# taz.de -- Die Rolle des NS-Außenministeriums: Vornehm und kompromisslos | |
> Laut einer neuen Studie hat das NS-Außenministerium bei der Vernichtung | |
> der Juden kräftig mitgemacht. Der lange Arm der alten Eliten reicht bis | |
> in die Gegenwart. | |
Bild: Aufstand der "Mumien": Auswärtiges Amt in Berlin. | |
Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier stellen diesen Donnerstag in | |
Berlin ein Buch vor, dass es 65 Jahre lang nicht geben durfte. "Das Amt und | |
die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der | |
Bundesrepublik", das Werk beleuchtet die nationalsozialistische Kontinuität | |
westdeutscher Eliten. | |
Zum Vorlauf: Im Sommer 2003 schrieb Marga Henseler einen Brief an | |
Außenminister Joschka Fischer. Henseler, pensionierte Mitarbeiterin des | |
Aussenamtes, beschwerte sich, dass in der hausinternen Zeitschrift Franz | |
Nüßlein in einem lobhudelnden Nachruf gedacht wurde. Henseler wusste, dass | |
Nüßlein vor seiner Nachkriegskarriere im Aussenamt Nazi und ein | |
Kriegverbrecher war. Der Brief erreichte Fischer nicht. Henseler beschwerte | |
sich bei Kanzler Schröder, Schröder bei Fischer und der fiel damals aus | |
allen Wolken. Der früherer Frankfurter Sponti und Strassenkämpfer verfügte, | |
dass fortan keine ehemaligen Mitglieder der NSDAP in der hausinternen | |
Zeitschrift geehrt werden dürften. | |
Womit Fischer allerdings nicht gerrechnet hatte, war der Aufstand der | |
"Mumien", so der hausinterne Jargon für die altgedienten Diplomatenkader. | |
Ende 2004 starb dann mit Franz Krapf ein weiteres früheres NSDAP-Mitglied, | |
SS-Untersturmführer im SD-Hauptamt. Krapf war ab 1938 im auswärtigen | |
Dienst, und seit 1951 wieder. Unter anderen als Botschafter in Japan und in | |
den 1970ern bei der Nato in Brüssel. Trotz Protests der Mumien untersagte | |
Fischer eine hausinterne Würdigung. "So kam es," wie die FAZ 2005 noch | |
genüsslich berichtete, "zu einen sicherlich in der Amtsgeschichte | |
einmaligen Vorgang: Alle ehemaligen Staatssekretäre, fast alle früheren | |
Leiter der für Personal zuständigen Zentralabteilung und prominente | |
Botschafter außer Diensten wie Berndt von Staden oder Erwin Wickert | |
entschlossen sich zu einer gemeinsamen Aktion, vornehm im Stil, aber | |
kompromißlos in der Sache." Jaja, der dumme Fischer. | |
Vornehm schalteten die Mumien eine kompromisslose, großformatige Anzeige in | |
der FAZ - "In memoriam Franz Krapf Botschafter a.D." Und zwangen so Fischer | |
zum Handeln. Im Gespräch mit FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher | |
beschrieb Fischer nun zum Wochenende wie es zur Einsetzung jener | |
Historikerkommision kam, die in den letzten Jahren die braune Vor- und | |
Nachgeschichten des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik untersuchte, das | |
Buch erscheint im Blessing-Verlag, im übrigen Schirrmachers Hausverlag. | |
Fazit der vier Forscher: Das Aussenamt war bis 1945 "eine verbrecherische | |
Organisation" (Professor Eckart Conze). Entgegen allen nach 1945 | |
vorgebrachten Lügen und Schutzbehauptungen waren die oftmals adligen | |
Elitebeamten wie Ernst von Weizsäcker mehrheitlich und mit ganzer | |
Leidenschaft an der Ermordung der Juden Europas sowie an anderen | |
Menschenrechts- und Kriegsverbrechen beteiligt. Angewidert beschreibt | |
Schirrmacher dies jetzt, nachdem man wegen ebensolcher historischer | |
Kampflinien Rot-Grün noch zuverlässig ablehnte. Die Höhepunkte der | |
Ausbildung vieler Spitzenbeamter im neuen Auswärtigen Amt der BRD bestand | |
in Besuchen beim Führer, des KZ-Dachaus und psychiatrischer Kliniken mit | |
Euthanasie-Programmen. | |
Brisanz kriegt diese westdeutsche Debatte um die Kontinuität von Edel- und | |
Elitenazis quer über die Systeme hinweg jetzt dadurch, dass sie zuallererst | |
nun von den früheren Freundschaftsblättern der Mumien, FAZ, Spiegel (und | |
sicherlich schliesst sich auch bald die Zeit an) anklägerisch geführt wird. | |
Die trauen sich auf einmal was. | |
Die kleineren Blätter (der Linkspresse?) warten hingegen oft noch auf ihre | |
Rezionsexemplare und freuen sich derweil über die neuen antifaschistischen | |
Kommentare der noblen Häuser. Nachdem wohl auch die letzten der Mumien, | |
also jener im NS ausgebildeten alten Spitzenbeamten und in der BRD später | |
zumeist Hochbesoldeten, das Zeitliche gesegnet haben, zeigt man sich | |
allenthalben kompromisslos. | |
Ist das jetzt der Nachruf, den sie verdient haben, wie Fischer sagt? Oder, | |
folgt darauf vielleicht wirklich noch etwas, wie Schirrmacher andeutet. | |
25 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Pepe Danquart | |
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