und Minarettstreitigkeiten auf Seiten der Muslime | |
tatsächlich um Eroberungsphantasien in einem großen Weltspiel gehen? () | |
Sollte das Abendland also doch untergehen und jedes neue Minarett zum | |
Wegweiser der Welt von morgen werden?" (FAZ, 25. Juli) | |
Wie konnte es geschehen, dass türkische Muslime in Deutschland, denn um die | |
dreht sich die Diskussion, generell der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt | |
werden, wie dies Giordano implizit tut? Und warum werden Arbeitsmigranten | |
aus der Türkei mit expansionistischen Dschihadisten gleichgesetzt, wie dies | |
die FAZ durch vornehm-rhetorische Rumfragerei nahelegt? | |
Die türkische Minderheit hat in den zurückliegenden vierzig Jahren wenig | |
Anlass zu solch kulturkämpferischen Spekulationen geliefert. Bis heute | |
wurden von ihnen keine islamistisch-terroristischen Anschläge im Land | |
verübt. Auch sind sie nicht durch eine überbordende Missionsarbeit | |
aufgefallen. Ohne eine Analyse des Verlaufs der in den letzten Jahren | |
geführten Islamdebatten ist diese befremdliche Zuspitzung nicht zu | |
erklären. | |
Nach dem 11. September richtete sich das Interesse zunächst auf die | |
Internationale der Dschihadisten und ihre Netzwerke. Es war eine | |
überfällige Diskussion, bei der es bezeichnenderweise nicht um Türken ging, | |
sondern um Informationen und Aufklärungsbedarf über das Who is Who des | |
Terrorismus. | |
Mit der Ermordung Theo van Goghs im November 2004 hat sich alles verändert. | |
Plötzlich stand nicht mehr der Islamismus, sondern der Islam selbst im | |
Zentrum der Aufmerksamkeit. Positionen, die den Terrorismus als ein dem | |
Islam innewohnendes Wesensmerkmal beschrieben, gewannen an Einfluss. Eine | |
wichtige Rolle in diesem Perspektivwechsel spielte der niederländische | |
Schriftsteller Leon de Winter. In zahlreichen Beiträgen erklärte er dem | |
deutschen Publikum, warum es keine klare Grenzziehung zwischen moderaten | |
Muslimen und Extremisten gebe. Folgerichtig bezeichnet de Winter die | |
Einwanderung von Muslimen nach Westeuropa als Fehler und fordert einen | |
Einwanderungsstopp für Muslime. | |
Nicht der Islamismus, der Islam ist das Problem, lautet von nun an die | |
Botschaft. Europäische Intellektuelle wie Pascal Bruckner, Ayaan Hirsi Ali | |
und hunderte Journalisten in ihrem Schlepptau konstruierten in einer | |
gemeinsamen Kraftanstrengung einen einheitlichen, homogenen, | |
weltumspannenden und gewalttätigen Islam. | |
Auf Deutschland konnte dieser neue, aus den Niederlanden herüberklingende | |
Sound erst dann erfolgreich übertragen werden, nachdem aus Türken Muslime | |
gemacht wurden und die Religion zu ihrem primären Identitätsmerkmal. Seit | |
dem Herbst 2004 wurde die seit Jahrzehnten schwelende Integrations- und | |
Türkendebatte tatsächlich hemmungslos religionisiert, sprich: islamisiert. | |
Beging ein kurdischer Ehemann einen Ehrenmord, wurde nicht über kurdische | |
Stammestraditionen diskutiert, sondern das Verbrechen direkt aus dem Koran | |
abgeleitet. Wurden 15-Jährige Mädchen aus anatolischen Dörfern | |
zwangsverheiratet, sprach man nicht mehr über dörflich-patriarchale | |
Traditionen, sondern über die vermeintliche Legitimation durch den Islam. | |
Meldeten in islamistischen Gruppen organisierte Eltern ihre Kinder mit | |
standardisierten Formularen vom koedukativen Sportunterricht ab, galt die | |
Aufmerksamkeit nicht dem Einfluss islamistischer Organisationen, sondern | |
ganz allgemein der Rolle der Frau im Islam. Und standen die Defizite von | |
Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen türkischen Familien auf der | |
Agenda, fand man auch dafür, anders als bei den noch weniger erfolgreichen | |
italienischen Schülern, die Erklärung in ihrer Religion. | |
Das tatsächliche Verhalten der überwiegenden Mehrheit der türkischen | |
Familien wurde systematisch ausgeblendet, ihre komplexe Lebensrealität | |
monokausal erklärt. Auch die großen Unterschiede zwischen alevitischen und | |
sunnitischen Türken spielten keine Rolle mehr. Ebenso wenig, wie Muslime | |
den Koran in ihrem Alltagsleben interpretieren. Wer heute darauf verweist, | |
dass der Alltag der meisten Muslime in Deutschland nicht den | |
pauschalisierenden Beschreibungen entspricht, sieht sich schnell dem | |
Vorwurf ausgesetzt, man wolle die Probleme unter den Teppich kehren. | |
Die Türken haben eine erstaunliche Karriere hinter sich. Nachdem sich die | |
Deutschen ihre Türken in den Achtziger- und Neunzigerjahren vor allem | |
entlang völkischer und ethnischer Kriterien und Zuschreibungen | |
konstruierten und daraus Unverträglichkeiten ableiteten, liegt heute ein | |
neues Türkenbild vor. Unbesehen sozialer Schichtung, religiöser Differenz | |
und unterschiedlicher Traditionen sind die Türken inzwischen als | |
homogen-religiöse Gruppe definiert. Ihr gemeinsamer Nenner: der Islam. Der | |
wiederum basiert auf dem Koran, einer offenbar gewalttätigen Schrift, die | |
unvereinbar ist mit dem Grundgesetz. Das zwingende Ergebnis der | |
Pauschalisierungen und Zirkelschlüsse lautet: Jeder, der sich zum Islam | |
bekennt und sich nicht explizit von der Religion distanziert, ist | |
Verfassungsfeind. | |
Der Debattenverlauf zeigt Wirkung. In der Kölner CDU nimmt die Zustimmung | |
zum Moscheebau rapide ab. In Baden-Württemberg gibt es einen speziell auf | |
Muslime zugeschnittenen Einbürgerungstest. Das neue Zuwanderungsgesetz | |
sieht restriktive Sonderregelungen vor, die besonders Einwanderer aus der | |
Türkei betreffen werden. Und es ermöglicht in einem Gummiparagrafen die | |
Ausweisung von Personen, die ein "besonders integrationsfeindliches" | |
Verhalten aufweisen. | |
21 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Sanem Kleff | |
Eberhard Seidel | |
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