# taz.de -- Egon Bahr über das Auswärtige Amt: "Wir waren doch keine Toren" | |
> Der Bericht "Das Amt und die Vergangenheit" wirft Fragen auf. Was wussten | |
> die Politiker der Nachkriegszeit? Egon Bahr, ehemaliger Planungschef im | |
> Auswärtigen Amt, antwortet. | |
Bild: "Der jetzige Bericht über das Auswärtige Amt ist nötig und richtig": E… | |
taz: Herr Bahr, seit Juni 1960 waren Sie Planungschef im Auswärtigen Amt. | |
Hatten Sie den Eindruck, Sie würden als Feind betrachtet? Immerhin war ihr | |
Chef der erste Sozialdemokrat im "Amt" seit Jahrzehnten. | |
Egon Bahr: Ich hatte das Gefühl, mit Respekt und Neugier empfangen zu | |
werden. An der Loyalität der uns entgegenkommenden Menschen war überhaupt | |
nicht zu zweifeln. | |
Wussten Sie damals, dass es noch relativ viele Diplomaten auch im höheren | |
Dienst gab, die zu NS-Zeiten im Auswärtigen Amt tätig gewesen sind und | |
Schuld auf sich geladen hatten? | |
Wir waren doch keine Toren. Wir wussten, dass es keine Institution im | |
Dritten Reich gegeben hat, die nicht dem Regime gedient hat und in das | |
Nazisystem eingeschmolzen worden ist. Aber 1966 sollte eine Regierung zur | |
Versöhnung des Landes gebildet werden. Das heißt, ein altes Mitglied der | |
NSDAP aus dem Auswärtigen Amt, Kurt Georg Kiesinger, wurde Bundeskanzler, | |
und der Emigrant Willy Brandt wurde Außenminister und Vizekanzler. Und der | |
ehemalige Kommunist Herbert Wehner wurde Mitglied der Bundesregierung. Die | |
SPD hatte die Kröte Strauß zu schlucken. | |
Selbstverständlich wussten wir, dass der höchste Beamte im Staat, Globke, | |
Kommentator der Nürnberger Gesetze, von Adenauer geholt worden war. Und wir | |
wussten, wie viele Nazis auf Grund des Artikels 131 im Grundgesetz wieder | |
eingestellt wurden, wie viele Rente bekamen, auch die Witwe Roland | |
Freislers. | |
In dem jetzt erschienenen Buch "Das Amt" ist die Rede davon, Willy Brandt | |
sei als Außenminister von einem Befürworter der NS-Strafverfolgung, der er | |
in der Nachkriegszeit war, zu deren Gegner geworden. Stimmt das? | |
Eine Regierung der Versöhnung hat bedeutet, dass man sich konzentrieren | |
musste auf das, was man politisch ändern wollte in dieser Regierung. Und es | |
hätte an tragische Komik erinnert, wenn Brandt stattdessen sich gegen diese | |
gesamte Linie, die seit Adenauer etabliert worden war, gestellt hätte. | |
Selbstverständlich war die Frage ehemaliger Belasteter im Einzelfall zu | |
prüfen. Aber sie sollte nicht unsere Politik bestimmen. | |
Sie würden also die These, Brandt sei damals gegen die Strafverfolgung von | |
NS-Verbrechern gewesen, nicht stehen lassen? | |
Das wäre eine völlige Verkennung der Realität der damaligen Zeit. Der erste | |
Außenminister hieß Adenauer, der zweite von Brentano. Die Beamten, die | |
Brandt gegenübertraten, waren doch schon durch eine Kommission auf ihre | |
Verwendbarkeit überprüft worden. Man sollte hinzufügen: Der jetzige Bericht | |
über das Auswärtige Amt ist nötig und richtig. Er hat die Beteiligung und | |
die Aktivität des Auswärtigen Amtes über alles hinaus, was wir oder alle | |
vermutet haben, deutlich gemacht. | |
War es damals unmöglich, eine historische Kommission zur Rolle des | |
Auswärtigen Amtes in der Nazizeit einzuberufen? | |
Die Realität war doch die, dass wir im Auswärtigen Amt einen Personalchef | |
eingesetzt haben, nicht mal aus dem höheren Dienst, sondern aus dem | |
gehobenen Dienst, glaube ich, weil man sich auf ihn verlassen konnte. Die | |
Realität war außerdem, dass wir, abgesehen von Putzfrauen, nicht einen | |
einzigen Sozialdemokraten gefunden haben. Sondern uns trat das Amt entgegen | |
mit vielen Mitgliedern der CDU. | |
Ich erinnere mich genau an die Genfer Konferenz, in der Brandt der | |
Bundesrepublik eine Position geben wollte an der Spitze der nichtnuklearen | |
Länder. Diese Formulierung wurde ihm von Kiesinger untersagt. Darauf ist er | |
so explodiert, wie ich das vorher nicht für möglich gehalten hätte. Er | |
sagte: Wie komme ich dazu, mir von einem alten Nazi Vorschriften machen zu | |
lassen? | |
Wir haben ihn von einer Neigung zum Rücktritt abgebracht, indem wir sagten, | |
nur noch einige Monate, dann gibt es Neuwahlen. Die Bevölkerung wird nicht | |
verstehen, dass du wegen eines Streites um den Nichtverbreitungsvertrag, | |
den Strauß provoziert und Kiesinger wegen seiner Schwäche nicht | |
beiseitegelegt hat, zurücktrittst. | |
Wie hat Brandt die Arbeit mit Kiesinger ausgehalten? | |
Er hat sich bewusst zur Verfügung gestellt für dieses Kabinett der | |
Versöhnung. Und dass er dabei mehr zu schlucken hatte als andere, ist doch | |
kein Wunder. Tatsache war, dass in dieser großen Koalition auf der Ebene | |
der Fraktionen Schmidt und Barzel die entscheidenden Leute waren. Was die | |
vereinbart haben, passierte. Auf der darüberliegenden Ebene funktionierte | |
die enge Zusammenarbeit zwischen Herbert Wehner und Herrn von und zu | |
Guttenberg, weil die Chemie zwischen ihnen stimmte. Zwischen Brandt und | |
Kiesinger hat die Chemie nie gestimmt. | |
28 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
Christian Semler | |
## TAGS | |
Egon Bahr | |
SPD | |
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