# taz.de -- Fischer und Steinmeier über NS-Außenamt: Die Elite-Versager | |
> Die Ex-Minister Steinmeier und Fischer sprachen in Berlin über die | |
> Nazikontinuität im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik und wie die alten | |
> Seilschaften funktionierten. | |
Bild: Hatte im Amt nicht nur Freunde: Joschka Fischer. | |
Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen." | |
Frank-Walter Steinmeier - schlohweißes Haar, rote Krawatte - zitiert an | |
diesem Abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt den US-amerikanischen | |
Schriftsteller William Faulkner. Auf dem Programm steht die offizielle | |
Buchpräsentation von "Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im | |
Dritten Reich und in der Bundesrepublik". | |
Der von der Nierentransplantation offenbar gut genesene Steinmeier legt vor | |
rund 500 Gästen einen pointierten Auftritt hin. Der SPD-Politiker und | |
frühere Außenminister kürt "Das Amt" kurzerhand zum "Sachbuch des Jahres". | |
"Wer wissen will, was Eliteversagen ist," so Steinmeier, "kann dies mit | |
diesem Buch herausfinden." Die 900-seitige Schrift empfiehlt er als | |
Gegenentwurf zu Debattenburnern wie dem Buch des Parteikollegen Thilo | |
Sarrazin, ohne diesen namentlich zu erwähnen. | |
Für einige Kader des Auswärtigen Amtes war die Veranstaltung - nicht weit | |
vom Kanzleramt entfernt - wohl eine eher unangenehme Angelegenheit. Der | |
Wirbel den der Bericht einer 2005 vom damaligen Außenminister Joschka | |
Fischer eingesetzten Historikerkommission in den letzten Tagen auslöste, | |
kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist es noch nicht lange her, dass | |
Fischer fast die Kontrolle über das Amt entglitt, nur weil er untersagte, | |
in amtsinternen Blättchen frühere Nazis und Kriegsverbrecher zu ehren. | |
Außenminister a. D. Joschka Fischer erzählt an diesem Abend von diesem | |
Konflikt aus den letzten Amtstagen der rot-grünen Bundesregierung - als er | |
wegen der sogenannten Visa-Affäre unter Druck stand und Spitzendiplomaten | |
in Briefen und Annoncen gegen ihren Dienstherrn agitierten. Gekonnt hebt | |
und senkt er seine Stimme, behauptet - "naiv, wie ich war" - dass er | |
glaubte, die Sache mit dem NS und der älteren Generation sei längst | |
ausgestanden gewesen. Amtsintern kam es jedoch zum Entrüstungssturm, als | |
Fischer 2003 verfügte, dass künftig keine NSDAP-Mitglieder mehr in | |
Amtsblättern zu ehren seien. | |
Als mit dem früheren NSDAP-Mitglied und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes | |
der SS Franz Krapf ein weiterer bundesdeutscher Spitzendiplomat mit | |
Nazi-Vergangenheit 2004 starb, eskalierte die Situation. In der FAZ | |
schalteten bestens vernetzte ältere und ehemalige Außenamtskader eine | |
großformatige Ehrenanzeige. Und erhielten mit der 900-seitigen Untersuchung | |
nun "den Nachruf, den sie verdienen", so Fischer. | |
Die jetzige Studie belege die "fließende Grenze" zwischen dem früheren | |
Auswärtigen Amt und der NS-Vernichtungspolitik. Und die personelle | |
Kontinuität der diplomatischen Eliten nach 1945 im Westen. Wie Steinmeier | |
zuvor wird Fischer in seiner Rede immer wieder von Applaus unterbrochen. | |
"Opportunisten" wie Ernst von Weizsäcker seien es gewesen, die die | |
Lebensläufe der wenigen tatsächlichen Widerständler aus den Reihen des | |
Amtes dazu benutzten, um auf die Posten der neuen Bundesrepublik als | |
vorgeblich "Unbelastete" zurückzukehren. | |
Leute mit Exil- und Widerstandsbiografien wurden hingegen ausgegrenzt. Und | |
so unter sich, glaubte man allmählich selbst an die eigenen, geschönten und | |
konstruierten Biografien. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, die | |
Westalliierten waren im Abwehrkampf gegen den Kommunismus nicht besonders | |
wählerisch, sofern das Bekenntnis zur neuen Ordnung stand. Das Auswärtige | |
Amt, so Fischer, repräsentiere "eine merkwürdige Parallelgesellschaft", | |
"eine Elitekontinuität vom Wilhelminismus bis in die BRD hinein". | |
Die Autoren der Studie - die Historiker Eckart Conze, Norbert Frei, Peter | |
Hayes und Moshe Zimmermann - waren sich in ihren Statements einig, dass der | |
Umgang des Auswärtigen Amts mit der braunen Vergangenheit paradigmatisch | |
für die Bundesrepublik stehe. Insbesondere der FDP droht eine unangenehme | |
Debatte. Von 1969 bis 1998 stellte sie die Außenminister. Die Diskussion | |
dürfte da erst beginnen: Die Minister Scheel und Genscher waren ebenfalls | |
NS-sozialisiert und in der Partei. | |
29 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Pepe Danquart | |
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