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# taz.de -- Der "Kulturabend" der Grünen: Bewahren und verändern
> Eine Frage der Etikette: Die Melodie der Revolution klingt anders: Ein
> "Kulturabend" der Grünen anlässlich des Berliner Theatertreffens.
Bild: Sage mir wie du feierst und ich sage dir wer du bist.
Sage mir, wie du feierst, und ich sage dir, wer du bist. An diese
kulturwissenschaftliche Faustregel fühlte sich erinnert, wer den
"Kulturabend" besuchte, den die Bundestagsfraktion der Grünen vergangenen
Dienstag zum Berliner Theatertreffen ausgerichtet hatte. Nicht im Kunsthaus
Tacheles, nicht in Kreuzbergs postmigrantischem Ballhaus, nicht im
Salzstock Gorleben - im Restaurant Auster, dem gläsernen Souterrain der
Kongresshalle im friedlichen Tiergarten, sorgten sie sich um Kunst und
Kultur: Eingedeckte Tische, gebügelte Stoffservietten, Sitzordnung,
gediegenes Geplauder; zwischen den Gängen eines vegetarischen Menüs gab es
kleine, feine Live-Einlagen.
Deutlicher hätten die einstigen Underdogs der parlamentarischen Demokratie
nicht offenbaren können, in welcher geistigen Verfassung sie sich derzeit
befinden. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Klagelied von den
opportunistischen Grünen, die ihre Herkunft verraten, klingt ungefähr so
abgestanden wie einst die Erwartung, Joschka Fischer hätte Zeit seines
Lebens in einer abgeschabten Lederjacke und einem Pflasterstein unter dem
Arm herumzulaufen.
## Ein Hauch von Kurkonzert
Doch dass an diesem Abend gar nichts an die Alternativ- und
Widerstandskultur erinnerte, aus der sie auch hervorgingen, war
symptomatisch. Parteichefin Claudia Roth war zwar gerade von einer Reise
nach Tunesien zurückgekehrt. Und schwärmte vom Rap als "Melodie der
Revolution". In der Auster lauschte sie dann ihrer Abgeordnetenkollegin
Agnes Krumwiede. Die gelernte Konzertpianistin aus Ingolstadt, Jahrgang
1977, trat im schulterfreien Abendkleid aus dunkelvioletter Seide an den
Flügel. Und intonierte hingebungsvoll Puccini und Ravel. Ein Hauch von
Kurkonzert lag in der Luft.
Dass eine Partei eine veritable Künstlerin zur kulturpolitischen Sprecherin
kürt, ist im Bundestag etwas Besonderes. Die kulturpolitischen Floskeln,
die Krumwiede zum Besten gab, unterschieden sich aber wenig von denen der
"etablierten" Parteien: Kunst als Haupt- und nicht als Nebensache,
Kreativität als Inspiration, mit den Künstlern reden, nicht über sie - was
man an solchen Abenden halt so sagt.
Dass hinter dem offenkundigen Formwandel auch ein Lernprozess stecken
könnte, demonstrierte Hermann Wündrich. Von seiner alten Freundin und
Theaterkollegin Claudia in einem "Bühnengespräch" befragt, was denn von dem
politischen Theater geblieben sei, um das sie in den bleiernen siebziger
Jahren gerungen hätten, meinte der Dramaturg des Berliner Ensembles
nachdenklich, dass es vielleicht politischer sei, die Wahrnehmung zu
verändern, als politische Stücke aufzuführen. Politisch, so Claus Peymanns
Mann fürs Konzeptuelle, sei Ästhetik eher "auf eine indirekte Art". Das
soll wohl jetzt auch für die Politik gelten.
Der Wechsel von der direkten zur reflexiven Aktion macht die Partei gewiss
attraktiver für die bürgerliche Klientel, die ihnen derzeit wie von selbst
zuströmt. Was ihnen die heroische Aufgabe erleichtern dürfte, die Johan
Simons ihnen zuschob. Angesichts des Siegeszug des politischen Populismus
in seiner niederländischen Heimat beschwor der Intendant der Münchner
Kammerspiele die Grünen, "das Bildungsbürgertum zu bewahren". Die nötige
Etikette dafür übten sie jedenfalls schon mal.
Vor diesem Hintergrund wurde das Kulturprogramm des Abends plausibel. Die
von Paul Klees fortschrittskritischem Bild "Engel der Geschichte"
inspirierte Performance der brasilianischen Tänzerin Yahsmine Macaira und
Mayako Kubos Welturaufführung des Klavierstücks "Nachbeben", geschrieben
unter dem Eindruck des Erdbebens in Fukushima, ergaben zusammen so etwas
wie Katastrophenkitsch für die concerned bourgeosie.
Ob die Avantgardehäppchen sie zu der anderen Lebensweise animieren, die
unausweichlich ist, wenn die Welt aus dem Wachstumsdilemma herauskommen
will, konnte zumindest an diesem Abend noch nicht nachgewiesen werden.
## Unbedingt eine Brücke
Wie den Grünen der Brückenschlag zwischen Bewahren und Verändern, zwischen
Bourgeoisie und Antibourgeosie gelingen könnte, wurde im Keller der
Schwangeren Auster nicht klar. Höchstens, dass sie dazu eine Brücke
unbedingt überqueren wollen. Immer wieder blinzelten die grünen
Kulturfreaks auf das magisch illuminierte Gebäude vis-à-vis, das aus seiner
theatralischen Bestimmung keinen Hehl macht. Angela Merkels Kanzlerinnenamt
wäre der ideale Resonanzboden für die rollenstarke Claudia Roth, die nach
eigenem Bekenntnis "die Bühne nie verlassen" hat.
12 May 2011
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Pepe Danquart
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