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# taz.de -- Arabische Revolutionen: "Demokratie ist der einzige Weg"
> Arabische Intellektuelle haben der Revolte den Weg bereitet, meint der
> Philosoph Sadiq al-Azm. Doch viele haben sich auch kompromittiert.
Bild: "Wer beten wollte, hat es getan. Wer nicht beten wollte, musste das nicht…
taz: Herr al-Azm, von den arabischen Intellektuellen war bei den Revolten
in ihren Ländern, etwa in Ägypten und Tunesien, anfangs nur wenig zu hören.
Warum war das so?
Al-Azm: Aus den Erfahrungen vieler Intellektueller weiß ich, dass man eine
Reihe von Kompromissen eingehen musste, um seine Arbeit als
Universitätsprofessor oder als Schriftsteller weiterführen zu können. Wenn
es dann zu solch einer Revolution wie in Ägypten kommt, verhalten sich
viele Intellektuelle wie alle anderen auch: Einige haben Angst, andere
beteiligen sich aktiv daran. Wenn die Revolution zum Erfolg führt, dann
existieren diese Albträume nicht mehr und die Zeit der Zugeständnisse ist
vorbei.
Sollte das nicht für viele ein Anlass sein, Selbstkritik zu üben?
Ich denke, diese Intellektuellen können höchstens Erklärungen für ihr
Verhalten liefern. Es gibt aber auch jene, die sich zum Sprachrohr der
Regimes gemacht, in den Medien gearbeitet oder den Präsidenten verherrlicht
haben. Wenn diese irgendwann von Gewissensbissen geplagt werden sollten,
können sie sich entschuldigen. Aber niemand wird ihnen Glauben schenken -
egal was sie machen. Sie können ihre Vergangenheit nicht ungeschehen
machen. Die meisten von ihnen werden sich deshalb aus der Öffentlichkeit
zurückziehen.
Braucht es nicht eine öffentliche Aufarbeitung der Verstrickungen?
Ich möchte mit den meisten Intellektuellen nicht zu hart ins Gericht gehen
- es sei denn ihr Verhalten ist so klar wie bei Jaber Asfur, dem früheren
Direktor der obersten Kulturbehörde Ägyptens und letzten Kulturminister
unter Mubarak. Früher hielt er eine gewisse Distanz zum Regime, dann nicht
mehr. Es ist unmöglich, diese Menschen zu respektieren. Jetzt kommen Listen
von Personen und Institutionen an die Öffentlichkeit, die vom libyschen
Regime Gelder bekommen haben. Wenn nach den Revolutionen hoffentlich
stabile, demokratische und zivile Strukturen entstehen, dann ist es
notwendig, eine solche Diskussion zu eröffnen. Aber ich glaube auch, dass
manche Intellektuelle eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der
Revolutionen gespielt haben.
Inwiefern? Die Revolten werden doch von der Jugend angeführt?
Seit Langem haben Intellektuelle - manchmal symbolisch oder auf indirektem
Weg, etwa über die Literatur - deutlich Position für die Menschenrechte
ergriffen. Ein Beispiel ist das "Kommuniqué 99" aus dem Jahr 2000, das von
99 syrischen Intellektuellen unterschrieben wurde. Darin sind fast all jene
Forderungen enthalten, die auf den Straßen von Tunesien und Ägypten
hochgehalten wurden: Aufhebung des Ausnahmezustandes, die Forderung nach
Freiheiten.
Sie selbst haben das "Kommuniqué 99" unterzeichnet und sich stets für
Menschenrechte und Meinungsfreiheit eingesetzt. Was hat solchen Initiativen
den Weg bereitet?
Viele sprachen über das Scheitern verschiedener Modelle, wie etwa das
Modell des arabischen Sozialismus oder des Nasserismus. Man begann, über
Alternativen nachzudenken und darüber, dass Demokratie die einzige
Alternative sein kann. Besonders die säkularen und aufgeklärten
Intellektuellen spielten dabei eine wichtige Rolle - aber auch die großen
religiösen Parteien wie die Muslimbruderschaft wurden davon beeinflusst.
Eine Rolle spielte auch das türkische Modell: dass eine Partei mit
islamischem Anspruch in einem Land mit einer imperialen Tradition auf
friedlichem demokratischem Wege an die Macht gelangt, ohne dass jemand die
Rechtmäßigkeit der Wahlen bezweifeln würde und ohne dass das Land in eine
Katastrophe schlittert, wie wir es in Algerien oder dem Sudan erlebt haben.
Viele Intellektuelle haben dieses Modell diskutiert und die Frage gestellt,
ob es nachahmenswert sei.
Die Rolle des Intellektuellen ist in der arabischen Welt bis heute schwach
ausgeprägt. Warum?
Wir sind vom Modell des französischen Intellektuellen beeinflusst, der sich
einmischt und zu den großen und wichtigen Themen Position ergreift.
Andererseits spielen Intellektuelle in Gesellschaften, in denen es einen
hohen Prozentsatz an Analphabetismus gibt, immer eine wichtige Rolle: Bei
uns haben sie etwas von der Rolle der religiösen Gelehrten geerbt. Etwas
von dem Respekt, der diesen entgegengebracht wird, überträgt sich auch auf
die Intellektuellen. Aber ihr Spielraum ist in der Tat sehr beschränkt.
Intellektuelle haben in Osteuropa bei der Vorbereitung des Zusammenbruchs
der Diktatur eine große Rolle gespielt. Die Rolle der arabischen
Intellektuellen ist sicher schwächer, auch wenn es Parallelen gibt.
Erwarten Sie, dass die arabischen Revolten am Ende wirklich zu mehr
Demokratie führen werden?
Das hoffe ich zumindest. Ägypten und Tunesien erleben gerade eine
"charismatische Phase" - einen Zustand der Freiheit und des Rausches. Aber
dieser Zustand wird nicht andauern. Er wird ins tägliche Leben übergehen.
Dieser Geist wird auch in die neugegründeten Institutionen hineinfließen
oder in Einrichtungen, die reformiert werden.
Welches waren für Sie die größten Überraschungen bei den Revolutionen in
Ägypten und Tunesien?
Die absolute Distanz zu den Methoden früherer Protestbewegungen. Früher
wurden Slogans hochgehalten wie "Tod für Amerika, Tod für Israel" oder "Die
Feinde des Volkes verdienen keine Freiheit". Diese Parolen waren plötzlich
verschwunden. Bei früheren Protestbewegungen herrschte stets eine
Krisenstimmung. Das war nun völlig anders. Wir haben jetzt in Ägypten eine
Protestbewegung erlebt, die einen Präsidenten stürzte, in der Musik
gespielt, getanzt, Gedichte rezitiert wurden und Ballons aufstiegen. Das
ähnelt dem, was wir aus Europa oder den USA kennen. Sogar die religiösen
Äußerungen, die wir erlebt haben, waren individueller Natur. Wer beten
wollte, hat es getan. Wer nicht beten wollte, musste das nicht tun. Jetzt
erleben wir einen neuen Geist und eine neue Praxis. Das zeugt von einem
hohen Maß an Reife.
15 Apr 2011
## AUTOREN
Mona Naggar
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