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# taz.de -- Rebellen-Aufstand in Libyen: Mit Gott und Kalaschnikow
> Die Stadt Adschdabija gehört wieder den Rebellen. Sie versuchen Ordnung
> und eine Kommandostruktur in das militärische Chaos zu bringen. Fast alle
> Einwohner sind geflohen.
Bild: Verwegene Gestalten, chaotischer Kampf: Rebellen in Libyen.
ADSCHDABIYA taz | Die Fliegen weisen den Weg zu dem einzigen geöffneten
Laden in Adschdabija, einem kleinen Supermarkt. Geöffnet ist er eigentlich
nur, weil der Besitzer versucht zu retten, was zu retten ist. Drinnen ist
es dunkel. Es gibt keinen Strom. Über der Gefriertruhe, die er mit seinem
Mitarbeiter nach draußen trägt, hängt ein Leichengeruch, aber das liegt
wohl an dem verrotteten Fleisch und Fisch in der Truhe, deren Anblick
sofortige Übelkeit auslöst. Die Fensterfront ist eingeschlagen. Gaddafis
Truppen haben sich hier noch vor zwei Wochen bedient, als sie die Stadt von
den Rebellen zurückerobert hatten, bevor die Rebellen sie eine Woche später
wieder eingenommen haben.
Gelegentlich brettert einer ihrer Pritschenwagen über die Hauptstraße,
jenen Weg, der von der östlichen Rebellenhochburg Bengasi kommt, durch die
Stadt geht und am anderen Ende gen Westen wieder hinausführt, dort, wo 60
Kilometer weiter gerade die Front im Kampf zwischen den Aufständischen und
Gaddafis Truppen verläuft.
Es sind recht verwegene Gestalten, diese jungen Aufständischen, die auf der
Ladefläche neben dem Maschinengewehr sitzen, eingehüllt in die
schwarz-rot-grüne Flagge. Seit Wochen kämpfen sie in der Wüste gegen
Gaddafis Truppen. Eigentlich waren sie sogar schon 160 Kilometer weiter
westlich bis Bin Dschawad gekommen, unweit von Sirte, wurden aber
zurückgeschlagen. Nun befinden sie sich wieder, dank internationaler
Luftunterstützung, auf dem Vormarsch.
"Die Gaddafi-Truppen hatten Listen und haben die Leute aus den Häusern und
den Moscheen geholt und mitgenommen", berichtet Usama Abu Bakr, der vor dem
Supermarkt steht. Sie hätten wild um sich geschossen und sogar mit ihren
schweren Flugabwehrgeschützen auf alles gezielt, was sich auf der Straße
bewegte. Dann terrorisierten die auf den Dächern postierten Scharfschützen
die Bewohner. "90 Prozent der Menschen hier sind geflüchtet, übriggeblieben
sind ein paar meist ältere Männer, die die Häuser bewachen. Frauen und
Kinder sind Richtung Osten geflohen, die jungen Männer kämpfen im Westen an
der Front", sagt Abu Bakr.
"Natürlich haben hier alle Angst, dass Gaddafis Truppen wiederkommen, aber
Angst hatten wir 42 Jahre lang", meint er und zieht seine Baseballkappe mit
der Aufschrift "Nevada Las Vegas" gegen die Sonne tiefer ins Gesicht. Ein
junger Mann neben ihm scheint über die Ereignisse den Verstand verloren zu
haben. Er redet unablässig vor sich hin und kreischt wild gestikulierend
die wenigen vorbeifahrenden Autos an.
## Täglich hunderte gespendete Brote
Ein Stückchen weiter die Straße runter, hat sich eine Menschentraube um
drei Pkws versammelt. Beim Näherkommen wird klar, warum: Hinter der
Heckklappe im Kofferraum stapeln sich kleine Baguettes. Drei junge Männer
packen das Brot in Plastiktüten und verteilen es. "Wir kommen jeden Tag.
Heute haben wir 700 Brote dabei. Wir kaufen das Brot dank Spenden in
Bengasi und transportieren es hierher", erzählt einer der jungen Fahrer.
"Alle sind müde und krank", schildert Ahmad Hassan, der aus Adschdabija
kommt, aber mit seiner Familie vor zwei Wochen in ein 40 Kilometer
entferntes Dorf geflüchtet ist. Jeden Tag kommt er in die Stadt, um Brot zu
holen. "Gaddafis Panzer kommen nie wieder zurück," hofft er, "die
Revolutionäre schützen uns."
"Wir sind die Letzten in unserer Straße", sagt Hamdia Hafez. "Wir gehen
raus und haben Angst, wir sitzen zu Hause und haben Angst. Möge Gott dafür
sorgen, dass die Revolutionäre ganz Libyen befreien, damit wir sicher und
normal leben können", bittet die Mutter von fünf Kindern, verknotet die
Tüte mit dem Brot und zieht mit ihrem an einer Krücke humpelnden Mann
davon.
Ein paar Kilometer weiter befindet sich das westliche Ausfallstor der
Stadt. Hier geht es zum umkämpften Brega. Wo genau die Front verläuft, weiß
der Verantwortliche an der Straßensperre nicht. Er hat keine
Funkverbindung, sagt er. Informationen bekommt er von den zurückkehrenden
Fahrern. Ansonsten wird hier eigentlich jeder, der weiter in den Westen
will, freundlich durchgewinkt.
## Sieben-Mann-Trupps
Am Straßenrand macht ein Pritschenwagen mit aufgebautem Maschinengewehr
eine kleine Pause. Am Steuer sitzt Yahia Zuweih. Ein Freiwilliger. Er habe
keinerlei militärische Ausbildung, sagt er. Das Kämpfen habe er direkt an
der Front gelernt, dort sei es ziemlich chaotisch. Es gäbe ein paar
übergelaufene Militärs, die versuchten Anweisungen zu geben, aber kaum
einer höre auf sie.
Fauzi Ibrahim ist einer dieser übergelaufenen Militärs. Seit ein paar Tagen
versuchen sich die Rebellen den Anschein einer militärischen Struktur zu
geben. Ein ehemaliger Offizier soll jeweils sieben Freiwillige führen. Der
weißhaarige Ibrahim lernte einst in Russland das Militärhandwerk. Dennoch
hat er es mit seinen sieben Jungs nicht bis zur Front geschafft. Eines der
allradangetriebenen Fahrzeuge hatte einen Motorschaden. Trotzdem gibt sich
Ibrahim optimistisch: "Wir haben unsere 14- Millimeter-Kanone", deutet er
auf ein Flugabwehrgeschütz auf der Ladefläche, "und die Kalaschnikows." Er
hebt zum Zeichen sein eigenes Schnellfeuergewehr hoch. "Gaddafis Truppen
haben allerdings Waffen mit einer Reichweite von 70 Kilometern", räumt er
noch ein, um mit einem zuversichtlichen "Aber wir haben Gott" zu enden.
Plötzlich taucht ein hochrangiger übergelaufener regulärer Armeeoffizier
auf. Wutentbrannt steigt er aus seinem Wagen, schreit und staucht die Leute
als "Sauhaufen" zusammen. Den Verantwortlichen fragt er gereizt, warum eine
andere Straßensperre im Süden Adschdabijas völlig verwaist sei. Frisch
rasiert, in gebügelter Uniform und mit seinem zackigen Auftreten sticht der
Offizier unter den abgerissen wirkenden Truppen an der Straßensperre
heraus. Ihm fehlen auch die revolutionären Asseccoires wie die
schwarz-rot-grünen Stirnbänder oder das zerzauste Che-Guevara-Haar, das die
jungen Freiwilligen schmückt.
Der Offizier steht für den Versuch der Rebellen, im militärischen Chaos
eine Art Kommandostruktur aufzubauen, bei der man sich auch Gedanken über
Taktik, Sicherung der eroberten Gebiete und verschiedene
Angriffsmöglichkeiten macht. Diese Initiative hatte der Nationalrat in
Bengasi, die Übergangsregierung der Aufständischen, vor ein paar Tagen
offiziell angekündigt. Bisher waren die Rebellen auf ihren Pritschenwagen
einfach nur immer die Küstenstraße entlanggefahren, bis sie von den
wesentlich besser ausgebildeten und ausgerüsteten Gegnern unter Beschuss
gerieten. Entweder sind sie dann weiter todesmutig in den Hinterhalt
gefahren oder haben panisch den Rückwärtsgang eingelegt.
Der Offizier schreit den Leuten an der Straßensperre noch ein paar
Anweisungen zu, die diese mürrisch entgegennehmen. Dann fährt er weiter
Richtung Front. Dort wartet mehr Arbeit auf ihn. Der kurze unrevolutionäre
Wirbelsturm ist vorbeigezogen. Leicht befremdet blicken die Männer ihm
hinterher.
3 Apr 2011
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
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