# taz.de -- Danquarts Porträt über Joschka Fischer: Von betonter Distanz | |
> Pepe Danquart porträtiert den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer. | |
> Der Film leidet über allzu lange Zeit hinweg an der Unlust des | |
> Protagonisten, sich zu erinnern. | |
Bild: Der Elder Statesment gibt sich im Film schweigend: Joschka Fischer. | |
Joschka Fischer ist ein distanzierter älterer Herr. Bei einem Elder | |
Statesman, wie er ihn heute wohl professionell ebenso darstellt wie privat, | |
ist das keine Überraschung. Aber Fischer, so erklärt er seinem unsichtbaren | |
Gesprächspartner in Pepe Danquarts Dokumentation "Joschka und Herr | |
Fischer", will immer schon so gewesen sein. | |
Als mit bilingualen, deutsch-ungarischen Eltern aufwachsendes | |
Vertriebenen-Kind unter Nachkriegsdeutschen, als Katholik unter | |
Protestanten; aber auch später betont er immer wieder seine Distanz, | |
schwärmt von seinen Rückzügen und dem proletarisch-flaneurhaften | |
Außenseitertum des Taxifahrerberufs. Zu allem anderen ist er gedrängt | |
worden, nie war er es, der etwas wollte. Die Fraktion, die Partei, die | |
politischen Zwänge, die historischen Notwendigkeiten zerrten mit schwerem | |
Gewicht an einem milden Mann, der eigentlich zum blinzelnden Beobachter | |
geboren ist. | |
Pepe Danquart hat Fischer in ein irres Kabinett von hängenden Screens aller | |
Größen und Himmelsrichtungen gestellt. Auf diesen flimmern die | |
entscheidenden Bilder aus Fischers Leben. In Wirklichkeit sind es natürlich | |
zeitgeschichtliche Bilder aus dem Archiv. Aber manchmal werden sie | |
angezoomt, als würden sie der entspannten, rundlichen Figur zurufen: Du | |
musst Joschka Fischer werden! Doch auch das bringt ihn nicht aus der Ruhe. | |
Die gesamten 50er, 60er und 70er Jahre bestreitet der Mann mit Truisms aus | |
dem Geschichtsunterricht. Sogar den Zeigefinger hebt er und lehrt uns: "Der | |
Vietnamkrieg war auch wichtig, damals, das darf man nicht vergessen." Sach | |
bloß. So stöhnt der Zuschauer noch oft - und zwar ungefähr bis knapp in die | |
Mitte der zweiten Halbzeit. | |
Wir wissen natürlich nicht, ob Fischer in Wirklichkeit konzise historische | |
Analysen mit spannenden persönlichen Erlebnissen verquickt hat und es | |
allein der Regisseur war, dem die Allgemeinplätze besser gefallen haben, | |
oder ob ihm von Anfang an nichts Konkretes zu seinem Leben vor dem | |
Turnschuhministerium eingefallen ist. | |
Jedenfalls wird beim gemessenen Schreiten durch das Kabinett der | |
Archivfilme nicht einmal das Minimum von Fakten eingesammelt, das nötig | |
wäre, um nur den psychologischen Kenntnisstand zu erreichen, den noch der | |
oberflächlichste Zeitungsleser während der rot-grünen Regierungsjahre | |
längst erreicht hatte. Im Hintergrund mahlt eine Guido-Knopp-Mühle | |
"zeitgeschichtliche" Clips und projiziert sie in eine Art | |
Stan-Douglas-Installation ohne Stan Douglas. | |
## Nichts Spannenendes zu erzählen | |
Dann sind da Bilder vom Club Voltaire in Stuttgart: endlich etwas | |
Konkretes. Doch Fischer weiß auch hierzu nur Grundsätzliches zu Freiräumen | |
und Jugendlichen zu erzählen. Der ehemalige Betreiber hat hingegen andere | |
Erinnerungen: Fischer war nicht einfach nur ein regelmäßiger Gast, er war | |
ein kleiner Stinker und Provokateur. Hat Zigaretten in den schönen weißen | |
Farbtöpfen ausgedrückt, mit denen man gerade renovieren wollte. Und hatte | |
immer hübsche Mädchen dabei. | |
Für Porträtist und Porträtierter ist alles immer nur Exempel für | |
Immerschongewusstes. Doch der Stuttgarter Club Voltaire ist auf sehr | |
spezifische Weise anders als vergleichbare Läden in Frankfurt oder | |
Westberlin; der kurz auf einem Bild erkennbare Wolfgang Dauner wäre eine | |
Person, über die zu reden gewesen wäre, wenn sogar der Sonntagsredner in | |
eigener Sache ihn identifizieren kann und den Namen noch weiß. Solchen | |
Zeitgenossen zu folgen hätte mehr hergegeben als die endlosen Exkurse, | |
derer sich der Film befleißigt und in denen Menschen zu Wort kommen, die | |
zur selben Zeit auf der Erde lebten und ansonsten nüscht, aber auch gar nix | |
mit Fischer zu tun haben. | |
Wie etwa Katharina Thalbach, die über eine romantisch verwahrloste | |
Rummelplatz-Location irgendwie metonymisch mit der untergegangenen DDR in | |
Verbindung gebracht wird. Oder die bei einem Gig erwischten Fehlfarben, die | |
mal einen Song geschrieben haben, der eh per Missverständnis von einer | |
Bewegung aufgegriffen wurde, mit der Fischer auch nichts zu tun hatte. | |
## Kein Kommentar von Fischer | |
Einmal werden Bilder aus der seinerzeit höchst avantgardistischen | |
Fernsehsendung "p3" von Werner Schretzmeier aus Stuttgart gezeigt: wilde | |
Montagen aus inszenierten und dokumentierten Musikbildern von The Taste, | |
The Nice und Pink Floyd, gewalttätige Spießer, sich befreiende Gegenkultur. | |
Das läuft ohne Kommentar: Man könnte denken, das habe Danquart so | |
geschnitten oder so habe Fernsehen eben damals ausgesehen, was natürlich | |
falsch ist. Warum wird Fischer nicht zu dieser sehr einzigartigen Sequenz | |
befragt, zu diesen jede Neugier verdienenden Bildern? Derweil hat die | |
Sonntagsrede ungefährdet Woodstock erreicht. | |
Um es kurz zu machen: Auch Fischers Aufstieg zum Frankfurter Alpha-Sponti, | |
seine theoretische Schulung in politischen Gruppen, Erinnerungen an | |
wandelnde Gründe, Betriebsarbeit zu machen oder sich beim Häuserkampf zu | |
engagieren, werden bestenfalls angedeutet. Dass er bei Adorno gehört haben | |
will, der zwei Semester nach Fischers Ankunft in Frankfurt starb, erklärt | |
die Eloquenz und Diskussionstandfestigkeit des eher bildungsfern | |
aufgewachsenen Schulabbrechers jedenfalls nicht. Nur seine Rückzüge kriegen | |
Kontur. Die Linke glaube an das Gute im Menschen, doziert er, als | |
Taxifahrer sei er Realist geworden. Mit dieser tiefen anthropologischen | |
Summe werden wir in den Lebensabschnitt entlassen, in dem es endlich | |
interessant wird: die Realpolitik. | |
## Grüne Politik: endlich kommt Spannung auf | |
Vom Moment seiner Ernennung zum Minister an - wieso ist der Rückzugsmann | |
plötzlich bei den Grünen, wieso gleich so weit oben auf der Liste? - bis | |
zur Rückgabe des Bundestagsmandats ein Jahr nach der verlorenen Wahl kommt | |
Fahrt auf, wird es dicht. An alles, was wir sehen, kann sich Fischer nun | |
sehr spezifisch erinnern. Nun erzählt er zu den Bildern die Geschichte | |
davon, was unmittelbar nach dem Schnitt, nach dem Ausschalten der Kamera | |
passiert. So gelingt in den letzten 50 Minuten des überlangen Opus immerhin | |
eine Chronik des Aufstiegs grüner Politik zu schließlich zentralen | |
Entscheidungen wie den Kosovo-Einsatz ermöglichenden realpolitischen Kraft. | |
Wie sehr Fischer bei der Sache ist, zeigt sich daran, dass der Film jetzt | |
gezwungen ist, Bild und Text genau auf einander zu beziehen. | |
Nicht zu sehen ist hingegen, wieso dieser Mann der beliebteste deutsche | |
Politiker der letzten 25 Jahre plus werden konnte. Wohl weil er einer der | |
Letzten ist, die zur Macht ein begründetes Verhältnis haben, das weder in | |
erster Linie karrieristisch noch zynisch motiviert ist, sondern durch | |
politische Leidenschaften - auch wenn man diesen Begründungen nicht folgen | |
muss und manchmal nicht kann, aber es gibt sie wenigstens. | |
Die Verbindungen zwischen den politischen Leidenschaften und dem Ausüben | |
politischer Ämter ist heute wieder weitgehend gekappt - so wie im alten | |
Obrigkeitsstaat, wenn auch aus anderen Gründen und bei anderen politischen | |
Alternativen. Doch gerade die ehemaligen Politikaster, die Herrschenden | |
fliehen die sichtbare Macht oder üben sie im Verborgenen des | |
Wirtschaftsjobs aus. Das gegenkulturelle Projekt, den Leuten die Lust auf | |
Macht generell zu verleiden, den Glanz der Autorität zu desavouieren, ist | |
erfolgreich gewesen. Mit dem Ergebnis, dass wir nun über ihre Karikaturen - | |
Berlusconi, Sarkozy - und nicht ihren dem Blick entzogenen Alltag | |
diskutieren. Warum gerade ein ehemaliger Vertreter dieser Gegenkultur den | |
Weg zur erfolgreich vermittelten Machtausübung gefunden hat, das zu zeigen, | |
verpasst der Film. | |
17 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
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Bundestag | |
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