Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tsunamifolgen in Japan: Die freundliche Seite der Mafia
> Die Aufräumarbeiten im Katastrophengebiet kommen langsam voran. Sie
> werden durch Asbestgefahr erschwert. Doch viele Freiwillige und sogar
> Yakuzabanden helfen mit.
Bild: Ein buddhistischer Mönch und Anwohner beten vor Trümmern im nordostjapa…
TOKIO taz | "Die drei Unglücke / Stürme werden zu einem milden Wind / Ein
neuer, menschlicher Wind". Das Kurzgedicht in der japanischen Haikuform von
EU-Ratspräsident Herman Rompuy über das Beben-, Tsunami- und Atomdesaster
rührte vergangenen Sonntag in Brüssel Premierminister Naoto Kan zu Tränen.
Tatsächlich ist die Solidarität mit den Betroffenen im Ausland und in Japan
riesengroß. Normalerweise bläst den Bewohnern von Tohoku vom Frühjahr bis
zum Herbst ein rauer Pazifikwind ins Gesicht. Die Bauern und Fischer der
Region gelten als verschlossen und zäh. Nun spüren diese einfachen Leute
eine ungewohnte Brise warmherzigen Mitgefühls.
An vielen Bahnhöfen sammeln Schüler und Studenten mit improvisierten
Kartons Spenden. Nur ab und an mischt sich ein Betrüger darunter. Über 1,5
Milliarden Euro hat allein das japanische Rote Kreuz bis Mitte Mai
erhalten.
Der Andrang von Freiwilligen zu den Aufräumarbeiten in den drei
Tsunamiprovinzen ist so groß, dass nicht jeder Helfer genommen wird. Vom
Autobauer bis zur Supermarktkette konzentrieren viele Konzerne die Energie
darauf, ihre Fabriken und Filialen im Nordosten schnell in Betrieb zu
nehmen, damit es dort wieder Arbeit gibt.
Selbst die japanische Mafia zeigt ihre freundliche Seite. Etwa 1.000
Mitglieder der größten Yakuzabande, der Yamaguchi-gumi, sollen im Nordosten
ehrenamtlich helfen. Wie bei den Erdbeben in Kobe 1995 und Niigata 2004
verteilen sie Hilfsgüter und öffnen ihre Häuser als Notunterkünfte. "Sie
nutzen die Chance, ihre ritterliche Tradition und ihren Nationalismus in
Szene zu setzen", erklärt Yakuzaexperte Wolfgang Herbert von der
Universität Tokushima. Nebenbei spähe die Yakuza auch ihre
Verwertungschancen für die Altmetalle im Tsunamischutt aus, meint der
deutsche Soziologe. Schrott gehöre zu ihren Geschäftsdomänen.
## Kaum Anträge auf Spendengeld
Im ganzen Land blühen Hilfsinitiativen. Die Bürger können sich etwa an
kleinen Firmen in den Tsunamigebieten mit stillen Einlagen beteiligen. Über
7.000 Menschen engagieren sich beispielsweise für den Wiederaufbau von
Japans größter Austernzucht an der Sanriku-Küste. Erst zerstörte der
Tsunami die Austernbänke von Miyagi, dann stellte die Verstrahlung des
Meerwassers das Geschäft infrage. Dank der Spenden können die Züchter neu
anfangen. Für jede Überweisung von 10.000 Yen, etwa 90 Euro, erhält ein
Spender in drei bis vier Jahren 20 Austern. Sollten sie verstrahlt und
ungenießbar sein, hätte man den Fischern zumindest ein Einkommen
ermöglicht.
Trotz allem kommt die Hilfe teilweise nur langsam an. Das Rote Kreuz zum
Beispiel konnte erst rund ein Drittel der Spenden verteilen. Viel Zeit
verging, bis sich in den Gemeinden die Entscheidungsgremien bildeten und
ein Verteilungsschlüssel festgelegt wurde.
Viele Betroffene haben außerdem noch gar kein Spendengeld beantragt. "Sie
fühlen sich schlecht, Geld für den Tod ihrer Verwandten zu nehmen",
beschreibt ein Rotkreuzsprecher das Problem. Für jeden Toten oder
Vermissten und für jedes zerstörte Haus gibt es als ersten Abschlag aus dem
Spendentopf jeweils 3.000 Euro. Strahlenevakuierte erhalten ebenfalls 3.000
Euro für ihre verlorene Unterkunft in der Sperrzone um die
Fukushima-Meiler.
## Versteckte Gefahr Asbest
Auch die Aufräumarbeiten an den zerstörten Küsten verzögern sich.
Weggeschwemmte Autos, Kühlschränke und Sperrholz blockieren noch viele
Häfen und Fahrrinnen im Meer. An Land haben die Tsunamis alles mit einer
klebrigen Mischung aus Schlamm, Öl und Chemie überzogen. Eine weiße Fahne
signalisiert das Einverständnis eines Hausbesitzers, dass sein Grundstück
vom Schutt befreit werden darf.
Doch an vielen Stellen wehen rote Fahnen. Dort wollen Überlebende ihre
Suche nach Erinnerungsstücken und vermissten Angehörigen nicht aufgeben. Zu
den versteckten Gefahren zählt Asbest. Der Faserstoff wurde als Baumaterial
erst 2006 verboten. "Eine einzelne Faser kann 15 bis 40 Jahre später
tödlichen Krebs verursachen", warnt Kevin Carroll von EFA Laboratories.
Seine Firma fand bei vier von fünf Luftproben rund um Sendai Asbestfasern.
Doch kein Arbeiter ist sich der Gefahr bewusst und zieht eine schützende
Maske auf.
Immerhin schrumpft die Zahl der Menschen in den Notunterkünften. Bis Ende
Mai wurden 27.000 Behelfswohnungen aus dem Boden gestampft, nur 10 Prozent
weniger als versprochen. Der Wohnungsbau wurde dadurch gebremst, dass die
Grundstücke oft erst noch geleast werden mussten. Bis Mitte August werden
50.000 Nothäuser stehen. Mehrere 10.000 Obdachlose kommen in Pensionen und
Mietwohnungen unter. Dann wären zumindest alle 210 Notlager aufgelöst.
2 Jun 2011
## AUTOREN
Martin Fritz
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Atomkatastrophe in Japan: Weitere sechs Arbeiter verstrahlt
Fukushima-Betreiber Tepco hat eingeräumt, dass möglicherweise sechs weitere
Arbeiter einer Überdosis radiokativer Strahlung ausgesetzt wurden. Im
Grundwasser wurde Strontium entdeckt.
Medikamente für Japan: "Preußischblau" gegen den Strahlentod
Ein Berliner Pharmahersteller verkauft ein Mittel nach Japan, das gegen
Strahlenschäden helfen soll. Doch die Chancen auf Linderung oder gar
Heilung sind frustrierend gering.
Tödliche Strahlenwerte in Fukushima: Gefahr aus dem Keller
Die Quelle der tödlichen Strahlenwerte in Reaktor 1 der Atomruine in
Fukushima ist weiter unklar. Die Gefahr könnte im Keller lauern – aus einem
Rohr steigt radioaktiver Dampf auf.
Radioaktivität in Fukushima: Roboter misst Rekordwerte
Die Atomruinen von Fukushima strahlen weiter. Ein Roboter zeigt Rekordwerte
in der Luft an. Angesammeltes Kühlwasser erschwert die Reparaturarbeiten.
Interview Katastrophenforscher: "Menschen sind ungeheuer robust"
Wie bewältigen Menschen Katastrophen? Wann tritt Gewöhnung ein? Menschen
sind belastbarer, als man denkt, sagt der Katastrophenforscher Martin Voss.
Arbeit im havarierten AKW: Rentner für Fukushima
Kamikaze-Kommando? Zur Bekämpfung der Atomkatastrophe in Japan hat sich ein
"Qualifizierter Veteranen-Corps" zum Freiwilligendienst gemeldet.
Fukushima und die Folgen: Atomenergiebehörde mahnt Betreiber
Ein neuer Bericht deckt auf: 342 Erdspalten rund um Fukushima waren
bekannt, wurden aber ignoriert. Im Kraftwerk selbst versucht man neue
Kühltechnik.
Gefahr für AKW Fukushima in Japan: Mit Sandsäcken gegen Tropensturm
Arbeiter versuchen, das geschädigte AKW Fukushima gegen ein neues Unwetter
zu sichern. Aber sie scheitern schon am Alltag, weil Aufnahmetanks undicht
sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.