| # taz.de -- Filmstart „Lauf Junge, lauf“: Flinke Wechsel | |
| > Pepe Danquarts Spielfilm „Lauf, Junge, lauf“ erzählt von einem Jungen, | |
| > der aus dem Warschauer Ghetto flieht und sich in den Wäldern versteckt. | |
| Bild: Er wird gejagt und verfolgt, aber auch geschützt, versteckt und versorgt… | |
| Die Überlebensgeschichte von Yoram Fridman fordert geradezu das | |
| Nacherzählen, weil sich in ihr der Schrecken der Judenverfolgung und die | |
| Barbarei des Zweiten Weltkriegs wie in einem Brennglas zeigen. Es ist | |
| außerdem eine ungeheuer spannende Geschichte. | |
| Ein kleiner Junge, keine zehn Jahre alt, flieht 1942 aus dem Warschauer | |
| Ghetto und schlägt sich bis zum Kriegsende in den Wäldern Polens durch. Er | |
| wird gejagt und verfolgt, aber auch geschützt, versteckt und versorgt. Er | |
| verleugnet seine Identität, erleidet fürchterlichen Hunger und Kälte, | |
| verliert einen Arm – aber er überlebt. Uri Orlev hat Yoram Fridmans | |
| Geschichte in einem 2004 erschienenen Jugendbuch verarbeitet. Und Pepe | |
| Danquart hat sie nun als deutsch-polnisch-französische Koproduktion | |
| verfilmt. | |
| Soll man es Danquart und seinem Drehbuchautor Heinrich Harding verübeln, | |
| dass sie gleich mit hohem Drama einsteigen? Es ist Winter, der Junge | |
| friert, seine Schuhe sind kaputt, man ist ihm auf den Fersen, aus der | |
| Erinnerung verfolgen ihn die eindringlichen Worte des Vaters, der ihm sagt, | |
| er müsse überleben – und nie vergessen, dass er Jude sei. Als wolle er | |
| aufgeben, legt sich Srulik (gespielt von den Zwillingsbrüdern Kamil und | |
| Andrzej Tkacz) in eine Schneemulde. | |
| Dass der Film schon im Auftakt mit solchem Suspense glaubt locken zu | |
| müssen, fällt aber weniger auf die Macher als auf uns, die abgehärteten | |
| Zuschauer, zurück, die potenziell immer denken, schon genug „davon“ gesehen | |
| zu haben. | |
| Weshalb es nicht zu unterschätzen ist, dass es Danquart gelingt, diese | |
| Schutzmauer des vermeintlichen Überdrusses zu durchbrechen. Zu seinen | |
| Methoden gehört der flinke Wechsel: Aus dem Elend des Winters schneidet er | |
| in den atmosphärischen Sommer, wo Srulik sich im Wald einer Gruppe von | |
| Kindern anschließt. Sie bringen ihm die wichtigsten Überlebenstechniken | |
| bei, und für kurze Momente, wenn beim Lagerfeuer das geklaute, gebratene | |
| Huhn verteilt wird, herrscht Kinderabenteuer-Unbeschwertheit. Wenig später | |
| zerstreut sich die Gemeinschaft, und Srulik muss wieder allein | |
| zurechtkommen. | |
| ## Böse und weniger böse Nazis | |
| Die Menschen, denen er begegnet, reagieren alle unterschiedlich. | |
| Unberechenbar sind sowohl die, die ihn verraten, als auch die, die ihn | |
| beschützen. „Lauf, Junge, lauf“ ist ein Stationendrama, dessen unsteter | |
| Rhythmus auch beim abgebrühtesten Zuschauer keine Langeweile aufkommen | |
| lässt. | |
| Dass Danquart durchweg konventionell erzählt, dass der Proporz an bösen und | |
| weniger bösen Nazis, an guten und weniger guten polnischen Bauern so | |
| ungemein ausgewogen erscheint – auch das muss sich wohl eher der Zuschauer | |
| selbst ankreiden, dem alle Extreme in dieser Darstellungshinsicht als | |
| falsch aufstoßen würden. | |
| Am Ende ergreift der mittlerweile 79-jährige Fridman selbst das Wort, und | |
| ob seiner wahren Geschichte wird jede Kritik an ihrer Umsetzung schäbig und | |
| klein. | |
| 16 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
| ## TAGS | |
| Warschauer Ghetto | |
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| Jean-Luc Godard | |
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| Pepe Danquart | |
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