Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- SPD-Basis empört über Sarrazin-Verbleib: Erste Austritte noch vor…
> In der Berliner SPD herrscht Entsetzen darüber, dass Thilo Sarrazin
> Mitglied der Partei bleiben darf.
Bild: Trägt wieder sozialdemokratischen Heiligenschein: Thilo Sarrazin.
Kopfschütteln, Unmut, Austritte: In der Berliner SPD herrscht Unverständnis
über den Verbleib von Thilo Sarrazin in der Partei. "Peinlich",
"enttäuschend", "unverständlich", lauteten am Freitag die Reaktionen auf
die Blitz-Beendigung des Parteiausschlussverfahrens.
Wochenlang hatte die SPD das Verfahren gegen ihren Dauer-Provokateur
vorbereitet, nachdem Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab"
veröffentlicht hatte. Teilweise einstimmig hatten die Bundesparteispitze,
der Berliner Landesvorstand und der Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf
das Verfahren beschlossen. Doch nach fünfstündiger Sitzung der dreiköpfigen
Schiedskommission am Donnerstag folgte ein überraschend schnelles Ende:
eine gütliche Einigung.
Sarrazin veröffentlichte eine Erklärung, in der er unter anderem angibt,
seine Aussagen nicht diskriminierend gemeint zu haben. Er habe
sozialdemokratische Grundsätze nicht verletzen wollen. Im Gegenzug nahmen
alle Antragsteller ihre Ausschlussanträge zurück. Die Reaktion der Berliner
SPD: Ratlosigkeit und Befremden, von der Landes- bis zur Kreisebene, vor
allem aber beim linken Parteiflügel, bei Jusos und Migranten.
Als "peinlichen Zickzack-Kurs", der mit den Grundwerten der Partei
betrieben werde, bezeichnet der Abgeordnete Raed Saleh das Verfahrensende.
Saleh hatte selbst noch das erste Parteiausschluss-Verfahren gegen Sarrazin
mitangestoßen. Dass die Antragsteller ihre Anträge nun zurückgezogen
hätten, sei "nicht nachvollziehbar", schimpft Saleh. "Hier wurde nach
Bauchgefühl entschieden, obwohl Sarrazin keine Fehler eingeräumt hat." In
der Basis werde dies nicht gut ankommen, jetzt gehe es um
"Schadensbegrenzung".
Das kann am Freitag Jan Stöß mit Zahlen untermauern. Allein bis zum Mittag
seien zehn Austritts-E-Mails bei ihm eingegangen, sagt der
SPD-Kreisvorsitzende und Stadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Landesweit
sind es nach Informationen der taz deutlich mehr. "Ich kann die Empörung
verstehen." Das "Einknicken" der Antragsteller sei eine "Fehlentscheidung",
so Stöß. "Der Landesvorstand muss nun zügig erklären, welche tragenden
Gründe für den vorgeblichen Vergleich vorlagen." Im Wahlkampf werde der
Entschluss keine Hilfe sein.
Auch Torsten Schneider, Abgeordneter aus Pankow, berichtet von
angekündigten Parteiaustritten in seinem Bezirk. "Der Donnerstagabend wird
parteiintern Spuren hinterlassen." Das Ergebnis sei aber erwartbar gewesen,
so Schneider. Sarrazin hätte schon im ersten Ausschlussverfahren gehen
müssen. Dabei gehe es keineswegs um Meinungsfreiheit, sondern darum, dass
Sarrazin die Gleichwertigkeit aller Menschen in Frage gestellt habe.
Schneider appelliert an seine Parteikollegen, jetzt die SPD nicht zu
verlassen. "Wir brauchen das soziale Rückgrat in der Partei."
Auch bei den Jusos herrscht Frust. "Peinlich" sei der Entschluss, so der
Kreisvorsitzende der Jusos in Treptow-Köpenick Lars Düsterhöft. "Die Wut
und das Unverständnis sind sehr groß", sagt Landesvorsitzender Christian
Berg. Er bezeichnet die Entscheidung als "nicht nachvollziehbar". Einen
entsprechenden Spruch der Schiedskommission hätte man akzeptieren können,
nicht aber ein "Einknicken bei dem kleinsten bisschen Widerstand". Berg,
der die Nachricht auf einer Partei-Sitzung erhielt, beschreibt, dass viele
Anwesenden spontan ihre Mitgliedschaft in Zweifel gezogen hätten. "Eine der
ersten Reaktionen war die Frage, warum man noch in der Partei sein solle",
sagt er. Diese Reaktion habe es nicht nur bei den Jusos, sondern auch auf
Kreisebene gegeben.
Kenan Kolat kann Gleiches auch für die Migrantengruppen in der SPD
berichten. "Ich bin entsetzt und empört, dass die Anträge zurückgezogen
wurden", so der Vorsitzende des SPD-Bundesarbeitskreises Migration und
Geschäftsführer des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Dass sich die
Partei mit der dürftigen Erklärung Sarrazins zufrieden gebe, sei
inakzeptabel. Kolat will ein außerordentliches Treffen seines
Arbeitskreises einberufen. "Für uns Migranten in der Partei ist die Sache
längst noch nicht erledigt."
"Enttäuschend", nennt auch die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der
Fraktion, Burgunde Grosse, die Einigung. "Warum hat man dann das Verfahren
überhaupt in die Wege geleitet?", will sie wissen. Die Gremien-Frage stellt
auch Juso-Chef Berg: Wozu habe man sich erst im Bundes-Parteivorstand
einstimmig für ein Ausschlussverfahren entschieden, nur um es jetzt
abzubrechen? "Vermutlich gab es die Angst, dass das Verfahren im Wahlkampf
eine Rolle spielt", glaubt er.
Schweigen dagegen bei SPD-Landeschef Michael Müller am Freitag und auch
beim Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der im Urlaub weilt.
Wowereit hatte Sarrazins Thesen als "blödsinnig" kritisiert. Einzig
Neuköllns SPD-Bürgermeister Klaus Buschkowsky findet den Ausgang des
Ausschlussverfahrens begrüßenswert. "Dass sich jetzt alle aufeinander
zubewegt haben, scheint mir vernünftig."
22 Apr 2011
## AUTOREN
Svenja Bergt
Konrad Litschko
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nahles verteidigt Sarrazin-Verfahren: Zwischen Pest und Cholera
Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles diskutiert mit der Parteibasis in
Berlin-Kreuzberg über Sarrazin. Die Stimmung ist freundlich, aber
verzweifelt.
Sarrazin und kein Ende: Der Wankelmütige
Die Parteispitze hat das Ausschlussverfahren gegen Sarrazin kurz aber
schmerzvoll beendet. Im Zentrum der Kritik steht Andrea Nahles. Warum nicht
Parteichef Gabriel?
Brief an die SPD: Ich will die Scheidung!
Ich wuchs in Liebe zur SPD auf, daraus machte ich nie einen Hehl. Doch wer
nur zuschaut, wenn ich beleidigt werde, der soll sich seine Stimmen künftig
anderswo holen.
Einigung mit Sarrazin: Wachsender Unmut in der SPD
Die Kritik über die zurückgezogenen Partei-Ausschlussanträge gegen Thilo
Sarrazin wird lauter. Andrea Nahles verteidigt die Entscheidung. Die
Berliner SPD ruft zu einer Sondersitzung.
Berliner SPD nach Sarrazin-Beschluss: Landesvorstand muss sich erklären
Nach dem überraschenden Rückzieher der Sozialdemokraten, Thilo Sarrazin
doch nicht auszuschließen, rumort es in der Berliner SPD. Viele in der
Partei können die Kehrtwende nicht nachvollziehen.
Kein Ausschlussverfahren: In der SPD ist doch Platz für Sarrazin
Mit dem Versprechen, in Zukunft sozialdemokratische Grundsätze zu achten,
entgeht der Exbundesbanker einem Rauswurf. Der Parteispitze ist das recht.
Parteiausschlussverfahren beendet: Sarrazin darf Sozialdemokrat bleiben
Thilo Sarrazin wird nicht aus der SPD ausgeschlossen. Ex-Senator erklärt,
er hab Migranten nicht diskriminieren wollen. Alle Antragsteller verzichten
daraufhin auf den beantragten Ausschluss.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.