# taz.de -- Proteste in Syrien: "Das Regime ist nicht reformierbar" | |
> Weit mehr als 200 Menschen sind bei den Protesten in Syrien bislang | |
> getötet worden. Wer hinter dem repressiven Regime steht, sagt der | |
> libanesische Journalist Abdul M. Husseini. | |
Bild: Frauen blockieren die Straße nach Banias, um für die Freilassung ihrer … | |
taz: Herr Husseini, etwa 250 Menschen sollen bislang in Syrien getötet | |
worden sein. Warum geht das Regime mit einer solchen Brutalität vor? | |
Abdul M. Husseini: Ich glaube, das ist Ausdruck einer Panikattacke | |
angesichts der Siege der Revolutionen in Tunesien und in Ägypten. Man | |
dachte, dass Syrien gegen den revolutionären Virus immun sei. Präsident | |
Baschar al-Assad sagte vor einigen Wochen, dass es keinen Grund für Aufruhr | |
und Revolutionen in Syrien gebe, weil er die richtige Politik vertrete, vor | |
allem auch in Bezug auf die Außenpolitik. | |
Nun hat er aber nach den Unruhen in Deraa Reformen angekündigt, die | |
Regierung ist zurückgetreten, eine neue soll kommen. Wie reformfähig ist | |
das Regime? | |
Das ist eine sehr komplizierte Frage. Wenn man reformfähig sein will, muss | |
man auch Reformen wollen. Nach seiner jüngsten Rede hat man aber den | |
Eindruck, dass Assad sich noch nicht für Reformen entschieden hat. Man weiß | |
nicht genau, was er unter Reform versteht. Er hat die Gehälter einiger | |
Beamter erhöht und in Aussicht gestellt, dass der Ausnahmezustand | |
aufgehoben werde. Aber bis heute sind dem keine konkreten Schritte gefolgt. | |
Das Regime ist in seinem jetzigen Zustand nicht reformierbar. | |
Wer steht denn noch hinter dem Regime? Wer ist die gesellschaftliche Stütze | |
von Assad? | |
Offiziell ist die Basis der Macht die Baath-Partei mit ihren knapp zwei | |
Millionen Mitgliedern. Aber das ist nur die Fassade. Das Land wird von | |
einer korrupten Diktatur beherrscht, die alle Bereiche des politischen, | |
wirtschaftlichen und kulturellen Lebens kontrolliert. Als Person hat Assad | |
sehr viel Macht, die er von seinem Vater geerbt hat. Die Sicherheitsorgane | |
festigen seine Macht. Er glaubt, dass er eine nationale Politik betreibt, | |
wenn er eine anti-israelische Politik verfolgt, sich mit Hisbollah und dem | |
Iran verbündet und so vorgibt, die nationalen Interessen, den Staat und | |
Syrien zu vertreten. | |
Nun sind jüngst verschiedene Oppositionelle indirekt zu Gesprächen etwa | |
über die Tageszeitung Tischrin aufgefordert worden. | |
Die Opposition erfährt nur Unterdrückung und bekommt keine Einladung zu | |
Gesprächen. Die Aufforderung zu Gesprächen kommt nur von unbedeutenden | |
Personen des Regimes wie der Beraterin Schaaban. Die syrische Politik ist | |
im Moment sehr doppelzüngig. Einerseits sagt man fürs Ausland, man wolle | |
Reformen und Gespräche, andererseits schickt man die Schlägertrupps und die | |
Sicherheitskräfte, die sehr brutal vorgehen. Das Angebot zu Gesprächen ist | |
nicht ernst zu nehmen, solange es nicht von Assad persönlich und in klarer | |
Form kommt. | |
Wer verkörpert denn aktuell die Opposition in Syrien? | |
Es gibt verschiedene Kräfte, aus denen sich die Opposition rekrutiert. Da | |
sind zum einen die traditionellen linken kleinen Gruppierungen, die seit | |
Jahrzehnten gegen das Regime stehen. Und zum anderen ist da die | |
Muslimbruderschaft, die in Syrien verboten ist. Wer Mitglied dieser Partei | |
ist, kann nach Paragraph 49 des syrischen Strafrechts mit dem Tode bestraft | |
werden. Von daher weiß man nicht, wie stark diese Organisation überhaupt | |
ist. Dann sind da noch die Vertreter der Zivilgesellschaft, die im Jahre | |
2000 für Reformen plädiert haben, bis auch sie fünf Jahre später vom Regime | |
verfolgt und inhaftiert wurden. Und schließlich gibt es noch die gebildete | |
Jugend, die im Internet sehr aktiv ist, die informiert ist, die sich | |
austauscht – sie ist vergleichbar zu den anderen arabischen Staaten. | |
Hat der Konflikt denn auch eine religiöse Dimension? Steht da eine | |
sunnitische Mehrheit gegen die alawitische (schiitische) Minderheit, die an | |
der Macht ist? | |
Der Konflikt ist in Syrien zuallererst einmal politisch. Es geht um den | |
Kampf gegen die Diktatur, um die Rechte des Volkes auf Meinungsfreiheit und | |
Versammlungsfreiheit, um die Aufhebung des seit 1963 geltenden | |
Ausnahmezustandes und die Änderung des 8. Artikels der syrischen | |
Verfassung, der die führende Rolle der Baas-Partei in Staat und | |
Gesellschaft festschreibt. Und es geht nicht zuletzt um die Würde der | |
Menschen. Das Regime ist sehr brutal. Der Begriff Menschenrechte kommt in | |
seinem Vokabular gar nicht vor. | |
Und die religiöse Frage? | |
Syrien ist traditionell ein Land mit sehr vielen Nationalitäten, Religionen | |
und Konfessionen. Hier leben Christen, Sunniten, Schiiten, Araber, Kurden, | |
Drusen, Tscherkessen, Armenier. Erst mit dem Putsch der Baath-Partei unter | |
Hafez al-Assad Anfang der 70er Jahre kam eine Offiziersgruppe aus der | |
alawitischen religiösen Minderheit an die Macht. Aber das Regime hat nie | |
eine konfessionelle Politik offen verfolgt, sondern war immer von einer | |
nationalistischen Ideologie geprägt. Wenn es konfessionelle Konflikte gibt | |
oder diese als solche ausgegeben werden, dann geschieht dies von seiten des | |
Regimes. Selbst die Muslimbrüder spielen nicht die religiöse Karte. Das | |
Regime will aber suggerieren: Wenn wir nicht an der Macht bleiben, dann | |
werden religiöse Konflikte ausbrechen. | |
Kann das Assad-Regime auf Verbündete in der arabischen Welt hoffen? | |
Das syrische Regime steht an der Seite Gaddafis und vertrat die gleiche | |
Position wie die Saudis in Bahrain. Jüngst hat man versucht, die | |
Beziehungen zu Jordanien zu verbessern, um gemeinsam gegen die | |
"Verschwörung" vorzugehen. Man sieht in der gesamten arabischen Welt, dass | |
die Diktaturen und Monarchien zusammenstehen, dass sie gemeinsame Sache | |
machen, um sich zu behaupten und ihre Köpfe zu retten. Die Hisbollah und | |
Iran aber sind für Syrien strategische Verbündete. Das Problem besteht aber | |
darin, dass sich ein direktes Einmischen von Iran oder Hisbollah verbietet, | |
da es dem Regime mehr schaden als nutzen würde. | |
Was erwarten Sie in den kommenden Tag und Wochen? | |
Ich bin da pessimistisch. Von Tag zu Tag nimmt die Repression zu. Bislang | |
stand das Regime nicht vor einer existentiellen Bedrohung. Niemand hat zu | |
Beginn der Unruhen vor vier Wochen den Sturz des Regimes gefordert. Das | |
Regime reagierte aber von Anfang an mit brutaler Gewalt. Assad hat in | |
seiner Rede klar gesagt, dass die "Verschwörung" von außen komme, dass | |
Israel und die USA verantwortlich seien und dass er auf diese | |
Herausforderung mit Gewalt reagieren müsse. Das hat er getan. Aber die | |
Proteste sind seitdem angewachsen. Die Entwicklung verläuft in dieser | |
Hinsicht wie in Tunesien und Ägypten. | |
14 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Georg Baltissen | |
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